„Le Moissonnier“ schließt„Wenn wir etwas auf die Beine stellen, dann wird es perfekt sein“

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Stühle hoch: Vincent Moissonnier im „Le Moissonnier“ auf der Krefelder Straße in Köln.

Stühle hoch: Vincent Moissonnier im „Le Moissonnier“ auf der Krefelder Straße in Köln.

Nach 36 Jahren öffnet das Le Moissonnier - Kölns wohl bestes Restaurant - am Freitag zum letzten Mal. Im Interview spricht Vincent Moissonnier über besondere Begegnungen und Pläne für die Zukunft.

Nach 36 Jahren schließen Sie am Freitag Ihr Restaurant. Beenden Sie dieses Kapitel an dem berühmten Punkt, an dem es am schönsten ist?

Das weiß ich nicht. Man müsste die anderen Punkte kennen.

Im März haben Sie die Entscheidung öffentlich gemacht, nun ist es soweit. Wie geht es Ihnen damit?

Genauso wie gestern und vorgestern auch. Ich habe keine Vorfreude, ich habe keine Wehmut. Es ist wie in einem Buch. Irgendwann kommst du zur letzten Seite und dann sagst du: „Das war ein schönes Buch.“ Unser Restaurant, das war eine ganz tolle Geschichte. Und ich habe selbst entschieden, wann ich sie beende. Das ist ein unglaubliches Gefühl, sein eigenes Schicksal in der Hand zu haben.

Sie haben Ihre Entscheidung in einem „Lettre du Coeur“, einem Herzensbrief, ihren Stammgästen mitgeteilt. Es gab ziemlich viele Rückmeldung.

Die Leute waren so begeistern von diesem Brief. Die Gedanken sind zwar von Liliane und mir. Geschrieben hat ihn aber Thomas Hackenberg, ein enger Freund von uns. Alle Schreibgeschichten holt Thomas bei uns ab, saugt unsere Gefühle auf und bringt sie auf Papier. Die Leute sagen immer: „Der Moissonnier kann alles. Der kann kochen, der kann Wein aussuchen, der kann schreiben.“ Ich kann gar nichts. Es ist keine One-Man-Show, sondern Mannschaftsarbeit. Ich darf Leute delegieren, die einfach exzellent sind.

Hätten Sie gedacht, dass Ihr Restaurant für so viele Menschen eine so große Rolle im Leben spielt?

Nein. Diesen Tsunami der Liebe haben wir nicht erwartet. Wir hatten jeden Tag so viele Leute im Restaurant, die in unseren Armen geweint haben – und uns ihr Leben erzählt haben. Es gab ein Pärchen, das hat sich hier kennengelernt. Das hat sich hier das Ja-Wort gegeben. Und das hat sich hier wieder getrennt. Und dann kommen die beiden zusammen als enge Freunde weiter hier essen. Er ist verheiratet. Sie ist verheiratet. Und beide sind glücklich. Du glaubst, du bist im Film. Und sowas gibt es täglich. Mich begeistert es, zu sehen, was ein Restaurant auslösen kann.

Die Fliege saß schon damals: Vincent Moissonnier in der 80er Jahren.

Die Fliege saß schon damals: Vincent Moissonnier in der 80er Jahren.

Haben Sie noch so eine Geschichte?

Ja, eine Geschichte, die eine kleine Lehre fürs Leben für mich ist. Ich habe einen großen Fehler. Ich beurteile Menschen viel zu schnell. Wir hatten ein Ehepaar hier, um die 75. Die kamen rein und ich habe zu meiner Frau Liliane gesagt: „Warum ziehen die so ein Gesicht? Warum kommen die zu uns essen, wenn sie überhaupt keine Lust haben?“ Im Laufe des Abends sind wir ins Gespräch gekommen und der Mann erzählt: „Das war immer mein Wunsch, bei Ihnen hier mit meiner Frau zu sitzen. Ich bin 18 Mal wegen Krebs im Gesicht operiert worden.“ Dadurch konnte er nicht lächeln. Für das Paar war es ein wunderschöner Moment. Und ich habe zu mir gesagt: „Du Arschloch.“ Sowas bleibt für immer.

Gab es Gäste, die Sie noch zum Weitermachen überreden wollten?

Ja, viele. Aber es ist hoffnungslos. Es ist eine Entscheidung, die reiflich überlegt ist. Meine Mannschaft ist aufs Aufhören eingestimmt. Das ist wie ein Motor, der ausläuft. Den kriegst du nicht mehr gestartet.

Ihr Koch Eric Menchon war relativ geschockt, als Sie ihm die Entscheidung mitgeteilt haben.

Das ist normal. Das ist sein Lebenswerk hier. Und dann entscheiden wir, dass es zu Ende ist. Er hat schwer damit zu tun gehabt, hat drei Nächte lang nicht geschlafen. Wir haben sehr, sehr viel diskutiert und er hat es eingesehen. Er wird für alle Ewigkeit als Zwei-Sterne-Koch in Köln im Kopf bleiben. Und er hat bis zum letzten Tag die perfektesten Teller rausgeschickt, die es gibt. Der ist preußischer als Sie und ich zusammen.

Ich mache jeden Tag um 8 Uhr morgens und um Mitternacht wieder zu. Das gibt es woanders kaum noch.
Vincent Moissonnier

Ein Restaurant 36 Jahre auf diesem Niveau aufrecht zu erhalten, ist etwas Besonderes. Was ist das Geheimrezept?

Ich habe zu Liliane neulich gesagt: „Findest du nicht auch, dass wir sehr viel Glück gehabt haben in all den Jahren?“ Und sie sagte: „Nein, wir haben viel gearbeitet. Wir waren immer da.“ Ich mache jeden Tag um 8 Uhr morgens und um Mitternacht wieder zu. Das gibt es woanders kaum noch.

An wie vielen Tagen waren sie in diesen 36 Jahren nicht da?

10 Tage, da hatte ich Corona. Mehr nicht. Augen-Op, Leisten-Op, Knie-OP – das habe ich immer während des 3-wöchigen Sommer-Urlaubs gemacht. Wenn es losging, musste ich wieder fit sein.

Wann haben Sie erstmals darüber nachgedacht, das Kapitel zu beenden?Es hat vor zwei Jahren angefangen. Ich habe auf meine Seele gehört. Irgendwann hast du hier alles mitgemacht. Jeden Tag 14 Stunden arbeiten. 14 Stunden, in denen du versuchst, alle Leute glücklich zu machen. Irgendwann will man das nicht mehr. Entweder ganz oder gar nicht.

Was haben Sie durch die viele Arbeit verpasst?

Die Erziehung meiner Kinder war gut, aber ich hätte gerne mehr Zeit für sie gehabt. Eine Szene werde ich nie vergessen. Der Laden war brechend voll und mein sechs- oder siebenjähriger Sohn Tim kam mit Roller Blades in den Laden. „Tim, es sind Gäste hier“, habe ich gesagt. Da schaut mich mein Sohn an und sagt: „Aber Papa, ich wohne hier.“ Das habe ich nie vergessen.

Man darf nicht vergessen, dass die Welt zu uns gekommen ist. Das hat Liliane und mich auch geschützt vor allem, was man nicht machen darf.
Vincent Moissonnier

Gibt es andere Dinge, die sie gerne miterlebt haben?

Man darf nicht vergessen, dass die Welt zu uns gekommen ist. Das hat Liliane und mich auch geschützt vor allem, was man nicht machen darf. Denn du hast die besten Beispiele vor dir. Leute, die komplett unter Strom stehen, mit Alkohol, mit Kokain, mit Stress. Die schönen Dinge und die Probleme sind alle zu uns gekommen, auch Ehekrach und Scheidungen.

Was sind die größten Veränderungen in 36 Jahren gewesen?

Wir sind von Gas auf Induktion umgestiegen. Und damals gab es noch kein Internet. Wir konnten Fehler über Fehler machen, das wurde gar nicht publiziert. Meine jungen Kollegen tun mir leid. Die haben kaum den ersten Teller auf den Tisch, da ist er auf Instagram und wird kritisiert.

Wie ist die gehobene Kölner Gastro-Szene ohne das „Le Moissonnier“ aufgestellt?

Das Prinzip, wo der Kunde nur noch dasitzt und nichts zu melden hat, finde ich nicht gut. Der Kunde verdient Respekt. In vielen Läden gibt es nur noch feste Menü und Vorgaben, wie man zu essen hat. Das will der Kunde vielleicht in einer Weltstadt, aber nicht in Köln. Die Läden werden alle auf die Schnauze fallen.

Gibt es auch positive Beispiele?

Es gibt junge Gastronomen, die unprätentiös das Beste rausgeben, was sie können. Und das ohne eine Ambition auf Sterne, Mützen, Punkte oder sonst was. Gute Beispiele sind die Ouzeria am Brüsseler Platz oder die Caruso Pastabar. Diese Läden haben eine Identität. Eine Küche ohne Identität ist furchtbar.

Nur wenn es um Geld geht, kommen sie zu uns. Ich bin praktisch wie ein Aufsichtsrat. Die nächste Generation muss jetzt übernehmen.
Vincent Moissonnier über das neue Restaurant-Konzept

Das Ende des Zwei-Sterne-Restaurants ist der Start für ein neues gastronomisches Konzept an gleicher Stelle. Was können Sie schon verraten?

Ursprünglich wollten wir nur noch den Weinhandel weitermachen. Damit die vielen Mitarbeiter wie mein Koch Eric, die seit 20 Jahre und mehr hier gearbeitet haben, sich keinen neuen Job suchen müssen, haben wir uns ein neues Konzept überlegt. Ein Konzept, bei dem Liliane und ich mehr Luft haben. Wir starten im September. Im Dezember machen wir einen Strich drunter. Wenn ich merke, dass es an unsere Reserven geht, dann machen wir Schluss. Dann machen wir nur noch den Weinhandel.

Welche Rolle spielen Sie bei dem neuen Konzept?

Die Hauptverantwortung haben Eric, meine Tochter Pauline und meine Restaurantleiterin Christine. Nur, wenn es um Geld geht, kommen sie zu uns. Ich bin praktisch wie ein Aufsichtsrat. Die nächste Generation muss jetzt übernehmen. Der Name bleibt, die Qualität bleibt. Und seien Sie versichert: Wenn wir mit Eric und Liliane etwas auf die Beine stellen, dann wird es perfekt sein. Und wenn es nicht perfekt ist, dann gibt’s Ärger.

Mehr Zeit mit Frau Liliane und für seine Winzer

Was haben sie persönlich für Pläne?

Ich will mehr Zeit haben mit Liliane. Sie hat es so sehr verdient, viel mehr als ich. Sie leidet still im Hintergrund. Wenn ich glücklich bin, ist Liliane glücklich. Wenn ich hochkoche, holt sie mich wieder runter. Wir haben ein wunderschönes Haus im Elsass. Wenn ich meine Frau dahin bringe, dann ist sie glücklich. Das ist für sie Entspannung pur. Ich muss mich um diese Frau kümmern, denn sie ist eine tolle Frau. Ganz Köln soll wissen, dass sie eine tolle Frau ist.

Haben Sie Hobbys, denen Sie verstärkt nachgehen wollen?

Ich jogge, aber dafür brauche ich nicht mehr Zeit. Das machst du eine Stunde, wenn du Lust hast. Ansonsten: Meine Weine vermarkten und Winzer besuchen. Die Leute, die ich liebe, die mir ihre Produkte anvertrauen. Und ich werde die Leute besuchen, die früher hier gearbeitet haben. Die sind mittlerweile selbstständig oder arbeiten mit viel mehr Verantwortung irgendwo. Sie werden stolz sein, dass der alte Sack sie besucht.


Mit Küchenchef Eric Menchon kamen die Sterne

1987 eröffneten Liliane und Vincent Moissonnier das „Le Moissonnier“ auf der Krefelder Straße. Der Plan: ein kleines französisches Bistro mit ein paar Leckereien und französischen Weinen. Als der junge Eric Menchon aus Südfrankreich mit an Bord kam – „neugierig und voller Lust, die Grenzen der Kochkunst immer weiter nach oben zu verschieben“ – wurde das Restaurant nicht nur zum doppelten Familienbetrieb. Menchon brachte seine Frau Patricia mit und war zu großen Teilen mitverantwortlich dafür, dass das „Le Moissonnier“ sich zum Gourmet-Restaurant entwickelte.

1997 bekamen Eric Menchon und das „Le Moissonnier“ den ersten Michelin-Stern, 2007 folgte der zweite. „Äußerst zuvorkommend und schlichtweg perfekt im Umgang mit den Gästen zeigen sich die herzlichen Gastgeber Liliane und Vincent Moissonnier“, schrieb der Guide Michelin in seinem jüngsten Kommentar zu seiner Zwei-Sterne-Bewertung. Im „angenehm legeren“ Restaurant fühle sich der Gast direkt versetzt „ins quirlige Paris mit seinen entzückenden Bistros“. Eric Menchon begeisterte die Tester „mit einer aromaintensiven Küche, die auf seiner französischen Heimat basiert“. Am Freitag feiert das Team um Vincent Moissonnier Abschied mit Familie und Freunden. Ab September startet das Restaurant mit einem neuen Konzept. 

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