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Interview

Oliver Zander
„Bei den Sozialreformen ist die SPD ganz klar der Bremsklotz“

4 min
Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall.

Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall. 

Ob Deutschland wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt, macht Oliver Zander auch von den Sozialdemokraten abhängig. Wir haben mit dem Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall gesprochen.

Mit rund 3,8 Millionen Beschäftigten in den Bereichen Maschinenbau, Automobilindustrie, Metallverarbeitung und Elektrotechnik gilt die Metall- und Elektroindustrie als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die Interessen der Unternehmen vertritt der Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Hauptgeschäftsführer Oliver Zander gehört zu den einflussreichsten Lobbyisten im politischen Berlin. Ist er mit der Performance der schwarz-roten Bundesregierung zur Belebung der Wirtschaft zufrieden? Und wie bedrohlich sind die Chinesen? Thomas Ludwig hat nachgefragt.

Drei Viertel der Bürger sind der jüngsten Sonntagsfrage zufolge unzufrieden mit der Bundesregierung, nur jeder Vierte ist zufrieden. Wozu gehört der Arbeitgebervertreter Oliver Zander?

Ich gehöre zu den eher Zufriedenen. Der Investitionsbooster, die vorgesehene Senkung der Stromsteuer und Abschaffung der Gasspeicherumlage ab 2026, die späte, aber doch eingeleitete Reduzierung der Körperschaftssteuer ab 2028, verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für neue Anlagen und der angelaufene Bürokratieabbau – all das geht in die richtige Richtung, um Unternehmen zu entlasten und privat Investitionen anzureizen.

Damit allein gelingt aber noch nicht die von Kanzler Merz versprochene „Wirtschaftswende“ zum Positiven, oder?

Das Problem ist, dass es nicht schnell genug geht. Und dass im Alltag der Menschen und Unternehmen Entlastungen noch nicht wirklich ankommen. Das erklärt vielleicht auch die Unzufriedenheit von drei Vierteln der Bürger. Die Regierung muss noch mehr Tempo machen und sollte eingeleitete Maßnahmen zugunsten der Wirtschaft nicht konterkarieren, beispielsweise den Bürokratieabbau durch das geplante, inhaltlich wirklich scheußliche Bundestariftreuegesetz. Aktuell ist der Standort Deutschland für die exportorientierte Industrie wegen der Energiekosten, der Steuern, der Bürokratie und wegen der Sozialabgaben zu teuer und damit international nicht ausreichend wettbewerbsfähig.

Sie spielen auch auf die hohen Sozialbeiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer an?

Wir geben inzwischen 1,35 Billionen Euro für den Sozialstaat aus, und die Kostenprognosen sind verheerend. Schon heute liegt der von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu zahlende Gesamtsozialversicherungsbeitrag bei 41,9 Prozent vom Lohn, für Kinderlose sogar bei 42,5. Wenn wir nicht massiv gegensteuern und die Beiträge in dieser Legislaturperiode mindestens stabil halten, landen wir in zehn Jahren bei 50 Prozent oder mehr. Das ist nicht verantwortbar, weil wir dann absolut nicht mehr wettbewerbsfähig sind – und weil die Menschen den Gegenwert für das, was sie bezahlen müssen, nicht mehr sehen. Und das müssen endlich auch die Sozialdemokraten einsehen. Dass die Wirtschaftswende nicht schnell genug vorangeht, liegt am Koalitionspartner der Union. Bei den Sozialreformen ist die SPD ganz klar der Bremsklotz. Sie muss sich endlich bewegen und beim Sozialstaat Korrekturen vornehmen, die mehr sind als Kosmetik. Hier müssen CDU und CSU mehr Druck machen.

Wird die SPD zum Risiko für den Bestand der Koalition?

Ohne nachhaltige sozialpolitische Reformen wird die längste Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik weitergehen. Und ohne eine stabile Wirtschaft gibt es keine stabile Regierung. Die SPD könnte sich also mittelfristig selbst schaden.

Ist der Kanzler zu schwach, um mutige Sozialreformen gegenüber der SPD durchzusetzen?

Nein, ich sehe derzeit niemanden in der Union, der den Job so gut könnte wie Friedrich Merz. Er kämpft glaubhaft dafür, wirtschaftsfreundliche Entscheidungen zu treffen, damit die Wirtschaftskrise endet.

Umfragen zufolge glauben aber offenbar immer mehr Menschen, nur die AfD könne das Land wieder in die Spur setzen. Die Partei liegt inzwischen gleichauf oder manchmal sogar vor CDU/CSU. Fürchten sie den Fall der „Brandmauer“?

Die Brandmauer-Debatte ist inzwischen eine regelrechte Obsession. Statt darüber zu streiten, wäre es meiner Meinung nach klüger, sich mit der Programmatik der AfD und deren Auswirkungen im Detail zu beschäftigen. Unabhängig davon: Wer die Brandmauer erhalten will, muss Reformpolitik machen. Brandmauer und Reformverweigerung schließen sich gegenseitig aus. Im nächsten Jahr stehen mehrere wichtige Landtagswahlen vor der Tür. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung so weitergeht, die Arbeitslosenzahlen steigen und die Deindustrialisierung voranschreitet, wird es für die Parteien der Mitte ganz schwer. Gelingt es der Bundesregierung nicht, die wirtschaftliche Lage zu verbessern, wird sie in schwerste Fahrwasser kommen. Vor diesem Hintergrund ist es doppelt wichtig, dass die Union mehr Druck auf den Koalitionspartner für nachhaltige Reformen bei Bürgergeld, Rente und Gesundheit macht. Wir wollen den Sozialstaat ja erhalten und die Lebensrisiken müssen abgesichert sein. Aber es gibt zu viel Ineffizienz im System.

Um die Kosten im Sozialen zu senken, werden Praxisgebühren diskutiert, längere Lebensarbeitszeiten, und Sie selbst haben vorgeschlagen, den Bezug von Arbeitslosengeld auf ein Jahr zu verkürzen. Gleichzeitig wird jede Debatte über ungleiche Vermögensverteilung im Keim erstickt. Viele Bürger haben das Gefühl, dass immer nur kleine Mann zur Ader gelassen wird.

Und die Konsequenz ist dann: Wir erkaufen die Sozialstaatsreform von der SPD mit einer Vermögensteuer, die die Unternehmen vielleicht in noch stärkerem Umfang belastet, als sie durch die Sozialreform entlastet werden? Da kann ich nur sagen, dann hat man das Ziel der Operation nicht verstanden. Ähnliches gilt für Forderungen nach einer höheren Erbschaftssteuer. Private Investitionen kurbelt man so sicher nicht an, indem man in Deutschland die Steuern für Unternehmen erhöht. 90 Prozent der Investitionen sind privat. Genau die brauchen wir aber dringend, wenn wir mit ausländischen Unternehmen konkurrieren wollen. Außerdem schaffen unternehmerische Investitionen Arbeitsplätze und ziehen so Sozialbeiträge und Steuern nach sich.

Was die geopolitischen und geoökonomischen Rahmenbedingungen angeht, hat die Bundesregierung aber wenig bis keinen Einfluss. Wenn Mikrochips und Seltene Erden so verknappt werden, dass hierzulande die Bänder bei Rüstung und Autobau stillstehen, ist das mehr als beunruhigend. Diktiert China der deutschen Industrie bald, was geht und was nicht geht?

Nein, so weit sind wir nicht. Und so weit werden wir auch nicht kommen. Die Sensibilität für bestehende Abhängigkeiten ist in Deutschland und auch EU-weit gewachsen. Überall läuft die Suche nach Auswegen und Alternativen. Die EU ist die einzige Chance für die Europäer, sich in einer multipolaren Welt zu behaupten, schließlich können auch China und die USA nicht ohne den europäischen Markt. Die EU könnte gegenüber schwierigen Partnern viel schärfere Krallen ausfahren, tut das aber nicht, weil sie den freien Handel nicht noch mehr schädigen und dem Protektionismus Vorschub leisten will. Wir haben genug Ressourcen und sind ein starker Kontinent und können uns auf kommende Herausforderungen vorbereiten. Wir müssen das nur systematisch tun. Und da sind natürlich jede Bundesregierung und die Kommission in Brüssel in der Pflicht.