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Rundschau-DebatteGeht es bei Merz um Wirtschaft statt Klimaschutz?

6 min
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU)

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU)

Der Weltklimagipfel startet im brasilianischen Belém. Mittendrin ist auch Bundeskanzler Friedrich Merz, der sich am Donnerstag auf den Weg machte. Wo kapituliert Merz im Kampf gegen die Erderwärmung? Und wo tut er das nicht?

Wenn Friedrich Merz an diesem Freitag im brasilianischen Belém mit anderen Staats- und Regierungschefs zum „Leaders Summit“ vor der 30. UN-Klimakonferenz COP zusammenkommt, ist das aus Sicht seiner Strategen im Kanzleramt bereits ein wichtiges Signal. Die USA schicken nicht einmal mehr einen hochrangigen Repräsentanten zu dem Treffen. Das vor zehn Jahren von der Weltgemeinschaft verabredete Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, scheint kaum noch erreichbar.

Wie wichtig ist dem Bundeskanzler das Thema wirklich? Aus der Bundesregierung heißt es, dass man an dem Ziel, 2045 klimaneutral zu sein, festhält. Deutschland wolle, so heißt es, weiterhin ein verlässlicher Partner in der UN sein, auch finanziell. Das passt nicht zum Vorwurf der Grünen, die Merz-Regierung gebe den Klimaschutz auf. Aber der Ton hat sich verändert. Weniger dringlich, weniger alarmistisch, weniger ambitioniert klingt Merz, wenn er über das Thema spricht. Das „grüne Wirtschaftswunder“, das Olaf Scholz den Deutschen vorhergesagt hatte, macht er sich nicht zu eigen.

Haben die Konservativen im Kampf gegen die Erderwärmung die Segel gestrichen? Oder retten sie gerade den Klimaschutz, weil sie ihn weniger ambitioniert, aber pragmatisch angehen?

Union zwischen Pragmatismus und Klimaschutz

Die Schauspielerin Maria Furtwängler hatte kürzlich bei einer Medienkonferenz einen bemerkenswerten Auftritt. Eine Passage ihrer Rede wurde vielfach in den sozialen Medien geteilt. Es sei für sie „eine der größten Sünden der konservativen Parteien, dass sie im Grunde dieses Narrativ von Rechtsaußen übernommen haben und sich damit von alldem verabschiedet haben, was doch in christlich, demokratisch und sozial drin ist.“ Die Sorge um den Erhalt der Lebensgrundlagen werde heute als „ideologisch motiviert“ abgewertet, meint Furtwängler. Das empört sie: „Meine Güte! Wann ist das passiert?“

Es lässt sich kaum bestreiten, dass Klimaschutz in der Union keinen Vorrang hat. Die Erfinderin des europäischen „Green Deals“ für eine klimaneutrale EU 2050, die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen, wurde 2024 erst für eine zweite Amtszeit vorgeschlagen, nachdem sie gelobt hatte, Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit zum Schwerpunkt zu machen - und nicht mehr den Klimaschutz. „Selbst wenn wir alle zusammen morgen am Tag klimaneutral wären in Deutschland, würde keine einzige Naturkatastrophe auf der Welt weniger geschehen, würde kein einziger Waldbrand weniger geschehen, würde keine einzige Überschwemmung in Texas weniger geschehen“, sagte Friedrich Merz im Juli im Bundestag. Seine Linie: Nur, wenn Deutschland wieder wirtschaftlich erfolgreich ist, kann es überhaupt Einfluss auf die Klimapolitik weltweit nehmen.

Merkels Klimaerbe unter Druck

Zu Zeiten Angela Merkels klang die Union anders. Klimaschutz war 2019 DAS Thema. Nach einer vermasselten Europa-Wahl und Massen-Demos von Fridays for Future verordnete auch die damalige Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ein gründliches Nachsitzen. Eine Reihe von Unionspolitikern gründete damals die Klima-Union. Diese gibt es zwar noch immer, hat es nach einem kurzen Aufmerksamkeitshoch zu ihrer Gründungszeit aber nie zu größerer Geltung gebracht. Ihr Vorsitzender ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann. Schonmal gehört? Mitbegründer Heinrich Stößenreuther wanderte zu den Grünen ab.

Stimmen wie die von Andreas Jung, immerhin CDU-Vize, gibt es allerdings auch, weshalb Furtwänglers Empörung dann doch nur teilweise stimmt. Erst gerade sagte Jung der FAZ: „Klimaschutz ist in der Gesellschaft unter Druck wie seit Jahren nicht mehr. Wir dürfen jetzt nicht den Fehler der Vergangenheit wiederholen, den Klimaschutz angesichts anderer Krisen hintanzustellen.“ Und weiter: „Wir haben die verdammte Pflicht, Klimaschutz mit Wirtschaft und Arbeitsplätzen zusammenzubringen.“ Die „unbedingte Verbindung von Ökonomie und Ökologie“ sei „das Ding der Union“. „So wie wir als CDU Arbeit und Kapital zusammengebracht haben in der Sozialen Marktwirtschaft, verbinden wir Ökonomie und Ökologie. Das ist weder grün noch ein Wunder, sondern etwas sehr Konservatives.“

Was Jung sagt, dürfte zwar auch der Haltung des Bundeskanzlers entsprechen. Wenn es konkret wird, verkämpft der sich aber nicht für den Klimaschutz. Das zeigt der Überblick über die wichtigsten Weichenstellungen der letzten Zeit.

CO2-Preise: Verzögerungen statt Vorreiterrolle

Der CO2-Preis wird „zentraler Baustein“ sein, um die Klimaziele einzuhalten. Das sagte Merz in seiner ersten Regierungserklärung. Am Mittwoch haben sich die EU-Umweltminister nach 20-stündigen Verhandlungen auf eine Verschiebung und Verbilligung des Emissionshandels für Sprit sowie Gas und Öl zum Heizen verständigt.

Der Kanzler wollte eigentlich an der Einführung zum 1. Januar 2027 festhalten, setzte sich aber nur halbherzig dafür ein. Um den Widerstand mehrerer Osteuropäer und der Franzosen zu überwinden, hätte es auch mehr finanzielle Zugeständnisse gebraucht. Emissionshandel der

Industrie: verwässert Bemerkenswert ist, was die deutsche Automobilindustrie, das Sorgenkind Nummer 1, zu dem Last-Minute-Deal aus Brüssel sagt: „Der Kompromiss ist teuer erkauft: Mit der Verschiebung des Emissionshandels für Gebäude und Verkehr wird ausgerechnet jenes marktwirtschaftliche Leitinstrument geschwächt, das kosteneffizienten Klimaschutz ermöglichen sollte.“ Statt eines klar planbaren, frühzeitigen CO2-Preissignals drohe durch die Verschiebung „ein klimapolitischer Rückschritt“.

Mit dem Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten für die Industrie hat die EU vor 20 Jahren dem Treibhausgasausstoß einen Preis gegeben. Ausgerechnet jetzt, wo immer mehr Länder über eine Nachahmung des Instruments beraten, wanken die Europäer.

Das Problem: Der CO2-Preis verteuert die in Europa produzierten Produkte gegenüber denen aus dem Rest der Welt. Deswegen erhalten unsere Hersteller, die im internationalen Wettbewerb stehen, kostenlose CO2-Scheine. Treibhausgas-Zölle, die auf klimaschädliche Einfuhren erhoben werden, sollen das ändern. Und tatsächlich könnte das klappen. So erwägen Brasilien und sogar China die Einführung einer CO2-Bepreisung, um den Zöllen zu entgehen und das Geld im eigenen Land zu behalten.

Aber kurz vor dem Klimagipfel schlug die EU-Kommission vor, nicht zuletzt wegen des Drucks aus Berlin, die Zuteilung kostenloser CO2-Scheine zu verlängern, statt die Treibhausgaszölle scharfzustellen. Auch das lässt an Merz„ Mantra zweifeln, der Markt solle es in Sachen Klimaschutz richten.

Verkehrswende auf der Bremse

Ein erheblicher Teil der Treibhausgasemissionen kommt aus den Auspuffen unserer Autos. E-Autos haben, wenn der Strom aus Wind-, Sonnen- oder Atomkraft kommt, keine Emissionen. Um die Hersteller in Europa zum Bau von E-Autos zu zwingen, beschloss die EU vor zwei Jahren, ab 2035 keine neuen Diesel und Benziner mehr zuzulassen. Aber der Hochlauf der E-Mobilität stockt aus vielen Gründen, und VW, BMW und Mercedes verdienen mit Verbrennern noch deutlich mehr Geld.

Nachdem Volkswagen deswegen um mehr Zeit bettelt, ist auch die SPD zu Kompromissen bereit. Die Koalition ist sich einig, dass ab 2035 auch noch Hybrid-Wagen zugelassen werden sollten, die mit Akku und Sprit fahren können. Merz„ Union will das sogenannte Verbrenner-Aus noch weiter aufweichen. Mit Hochspannung werden neue Vorschläge der EU-Kommission erwartet.

Wärmewende zwischen Kontinuität und Kürzungen

Festzuhalten ist: Während das E-Auto in China seinen Siegeszug fortsetzt, will die Merz-Regierung länger am Verbrenner festhalten und hat noch kein Konzept, um Haushalte mit schmalem Budget beim Kauf oder beim Leasen von E-Autos zu unterstützen.

Immerhin: Die „Abschaffung“ von Robert Habecks „Heizungsgesetz“, die Merz im Wahlkampf „versprochen“ hatte, wird es nicht geben. An der Vorgabe, dass neue Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energiequellen betrieben werden müssen, „halten wir fest“, sagte Umwelt- und Klimaschutzminister Carsten Schneider gerade.

Wie der Heizungstausch und Haussanierungen künftig genau gefördert werden, auch das ist allerdings noch in der Schwebe. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat Kürzungen nicht ausgeschlossen. Allerdings haben Wärmepumpen die Gasheizung als meistverkauftes Heizsystem in diesem Jahr bereits abgelöst. Eine gute Nachricht für den Kampf gegen die Erderwärmung.