Die elektronische Patientenakte muss ab Oktober befüllt werden. Wie Patienten sie einsehen können und warum nur wenige Ärzte sie nutzen.
„Das wird Leben retten“Kölner Pilot-Arzt zieht Fazit zur elektronischen Patientenakte

Der Kölner Arzt Oliver Pottkämper (l.) war Teil der Pilotphase der ePA und empfing Karl Lauterbach deshalb zu Beginn des Jahres in seiner Praxis in Brück.
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Sie soll die Medizinwelt in Deutschland, schneller und einfacher machen: Die elektronische Patientenakte (ePA) kann seit Ende April von Ärztinnen und Ärzten in Praxen und Kliniken befüllt werden – jedenfalls in der Theorie. Sofern sie nicht aktiv widersprochen haben, haben alle gesetzlich Versicherten eine digitale Akte von ihren Krankenkassen bekommen. Ab dem 1. Oktober werden alle Leistungserbringer verpflichtet, die ePA zu nutzen. Doch bis jetzt herrscht darin oft noch gähnende Leere.
Zu oft, findet der Kölner Arzt Oliver Pottkämper. Er war Teil eines Pilotprojekts für die ePA, das im Januar startete und vor einigen Tage zu Ende ging. Nun zieht der Allgemeinmediziner ein erstes Fazit zum Einsatz der digitalen Akten in seiner Brücker Praxis. Er nutze die ePA bereits regelmäßig. „Nur die anderen halt nicht“, sagt er.
„Ich habe bisher nur zwei ePAs gesehen, die von anderen Ärzten bespielt wurden. In den meisten Fällen mache ich die Bespielung also nur für mich selbst. Ein großer Austausch läuft darüber aktuell nicht.“ Daher könne er die Funktionsweise im Alltag auch noch nicht vollumfänglich bewerten.
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ePa: Noch wenig Austausch
Für den Mediziner ist das ernüchternd. Denn weil zu wenige Kolleginnen und Kollegen die ePA befüllen, kann er nicht alle Funktionen nutzen. Hilfreich wäre es laut dem Arzt, wenn mehr Spezialisten die Ergebnisse ihrer Untersuchungen hochladen würden, damit er sie als Hausarzt direkt in der ePA einsehen kann – Herzultraschallaufzeichnungen von Kardiologen oder Röntgenbilder von Radiologen zum Beispiel.
Doch auch für den einzelnen Arzt sei die ePA eine Erleichterung. „Ich speichere darin den Medikationsplan der Patienten, dann ist er immer auf dem neuesten Stand.“ Das funktioniere mit wenigen Klicks. „Ich lade außerdem Labordaten darin hoch. So vermeide ich, dass Kollegen dieselben Werte nochmal abnehmen.“ Jedenfalls, wenn sie die ePA nutzen würden.

So kann eine Software aussehen, über die Ärztinnen und Ärzte die ePA einsehen können.
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„Die medizinischen Mühlen sind sehr langsam und nicht unbedingt digital affin. Alles, was digital ankommt, wird erstmal sehr vorsichtig angefasst. Von vielen Kollegen habe ich mitbekommen, dass sie noch skeptisch sind.“ Eine grundlegende Ablehnung der digitalen Akte gegenüber findet der Arzt nicht zielführend.
Jedoch: In manchen Fällen könne er die Scheu davor verstehen, bestimmte Dinge in die Akte hochzuladen. Das gelte für komplexe Diagnosen, für die dringend ärztliche Einordnung nötig ist. „Nehmen wir an, da steht Verdacht auf Lungenkrebs. Wenn ein sensibler Patient das in seiner ePA liest, ohne dass er Beratung hat, weiß man nicht, was das mit demjenigen in der Situation macht.“ Ebenfalls nachvollziehen könne er die Sorge um psychiatrische Diagnosen in der ePA. Bei solchen sensiblen Angelegenheiten verstehe er eine gesteigerte Angst vor Datenlecks.
Auch von Seiten der Kinderärzte gab es Bedenken gegenüber der ePA. Der in Köln ansässige Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) begrüßt deshalb zentrale Änderungen zur ePA, die vor einigen Tagen beschlossen wurden. So muss die Akte unter anderem dann nicht mehr verpflichtend gefüllt werden, wenn es Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls bei Personen unter 15 Jahren gibt.
Dr. Michael Hubmann, Präsident des BVKJ betont in einer Mitteilung: „Unser Anliegen war es, dass nicht alle Gesundheitsdaten pauschal in die elektronische Patientenakte übertragen werden dürfen. Es gibt zahlreiche Fallkonstellationen, in denen dies erhebliche Risiken für das Wohl unserer jungen Patientinnen und Patienten mit sich bringen könnte.“

Kinderärztinnen und Kinderärzte begrüßen Neuerungen der ePA bezogen auf den Datenschutz im Falle von Kindeswohlgefährdung. (Symbolbild)
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Der grundsätzlichen Nutzen der ePA bleibt laut Pottkämper bestehen. „Ich bin ein Befürworter, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass die ePA Leben retten wird. Sie ist ein gutes Medium, um bei Patienten, die vielleicht sogar neu sind, einfach und schnell an medizinische Daten zu kommen. Das treibt die Medizin sehr voran.“
Rund 60 Prozent der Pilotpraxen in NRW scheinen Pottkämper zuzustimmen: Sie bewerteten die Nutzbarkeit der ePA mit „sehr gut“ oder „gut“, wie die Kassenärztliche Verordnung Nordrhein (KVNO) vor kurzem in einem positiven Fazit zur Pilotphase mitteilte.
Warum also nutzen offenbar nur wenige Ärztinnen und Ärzte die ePA? Ein konkreter Knackpunkt scheinen die Computerprogramme zu sein, die es zur Nutzung der ePA braucht. Diese Softwares nennen sich Patientenverwaltungssysteme (PVS) und müssen mehrere Bedingungen erfüllen. Zukünftig sollen nur Praxen, die ein für die ePA passendes PVS haben, mit den Krankenkassen abrechnen können. Bis zum Jahreswechsel ist diese Regelung noch ausgesetzt.
Pottkämper befürchtet, dass sie Schaden anrichten könnte. „Es gibt einige Ärzte, die schon über 70 sind und aus Freude am Beruf trotzdem noch weiter machen. Denen eine neue Software aufzubrummen, die vielleicht über ihr Technikverständnis hinaus geht, könnte dazu führen, dass sie aufhören.“
Dass die ePA aktuell „nur sehr zögerlich“ befüllt wird, berichtet auch der Verein „Hausärztinnen- und Hausärzteverband Nordrhein“, der auch Ärztinnen und Ärzte in Köln vertritt. „Das Stimmungsbild ist ambivalent“, sagt eine Sprecherin. „Da, wo es mit Internet und PVS gut läuft, ist der Aufwand überschaubar. Bei allen anderen ist der Ärger größer als die Motivation.“

Auch in Krankenhäusern wie der Kölner Uniklinik kommt die ePA offenbar nur wenig zum Einsatz.
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Auch in Kölner Krankenhäusern wird die ePA noch nicht flächendeckend genutzt. Die Kliniken der Stadt Köln teilten auf Anfrage mit, die ePa werde dort derzeit „noch nicht vollständig eingesetzt. Wir arbeiten aktiv an den entsprechenden Maßnahmen, um eine vollumfängliche Digitalisierung umzusetzen.“
Das funktioniere jedoch nicht ohne Schwierigkeiten: „Die komplexen, technischen Anforderungen für die Integration einer ePA zu erfüllen, stellt Krankenhäuser vor Herausforderungen.“ Die ePA ist Teil der sogenannten Telematik-Infrastruktur (TI), einer Art Netzwerk, das sichere Kommunikation zwischen Apotheken, Praxen und Krankenhäusern sicherstellt. Schon an dieser Stelle hapere es jedoch.
Die TI sei nicht auf Kliniken ausgerichtet. Langfristig erkenne man in dieser Technik jedoch „eine große Chance“ von der sich die Kliniken zukünftig Zeitersparnis bei den Ärzten und somit eine „Qualitätssteigerung bei der Patientenversorgung“ versprechen.
Uniklinik Köln verspricht sich Verbesserungen der ePA durch Updates
Die Uniklinik Köln sieht in der ePA „einen zentralen Baustein für eine vernetzte und zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung“, wie ein Sprecher mitteilt. Doch auch dort läuft die Nutzung offenbar schleppend. „An der Uniklinik Köln nutzen derzeit erst wenige ambulante Patientinnen und Patienten die elektronische Patientenakte. Gründe für die noch verhaltene Nachfrage sind unter anderem die bisher begrenzte Funktionalität.“ Man erwarte deshalb eine deutlich stärkere Ausrichtung auf klinische Anforderungen und eine breitere Einsatzmöglichkeit“ von zukünftigen Updates.