Geht es nach Lars Klingbeil, dann kehrt 2026 nicht nur das Wachstum zurück, dann wird das neue Jahr auch zum Jahr der Sozialreformen. Wir haben mit ihm gesprochen.
Lars Klingbeil„Wünsche uns Kraft und Mut für Rentenreform“

Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD)
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Im Interview mit Tobias Schmidt spricht Vizekanzler Lars Klingbeil zur Überlebenschance der Koalition, einem späteren Rentenbeginn für Akademiker und warum ihn der Kauf von chinesischen E-Bussen durch die Deutsche Bahn verdammt ärgert.
Herr Klingbeil, die Weihnachtstage und der Jahreswechsel liegen vor uns. Kann und wird die Regierung die Pause nutzen, um sich zu besinnen?
Ich glaube, dass es uns allen nach diesem Jahr guttut, mal durchzuatmen, bei den Familien zu sein und bewusst eine Pause von der Politik einzulegen. Ich wünsche den Bürgerinnen und Bürgern deshalb, dass sie während der Feiertage möglichst wenig von der Regierung hören. Wir haben ja auch zuletzt noch sehr viel geschafft, um die Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern. Exakt diesen Kurs werden wir 2026 mit neuer Energie fortsetzen.
Tatsächlich fragen sich nicht Wenige, ob die Koalition wirklich vier Jahre durchhält – oder überhaupt durchhalten sollte?
Ich könnte Ihnen jetzt eine lange Liste an zentralen Entscheidungen nennen, die wir auch hier im Finanzministerium getroffen und umgesetzt haben. Von unseren Rekordinvestitionen von 500 Milliarden Euro für die Modernisierung des Landes bis zum Start des Deutschlandfonds vor zwei Tagen, der privates Kapital für Innovationen und die Jobs von morgen mobilisiert...
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Aber?
Aber natürlich kann ich die Ungeduld verstehen. Mir geht es ja selbst so. Über vier Jahre kaum Wirtschaftswachstum sind für ein Land wie Deutschland hart. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz ist an die Küchentische zurückgekehrt. Der Krieg in der Ukraine, die Polarisierung in der Gesellschaft, das alles belastet. Aber gerade deshalb gibt es ja keine Alternative dazu, dass diese Regierung weiter sehr hart an Lösungen arbeitet. Und ich bin überzeugt, dass unsere Politik bald Wirkung zeigt und die Wirtschaft wieder anspringt. Dann wird auch die Stimmung im Land besser.
Trotzdem gibt es in der Union einige, die einen lauten Knall wollen. Katherina Reiche, Carsten Linnemann und andere Merz-Vertraute meinen angeblich, der Koalitionsvertrag müsse beiseitegelegt werden. Das irritiert Sie nicht?
Wenn es so wäre, hätte ich dafür kein Verständnis. Im Koalitionsvertrag stehen viele wichtige Vorhaben, mit denen wir unser Land voranbringen: Ob die Senkung der Luftverkehrssteuer oder der Industriestrompreis, das sind alles wichtige Beschlüsse, die wir gemeinsam umsetzen. Wenn man am Kabinettstisch mitentscheidet, kann man die Beschlüsse nicht kurz danach infrage stellen. Das hilft niemandem und stärkt auch nicht das Vertrauen der Menschen.
Apropos Industriestrompreis: Wo bleibt denn der?
Die Energiepreise müssen weiter runter. Das ist für die Wettbewerbsfähigkeit von Schlüsselindustrien wie Stahl und Chemie entscheidend. Wir entlasten schon um 10 Milliarden bei den Energiepreisen, vor allem über geringere Netzentgelte. Aber das reicht noch nicht. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass der Industriestrompreis und die Strompreiskompensation schnell kommen. Wir haben das als SPD maßgeblich vorangetrieben. Ich führe deshalb neben Wirtschaftsministerin Katherina Reiche auch selbst Gespräche mit Brüssel. Ich bin mit EU-Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera im Austausch, damit es rasch grünes Licht gibt.
Was genau gibt Hoffnung, dass die Konjunktur in 2026 anspringt?
Viele Dinge greifen ab 2026: Strom für die Industrie wird günstiger, große Investitionen aus dem Sondervermögen können endlich starten, Genehmigungen werden beschleunigt. In Berlin und Brüssel werden mit Hochdruck bürokratische Hürden abgebaut, Stichwort Lieferkettengesetz. Wir schlagen einen Knoten nach dem anderen durch. Und das wird sich in neuem Wirtschaftswachstum zeigen, wie es die Institute auch voraussagen.
Dann sind die täglichen Klagen der Industrie, die Regierung versage, eine Frechheit?
Natürlich könnten manche auch darauf schauen, was schon geschafft ist: von den Super-Abschreibungen für Unternehmen bis zur gerade vereinbarten Reform der privaten Altersvorsorge, die zu einer Stärkung des Kapitalmarktes führen wird. Aber ich nehme auch die Sorgen sehr ernst. Ich führe fast täglich Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von Wirtschaftsverbänden, aber auch von Firmen und Gewerkschaften. Der Wettbewerbsdruck ist auf allen Seiten groß. Dazu kommen die Zölle von Donald Trump und die Abhängigkeit von Chinas Rohstoffen. Am Ende können wir uns nur gemeinsam wieder hochkämpfen. Für mich ist das Wichtigste, dass die Leute keine Angst mehr um ihre Jobs haben. Daran arbeite ich jeden Tag.
Die bedrohten Jobs bei den Autobauern und deren Zulieferern sollen gesichert werden, indem das sogenannte Verbrennerverbot gelockert wird. Wird das nicht erst recht dazu führen, dass uns die Chinesen mit ihren E-Autos davonfahren?
Eines ist klar: Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch. Ich habe in Peking und Shanghai erlebt, wie weit man dort schon ist, auch, weil die Regierung den Umstieg massiv fördert. Unsere Autobauer haben Nachholbedarf.
Ist der wirklich so groß, dass die Deutsche Bahn chinesische E-Busse kaufen muss?
Dass die Deutsche Bahn entschieden hat, neben einer Großbestellung für MAN auch weitere Elektrobusse aus China zu kaufen, ärgert mich. Ich wünsche mir einen gesunden Standort-Patriotismus. Dazu gehört, dass man solche Aufträge bei entsprechendem Angebot deutschen oder europäischen Herstellern erteilt. In unseren Städten fahren längst hervorragende Elektrobusse, zum Beispiel von Mercedes und MAN.
Zurück zur Lockerung des Verbrenner-Aus: Wird das zum Boomerang für VW und Co.?
Wir haben jetzt einen guten Weg gefunden, wie wir den Weg zur Klimaneutralität flexibler machen, indem zum Beispiel Hybride noch länger zugelassen werden. Wir haben auch durchgesetzt, dass klimafreundlich produzierter heimischer Stahl in Autos verbaut und auf die Klimabilanz angerechnet werden soll. Das sind Punkte, die der Vorschlag der EU-Kommission jetzt vorsieht. Und das zeigt: Wenn wir pragmatisch handeln, dann sind der Schutz von Arbeitsplätzen und der Schutz des Klimas keine Gegensätze.
Und die Konkurrenz aus China?
Allerdings sollten die Autokonzerne das nicht missverstehen: Wenn sie jetzt meinen, sie könnten noch lange auf Diesel und Benziner setzen, dann sind ihre Schwierigkeiten in ein paar Jahren umso größer. Der Weg zur Elektromobilität muss mit hohem Tempo weitergehen. Deshalb sorgen wir mit unserer E-Auto-Förderung auch dafür, dass sich Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen den Umstieg leisten können.
Von der Wirtschaft zu den Sozialreformen: Im Herbst sind noch keine Durchbrüche gelungen. Kommt nun das Frühjahr der womöglich auch schmerzhaften Reformen?
Ich halte wenig von solchen Schlagworten. Wir haben in den letzten Wochen mit dem Rentenpaket, der Bürgergeldreform, der Planungsbeschleunigung und vielem Weiteren eine Menge Reformen angestoßen. Und wir arbeiten an weiteren grundlegenden Veränderungen. Permanent, nicht nur im Herbst oder Frühjahr.
Von Ihrem eigenen Berater Jens Südekum kommt der Vorschlag, bei der Rente von einem fixen Eintrittsalter auf Beitragsjahre zu wechseln. Dann dürften viele Akademiker wohl erst ab 72, 73 oder noch später in den Ruhestand. Wäre das fair?
Wir brauchen eine breite Debatte, alles muss auf den Tisch. Unser Rentensystem muss auch in Zukunft funktionieren. Was ist davon zu halten, wenn schlaue Akademiker in Talkshows große Reformen fordern, und beim Vorschlag, sie selbst müssten womöglich etwas länger einzahlen, weil sie später angefangen haben zu arbeiten, dagegen sind? Da wundere ich mich schon. Wir müssen über alles diskutieren.
Wurde nicht schon viel zu lange diskutiert?
Ich wünsche mir, dass wir im kommenden Jahr die Kraft und den Mut für eine große Rentenreform haben. Und ich bin sicher, dass die Rentenkommission dafür sehr gute Vorarbeit leisten wird. Am Ende muss eine Sache klar sein: Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben, müssen eine auskömmliche Rente erhalten. Dafür wird die private Altersvorsorge wichtiger. Mein Gesetzentwurf, der die private Altersvorsorge für alle attraktiver macht, wurde am Mittwoch vom Kabinett auf den Weg gebracht. Und mit der Frühstart-Rente geben wir schon der jungen Generation ein Startkapital für die Altersvorsorge mit. So kann künftig jeder vorsorgen und fängt schon früh damit an.
Was für ein enormes Ungerechtigkeitsempfinden sorgt: Dass Beamte bislang nicht in die Rentenkasse einzahlen. Markus Söder will daran auch nichts ändern. Wofür braucht es die Rentenkommission, wenn am Ende ein Machtwort aus Bayern reicht?
Wir sollten alle Vorschläge diskutieren. Bevor ich über Beamte rede, möchte ich aber schon mal sagen: Ich finde, dass Politiker in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollten. Dafür kämpfe ich, seitdem ich im Bundestag bin. Und es würde mich freuen, wenn dieser überfällige Schritt mit der Rentenreform endlich gegangen wird. Das wäre nur ein kleiner Beitrag zur Stabilisierung des Systems, aber ein sichtbarer Schritt für mehr Gerechtigkeit.
Steht eigentlich noch Ihr Plan, gemeinsam mit Markus Söder, Friedrich Merz und Bärbel Bas zum Jahreswechsel ein großes Sparpaket zu vereinbaren?
Wir haben enorme Haushaltskonsolidierungen für die Jahre 2027, 28 und 29 vor uns. Dafür reicht es nicht, an der ein oder anderen kleinen Schraube zu drehen, sondern auch dafür braucht es Mut. Ich werde zum richtigen Zeitpunkt meine Vorschläge für ein gerechtes Gesamtpaket machen und dann werden wir auch diesen Knoten gemeinsam durchschlagen. Das ist fest vereinbart. Je früher wir das schaffen, desto besser. Denn wir sollten die Grundsatzentscheidungen treffen, bevor die regulären Haushaltsberatungen für 2027 starten.
Wird sich am Ende nicht Ihre SPD verweigern, wenn es ums Sparen und um schmerzhafte Reformen geht?
Das wird gerne gesagt. Was ich dazu sage: Die SPD will Veränderung und ist die treibende Kraft, wenn es darum geht, das Land wieder nach vorn zu bringen. Der Status quo ist unser Gegner. Das ist meine tiefe Überzeugung. Wenn wir wollen, dass Deutschland ein starkes Land bleibt, werden wir alle im neuen Jahr den Mut zu einschneidenden Veränderungen aufbringen müssen. Für Bärbel Bas und mich gilt: Die SPD will dabei vorangehen und Deutschland gerechter machen.
