Das NRW-Oberverwaltungsgericht sorgt mit einer Eil-Entscheidung für politischen Wirbel: Kurz vor einer Demo ist in Düsseldorf ein Verbot aufgehoben worden, zugespitzt israelkritische Parolen zu verwenden, weil diese bisher nicht strafbar sind.
Strafbarkeit gefordertDarf man das Existenzrecht Israels bestreiten?

Eine Pro-Palästina-Demonstration im Herbst in Düsseldorf.
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In der Vergangenheit wurde von Polizeibehörden häufig verboten, bei Demonstrationen das Existenzrecht des Staates Israel zu bestreiten. Vor Gericht wehrten sich die Organisatoren einer solchen Veranstaltung in Düsseldorf jetzt erfolgreich gegen eine polizeiliche Auflage, einschlägige Parolen allenfalls zu Beginn der Veranstaltung einmalig äußern zu dürfen.
Was hat das Gericht entschieden?
Die Düsseldorfer Polizei hatte dem Veranstalter der Demonstration untersagt, das Existenzrecht Israels während der Versammlung in jedweder Form zu leugnen. Außerdem sollten die im Versammlungsmotto genannten Parolen „From the river to the sea“, „There is only one state – Palestine 48“ und „Yalla, yalla, Intifada“ nur einmal zu Beginn verlesen und anschließend nicht mehr verwendet werden dürfen. Das Oberverwaltungsgericht entschied im Gegensatz zur ersten Instanz, dass man durchaus das Existenzrecht des Staates Israel bestreiten dürfe. Eine solche Meinung sei schließlich nicht strafbar. Zudem habe die „Palestine 48“-Parole habe keinen konkreten Bezug zu der in Deutschland verbotenen Terrororganisation Hamas. Das Verbot des Rufes „Yalla, yalla, Intifada“ beurteilten die Richter dagegen als „voraussichtlich rechtmäßig“, weil er als Bekundung von Sympathie für durch radikale Palästinenser verübte Gewalttaten gegenüber israelischen Zivilisten gedeutet werden kann. Ob die Verwendung der Parole „From the river to the sea“ strafbar ist, weil es sich dabei um ein Hamas-Kennzeichen handeln könnte, sei im Eilverfahren nicht zu klären gewesen, hieß es vom Gericht.
Was sagen Strafrechts-Fachleute?
„Die fehlende Strafbarkeit hat versammlungsrechtliche Folgen, die das Oberverwaltungsgericht gezogen hat – wegen der Legalität der Aussage kann sie nicht pauschal untersagt werden“, sagte die Strafrechts-Professorin Frauke Rostalski von der Kölner Universität der Rundschau. Die Leugnung des Existenzrechts des Staates Israel unterfalle grundsätzlich keinem Straftatbestand des Strafgesetzbuches. Im November 2023 habe das Bundesinnenministerium gleichwohl anlässlich der Verbotsverfügung gegen die Hamas in Deutschland die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ als Kennzeichen der Organisation bezeichnet. „Das Oberverwaltungsgericht hat sich dem aber offensichtlich nicht angeschlossen, was es auch nicht muss, weil es sich bei der Einschätzung des Ministeriums nicht um ein Gesetz handelt“, so Rostalski. Nur wenn die Aussage genutzt werden würde, um andere zu einer Straftat aufzustacheln, könne eine Strafbarkeit vorliegen, was dann auch Auswirkungen auf Verbote für Demonstrationen habe. In einer freiheitlichen Demokratie müssten auch Äußerungen ausgehalten werden, die provozieren oder möglicherweise für Teile der Bevölkerung verletzend sind, erläuterte die Professorin: „Will man das ändern, muss man neue Gesetze formulieren.“
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Ist ein Verbot politisch gewünscht?
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte Ende 2023 bereits den Vorschlag für eine Strafbarkeit israelfeindlicher Parolen in den Deutschen Bundestag eingebracht. In dem Gesetzentwurf hieß es, die „Leugnung“ des Existenzrechts des Staates Israel soll mit drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden, in besonders schweren Fällen mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Die Union begründete das mit der Gefahr für den öffentlichen Frieden und der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands. In einer Anhörung äußerten sich zahlreiche Experten kritisch zu einer solchen Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit, letztlich wurde der Gesetzentwurf abgelehnt. Ob er nun – womöglich in veränderter Form – in dieser Legislaturperiode erneut eingebracht werden soll, ist bisher unklar.
Auch die Kölner Strafrechts-Professorin Frauke Rostalski Rostalski steht einer solchen Erweiterung des Paragrafen zur Volksverhetzung kritisch gegenüber. Meinungsäußerungen dürften nicht verboten werden. „Insgesamt mag diese Rechtslage ernüchtern angesichts der Reichweite des Konflikts und seines Potenzials“, ordnet die Fachfrau ein: „Allerdings ist das Strafrecht nicht der richtige Ort, um gesellschaftliche Konflikte auszutragen. Meinungen zu unterdrücken, führt nicht dazu, dass diese verschwinden, im Gegenteil. Wichtig wäre hier der offene Diskurs.“
Was sagt die Deutsch-Israelische Gesellschaft?
„Die objektive Strafbarkeitslücke bei Vernichtungsdrohungen gegen Israel – sichtbar etwa daran, dass ‚Tod Israel!‘-Rufe regelmäßig ohne strafrechtliche Folgen bleiben – ist seit Langem bekannt und politisch verdrängt“, erklärte Volker Beck, Präsident der Organisation, auf Anfrage der Rundschau: „Es braucht dringend eine klare, eigenständige Strafnorm, die Aufrufe zur Vernichtung eines UN-Mitgliedstaates, insbesondere Israels, und deren Billigung unter Strafe stellt und so den Schutz des öffentlichen Friedens und der jüdischen Gemeinschaft effektiv gewährleistet.“ Die Justiz treffe hier keine Schuld, sie entscheide auf der Grundlage der bestehenden Normen, so Beck: „Wenn das Gericht feststellt, dass die bloße Leugnung des Existenzrechts Israels nach aktueller Rechtslage keinen eigenen Straftatbestand erfüllt, legt es lediglich offen, dass der Gesetzgeber seine Arbeit noch nicht getan hat.“
Volker Beck verweist darauf, dass das Berliner Tikvah Institut, das Strategien gegen Antisemitismus erforscht, bereits einen Vorschlag für einen neuen Paragrafen 103 im Strafgesetzbuch („Aufruf zur Vernichtung eines Staates“) entworfen hat. Diesen solle der Bundestag zeitnah aufgreifen. Konkret heißt es in dem Entwurf: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer zur Vernichtung eines Staates, der Mitglied der Vereinten Nationen ist und zu dem die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält, aufruft oder eine solche Tat billigt.“
Was ist mit künftigen Demos?
Da es sich um eine Entscheidung im Eilverfahren handelt, konnten einige Detailfragen nicht abschließend geklärt werden: In erster Linie ging es darum, ob und wie die konkrete Kundgebung in Düsseldorf stattfinden durfte. Zudem beurteilten die Richter die drei Parolen durchaus unterschiedlich. Zumindest führt die Entscheidung nun zu einer neuen Rechtsunsicherheit auf der Seite der Polizeibehörden. Sie werden voraussichtlich in Zukunft in NRW zurückhaltender sein, wenn es darum geht, entsprechende Auflagen für Demonstrationen zu erteilen.
Da das Gericht aber seine Argumentation weder am Verwaltungs- noch am Völkerrecht aufmacht, sondern vor allem auf die festgeschriebene Strafbarkeit in Abwägung mit dem Grundrecht auf freie Meinungsfreiheit abstellt, dürfte es spannend werden, wie jenseits von Eilverfahren die Situation in einer möglichen Hauptverhandlung betrachtet würde, ganz gleich von wem und in welchem konkreten Fall sie angestrengt würde. Es wäre zudem wahrscheinlich, dass eine Entscheidung – wie auch immer sie ausgeht – von der einen oder anderen beteiligten Seite vor die obersten Bundesgerichte getragen würde. Das letzte Wort würde dann das Bundesverfassungsgericht haben, was erfahrungsgemäß mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann.
Eine Klärung durch eine Ergänzung des Strafgesetzbuches wäre schneller zu haben. Dafür aber müssten politische Mehrheiten gefunden werden, die jenseits der Unionsparteien im Parlament nach wie vor unwahrscheinlich sind. In der vergangenen Legislaturperiode hatten CDU und CSU den Gesetzentwurf noch als Oppositionspartei eingebracht. Eine Sachverständige, die seinerzeit vom heutigen Koalitionspartner SPD benannt worden war, hatte die vorgeschlagene Strafbarkeit zugunsten der Meinungsfreiheit abgelehnt.
