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Interview

Politikwissenschaftler
Wie schlimm steht es um die Nato?

Lesezeit 6 Minuten
Große Aufgaben kommen auf die Bundeswehr im Rahmen der Nato-Pflichten zu.

Große Aufgaben kommen auf die Bundeswehr im Rahmen der Nato-Pflichten zu. 

Angesichts fortwährender Kritik an dem Verteidigungsbündnis durch US-Präsident Donald Trump stellt sich die Frage um den Fortbestand der Beistandspflicht.

Kann die Nato unter einem US-Präsidenten Donald Trump noch die Sicherheit Deutschlands und der Europäischen Union garantieren? Oder ist es besser, sich auf eine Zukunft ohne die Allianz vorzubereiten? Darüber hat Thomas Ludwig mit Politikwissenschaftler Christopher Daase vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung gesprochen.

Herr Daase, US-Präsident Donald Trump lässt Irans Atomanlagen militärisch zerstören und signalisiert, einen Regimewechsel zu unterstützen. Was bedeutet das für die Nato und die Europäer?

Der amerikanische Militäreinsatz gegen den Iran ist eine zusätzliche Belastung für die Nato. Wie 2003 beim völkerrechtswidrigen Angriff der USA auf den Irak gibt es große Uneinigkeit zwischen den europäischen Partnern. Nehmen Sie nur die großen Drei: Frankreich ist gegen diesen Krieg, Großbritannien dafür und Deutschland dazwischen ohne klare Position. Deshalb glaube ich auch nicht, dass die Nato im Mittleren Osten irgendeine Rolle spielen wird, selbst wenn Trump, was ich nicht glaube, bei einer Eskalation Gefolgschaft einfordern würde. Die Nato ist ja ein Verteidigungsbündnis, kein Angriffsbündnis.

Einmal mehr müssen sich die Europäer fragen, ob die USA auch ihre Interessen vertreten. So sehr man die Eindämmung des iranischen Nuklearprogramms begrüßen mag, so sehr muss Europa die Folgen dieses Präventivkrieges für das Völkerrecht fürchten. In Zukunft kann jeder beliebige Krieg mit der Begründung begonnen werden, einer zukünftigen Bedrohung zuvorzukommen. Das mag für die USA nicht schlimm sein, für Europa schon.

In einem Gutachten haben Sie mit anderen Friedens- und Konfliktforschern festgestellt, das die Nato unter einem US-Präsidenten Trump keine Zukunft hat. Was meinen Sie damit?

Donald Trump höchstselbst hat die Glaubwürdigkeit der Nato unterminiert, indem er gesagt hat: „Naja, wir wissen nicht so richtig, ob wir noch zu dieser Beistandsverpflichtung in Artikel 5 des Vertrags stehen“. Und auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat Vize-Präsident Vance die Wertegrundlage der Allianz gewissermaßen aufgekündigt, indem er gesagt hat: „Naja, Europa ist es eigentlich gar nicht wert, verteidigt zu werden“.

Inzwischen muss man aus Sicht der Europäer zustimmen: Mit dieser US-Administration gibt es kaum noch gemeinsame Werte. Die USA sind unter Trump im Autoritarismus angekommen. Sie haben ihre Funktion als stabilisierender Faktor in der Welt verloren. Militärisch mögen die USA stark sein, aber das, was sie früher an Softpower hatten, was sie als politisches Modell attraktiv gemacht hat, das ist Vergangenheit. Damit verstärkt und beschleunigt Trump den weltpolitischen Abstieg der USA. Und so etwas wird natürlich auch in Moskau aufmerksam beobachtet.

Mit Trump ist die Nato, wie wir sie bis dato kennen, also tot?

Die Nato ist kein System kollektiver Verteidigung mehr, bei dem jeder für jeden einsteht. Fast könnte man sagen, sie ist ein System der Schutzgelderpressung geworden. Wo die Europäer versuchen müssen, die USA durch Geldzahlung milde zu stimmen. Wenn man das sacken lässt, dann weiß man, was die Herausforderung für die europäischen Staaten ist. Niemand hat ein Interesse daran, die Nato klein oder kaputt zureden. Gegenwärtig geht ohne die Nato nichts. Deshalb muss man die USA auch unter Trump bei der Stange halten, solange es geht. Parallel dazu gilt es aber, die europäischen Fähigkeiten zur Verteidigung zu stärken.

Welche Erwartungen haben Sie also an den bevorstehenden Nato-Gipfel?

Ob die USA, was wünschenswert wäre, die Beistandsverpflichtung beim Nato-Gipfel ausdrücklich bekräftigen, daran habe ich meine Zweifel. Ein Erfolg wäre es schon, wenn es nicht zu einem Skandal kommt. Wir sollten alle ein Interesse daran haben, dass die USA an Bord bleiben und nicht von heute auf morgen in einem großen Affront die Nato verlassen oder große Teile ihrer Soldaten und Material aus Europa abziehen.

Dass die USA langfristig ihre Rolle in der Nato reduzieren wollen, ist klar. Wichtig wäre für die Europäer zu wissen, in welchen Schritten das geschieht. Wünschenswert, aber vermutlich sehr schwierig, wäre auch eine gemeinsame Linie im Blick auf die Unterstützung der Ukraine, damit das Land nicht von Russland überrollt wird. Es braucht mehr politischen Druck auf Putin, zum Beispiel durch zusätzliche Sanktionen, sodass es zu wirklichen Friedensverhandlungen kommt. Das geht natürlich nicht ohne die USA.

Die europäischen Nato-Mitglieder kommen den USA inzwischen weit entgegen, indem sie die Ausgaben für Verteidigung um bis zu fünf Prozent der Wirtschaftsleistungen hochfahren wollen. Ist das mehr als ein bloßes Rechenspiel?

Die fünf Prozent sind erst mal ein symbolisches Ziel. Wie das im Einzelnen umgesetzt und beispielsweise über die nächsten Jahre gestreckt wird, das wird sich dann erweisen. In der Tat wird es wahrscheinlich auf drei, 3,5 Prozent für tatsächliche Verteidigungsausgaben hinauslaufen. Dann weitere 1,5 Prozent für sicherheitsrelevante Investitionen, das kann alles Mögliche sein, beispielsweise Infrastruktur. Das könnte helfen, die Amerikaner vorerst ein Stück zu beruhigen. Aber diese Zahlen müssen dann auch mit Leben gefüllt werden. Gegenwärtig sieht es so aus, als würde der europäische Pfeiler in der Nato gestärkt werden. Und das ist auch eine notwendige Entwicklung.

Welche Rolle kann die Bundeswehr dabei einnehmen?

Bei der Nato wird es nun darum gehen, genau festzulegen, welches Land welche Kapazitäten entwickeln und vorhalten muss. Da wird einiges auf Deutschland, die Bundeswehr also, zukommen. Zum Beispiel eine höhere Zahl von Soldatinnen und Soldaten, die Deutschland zur Verfügung stellen muss. Und dann muss man sehen, welche technischen und militärischen Kapazitäten Deutschland zur Verfügung stellen muss. Deswegen wird ja auch mehr Geld im Verteidigungsbudget bereitgestellt, um die Bundeswehr entsprechend auszustatten und genau diese Ziele zu erreichen, die die Nato gemeinsam definiert.

Von BND bis zum Katastrophenschutz warnen alle davor, spätestens 2029 wäre Russland in der Lage, Europa anzugreifen. Wie plausibel ist es, dass sich Präsident Wladimir Putin wirklich mit der Nato anlegt?

Wenn man die konventionellen militärischen Kapazitäten eins zu eins vergleicht, dann ist die Nato, dann ist auch ihr europäischer Pfeiler Russland deutlich überlegen. Aber das ist natürlich nur ein Aspekt der Bedrohungssituation.

Was meinen Sie?

Es ist sicher nicht so, dass man einen Frontalangriff Russlands auf Nato-Gebiet erwarten muss. Aber was man erwarten kann, und was teilweise ja schon geschieht, sind punktuelle militärische Provokationen, vielleicht kleine Angriffe auf das Territorium der baltischen Staaten, um die Allianz zu testen. Russland hat immerhin Territorialansprüche auf die baltischen Staaten erhoben. Die Nato muss für so eine Situation gerüstet sein.

Haben Sie da als Friedensforscher nicht die Sorge, dass die massive Aufrüstung und eine teils martialisch klingende Rhetorik eine Eigendynamik bekommt, die zwangsläufig in einen großen Krieg mündet?

Dass das nicht so sein muss, zeigt die Geschichte des Kalten Krieges. Aus der damaligen Konfrontation heraus ist es irgendwann zu Gesprächen über Rüstungskontrolle und ein gemeinsames Verständnis von Sicherheit gekommen. Das ist ja immer auch der Appell von uns Konfliktforschern: Nicht ausschließlich in Kategorien von Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit zu denken, sondern gleichzeitig Möglichkeiten der Kooperation zu signalisieren.