Interview

Nawalnys Witwe
„Natürlich träume ich davon, nach Russland zurückzukehren“

Lesezeit 6 Minuten
Nach dem Tod ihres Mannes steht Julia Nawalnaja im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Nach dem Tod ihres Mannes steht Julia Nawalnaja im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Als Frau des getöteten Aktivisten Alexej Nawalny ist Julia Nawalnaja nun eines der bekanntesten Gesichter der russischen Opposition. Aus dem Ausland führt sie den Kampf ihres Mannes fort.

Die Witwe des verstorbenen russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja, warnt im Interview vor Putins Unberechenbarkeit und schließt dabei auch nicht aus, dass der Kremlchef irgendwann doch Atomwaffen einsetzen könnte. Sie selbst ist nicht überrascht über die jüngsten Festnahmen von mutmaßlicher russischer Spione und träumt immer noch von einer Rückkehr nach Russland. Kann ihr Traum bald in Erfüllung gehen?

In dieser Woche wurden zwei mutmaßliche russische Spione in Deutschland festgenommen, dann ein Mann in Polen, der dort im Auftrag Russlands einen Flughafen ausspioniert haben soll – möglicherweise um ein Attentat auf den ukrainischen Präsidenten zu planen. Trägt Putin den Krieg nun in die Mitte Europas?

Ich verstehe nicht, warum Sie mich gerade jetzt danach fragen. Es gab in der Vergangenheit schon viele solche Fälle. Putin hat nicht jetzt damit angefangen – er macht es schon die ganze Zeit. Er beginnt Kriege, er tötet seine Gegner. Es hat also nicht gestern angefangen. Und es ist schade, dass Europa das nicht oft genug auch so benannt hat. Mir wäre es lieber, wenn Europa dies viel häufiger und früher thematisiert hätte. Dann hätten wir wahrscheinlich einige Kriege und einige Morde verhindern können.

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Was haben Sie gedacht, als Sie von der Verhaftung der Spione gehört haben? Haben Sie mit so etwas gerechnet?

Natürlich habe ich damit gerechnet. Ich bin immer davon ausgegangen, dass es in Europa viele russische Spione gibt, das ist offensichtlich. Für mich ist das deshalb nun nichts Neues.

Sie haben angekündigt, gegen Putin zu kämpfen. Wie wollen Sie diesen Kampf und Ihre Oppositionsarbeit aus dem Ausland organisieren?

Wir haben eine sehr große Organisation, unsere Oppositionsorganisation ist die größte russische Nichtregierungsorganisation in Europa. Leider müssen wir jetzt im Exil arbeiten. Aber wir werden trotzdem Brücken bauen. Ich werde engere Brücken zu den Menschen in Russland bauen. Das ist für mich das Wichtigste, weil die Mehrzahl unserer Unterstützer in Russland geblieben ist. Natürlich brauchen sie mehr Unterstützung von allen Menschen, von uns, von Menschen im Ausland, sie müssen diese Unterstützung und diese Hilfe spüren.

Wie groß schätzen Sie die Bedrohung ein, der Sie ausgesetzt sind?

Das ist sehr interessant, denn ich höre diese an meinen Mann gerichtete Frage schon seit vielen, vielen Jahren. Diese Frage gefiel mir nicht, weil sie Bedrohungen und so weiter mehr Aufmerksamkeit schenkt. Deshalb ist meine Antwort, dass natürlich alles passieren kann. Ich habe aber keine Angst. Ich denke, dass ich ein gewisses Risiko habe, und dieses Risiko wird noch steigen, wenn ich gute Arbeit leiste.

Halten Sie es für realistisch, irgendwann nach Russland zurückzukehren?

Natürlich träume ich davon, nach Russland zurückzukehren. Ich möchte in Russland leben. Meine Kinder träumen davon, nach Russland zurückzukehren. Ich möchte zum Grab meines Mannes gehen. Das ist mir sehr wichtig. Und ich hoffe, dass ich das sehr, sehr bald tun kann. Ich träume davon, so schnell wie möglich dorthin zu kommen.

Noch einmal zu Putin: Sollte die Welt Ihrer Meinung nach immer noch Angst haben, dass Putin eines Tages Atomwaffen einsetzen wird?

Wir wissen nicht, was wir von ihm zu erwarten haben. Es ist wichtig zu verstehen, dass er keine Pläne hat. Er folgt nur einigen seiner Ideen. Wahrscheinlich würde er es tun. Es ist wie zu Beginn des Krieges. Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass er das tun würde, weil wir eine so starke Verbindung zur Ukraine, zu Verwandten und so weiter haben. Aber er hat beschlossen, es zu tun. Er macht den Menschen Angst und hält sie in Angst. Niemand weiß, was Putin morgen machen wird. Ich bin mir nicht sicher, ob er eine starke Strategie hat.

Sie haben einmal gesagt, die Welt solle Putin nicht wie einen Präsidenten, sondern wie einen Mafiaboss behandeln? Was meinen Sie damit?

Sie leben in ganz normalen demokratischen Ländern und befolgen die Rechtsstaatlichkeit. All diese Gesetze sind oft sehr streng, und das ist sehr gut. Aber mit Putin ist dieses Spiel nicht möglich, weil er keine Gesetze hat. Er tötet seine Gegner, er beginnt Kriege.

Wie sehen Sie das aktuelle Agieren des Westens: Wird genug getan, um Putin die Stirn zu bieten?

Nun ja, Putin ist an der Macht, also reicht es nicht. Nicht von mir, nicht vom Westen, nicht von irgendjemandem, der gegen Putin kämpft. Ich schätze die Schritte des Westens im Kampf gegen Putin sehr, aber ich denke, man müsste sich mehr auf Putins inneren Zirkel konzentrieren und nicht auf irgendwelche Beamten und so weiter. Wie gesagt, Putin ist ein Mafiaboss und er hat enge Freunde, alle von ihnen sind Milliardäre.

Was kann der Westen tun, um Sie und die russische Oppositionsarbeit zu unterstützen?

Es ist kompliziert. Ich erwarte jede Unterstützung aus dem Westen. Ich merke, dass Russland viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das Interesse an Russland ist auch wieder gestiegen. Für den Westen ist es sehr wichtig zu verstehen, dass Russland nicht Putin ist. Es gibt viele Anti-Kriegs-Aktivisten und Anti-Putin-Aktivisten. Sie sind immer noch in Russland und brauchen die Unterstützung aus dem Westen.

Kann es eine Versöhnung zwischen Russen und Ukrainern geben?

Ich hoffe natürlich sehr, dass es irgendwann so weit ist. Es wäre sehr wichtig für die Menschen in Russland und für die Menschen in der Ukraine. Aber Putin hat beide Länder in eine Situation gebracht, in der es sehr schwierig sein wird, die Beziehungen wieder aufzubauen.

Sehen Sie einen Punkt, an dem die Opposition in Russland groß genug sein könnte, um Putin zu destabilisieren?

Ich hoffe wirklich und glaube, dass es viel früher passieren wird, als wir erwarten. Niemand weiß, welcher Tag oder welches Ereignis das vorantreiben wird. Aber natürlich sind viele Menschen müde vom Krieg. Sie unterstützen den Krieg nicht, aber sie haben große Angst, dies laut auszusprechen, weil sie dies noch am selben Tag ins Gefängnis bringen könnte.

Glauben Sie, dass das russische Volk weiterhin jede Mobilisierungswelle mitmachen wird? Oder gibt es einen Punkt, an dem das russische Volk sagt: Es reicht, wir haben zu viele Soldaten auf dem Schlachtfeld verloren?

Ich denke auch viel darüber nach. Ich habe die gleiche Frage, weil wir einen Mobilisierungsschritt hatten und viele Leute jetzt über einen weiteren Mobilisierungsschritt sprechen. Ich hoffe wirklich, dass das russische Volk das nicht unterstützen wird. Die Menschen sind im Moment müde vom Krieg. Wenn die Regierung versucht, immer mehr Menschen für den Krieg zu mobilisieren, wird der Widerstand dagegen zunehmen.

Interview: Christoph Trost, Niklas Treppner, Marco Hadem und Ulf Mauder (dpa)

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