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Interview mit Wladimir KaminerKaminer mit Reiseberichten über deutsche Provinzen im TV

Lesezeit 6 Minuten

Unterwegs in Deutschland: Wladimir Kaminer auf seiner Reise durch die Provinz.

Köln – Privat ist er Russe, beruflich einer der erfolgreichsten Schriftsteller Deutschlands. Wladimir Kaminer ("Russendisko") schreibt nicht nur auf Deutsch, was man ihm bei seinem kantigen Akzent gar nicht zutraut, er hat auch einen ausgeprägt verschrobenen Humor. Bislang hat der 48-jährige "Deutschlandbeobachter" drei Millionen Bücher verkauft. Sein neuestes Projekt findet ab 24. August aber im Fernsehen statt (Montag bis Freitag, 19.30 Uhr, 3sat). "Kulturlandschaften" ist ein Reisebericht über deutsche Provinzen. Der in Berlin lebende Moskauer besucht den Schwarzwald, Wuppertal, das Saarland, Mecklenburg-Vorpommern und die Eifel. Dabei erfährt man - angenehm leicht und unaufdringlich - viel über das deutsche Wesen.

Herr Kaminer, wie haben Sie sich der deutschen Provinz genähert?

Meine Informanten waren die ortsansässigen Künstler. Sie haben sich tatsächlich mit ihrem Wohnort auseinandergesetzt. Als ahnungsloser Fremder hätte ich sonst kaum eine Chance gehabt, das Leben dort zu verstehen.

Bewirkt die Globalisierung nicht, dass die Welt sogar in der Provinz überall gleich aussieht?

Nein. Durch Globalisierung wird die Welt immer kleiner, das stimmt. Aber: In einer kleinen Welt gewinnen auch die kleinen Kulturen an Bedeutung. Die Menschen wollen wissen, wie sie sich von ihren Nachbarn unterscheiden.

Konnten Sie deutliche Unterschiede erkennen?

Ich reiste durch fünf deutsche Provinzen. Und es kam mir vor, als wäre ich in fünf unterschiedlichen Ländern gewesen. Das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern kann man nicht verwechseln.

Warum nicht?

Mecklenburg ist eine Mischung aus meiner Heimatstadt Moskau und einem Kurort. Menschen, die zu lang aufs Wasser gestarrt haben, lassen sich von nichts mehr beeindrucken. Ich war auf einem Hafenfest in Wismar. Dort sagte mir ein Fischbrötchenverkäufer ziemlich schroff: "Von dir will ich kein Geld." Ich dachte: "Wow, er muss meine Bücher kennen."

Und wie ging"s weiter?

Er nahm vom Rentner hinter mir ebenfalls kein Geld und von dem Pärchen dahinter auch nicht. Ich glaube nicht, dass sie alle Schriftsteller waren.

Wie erklären Sie sich das Verhalten des Verkäufers?

Er wollte einfach nicht länger an diesem Stand stehen. Der Mecklenburger hat diese ruppig-sozialistische Art, die mir aus meiner Heimat bekannt vorkommt. Ein Wesenszug, den man im Saarland oder Schwarzwald lange sucht.

Was haben Sie dort erlebt?

Ein bisschen "Herr der Ringe". Im Schwarzwald leben die Hobbits. Oder ist das jetzt beleidigend? Na ja, eben Menschen, die eine starke Beziehung zur Erde haben. Schwarzwälder sind Erdmenschen.

Und Saarländer?

Saarländer stehen fürs Feuer. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben, kann man sie nicht mehr vom Gegenteil überzeugen. Und wenn es jemand schafft, dann nur Kinder.

Wie kommen Sie darauf?

Ich habe die Völklinger Hütte besucht. Ein Stahlbetrieb, Zeugnis der Industrialisierung. Zehntausende Menschen haben dort gearbeitet. Dann wurde die Anlage stillgelegt, seit 1994 ist sie Weltkulturerbe der Unesco. Man hat angefangen, dort Kunst und Kultur zu veranstalten. Die alten Menschen aus dem Ort wollten jedoch nie wieder hingehen. Das ist typisch saarländisch. Der Direktor der Anlage begann schließlich, Kinderveranstaltungen in der Völklinger Hütte zu organisieren - und das klappte.

Was klappte?

Über die Kinder kamen die Großväter. Die konnten schließlich nicht nein sagen, wenn ihre Enkel sie darum baten. So mussten sie die Fabrik besuchen, die sie einst verlassen hatten.

Sie haben auch in einer Stadt gedreht. Warum Wuppertal?

Wuppertal ist für mich rheinischer Kommunismus. Man findet dort viele geplatzte Hoffnungen und Träume. Man sieht aber auch eine wunderschöne Landschaft. Es ist eine lange, schmale Stadt, die nur aus Bergen und Treppen besteht. Dann gibt es dort noch diese komische U-Bahn, die mit dem Kopf nach unten hängt.

Die Schwebebahn.

Ja. Ich glaube, dass die Leute in Wuppertal große Schwierigkeiten hatten. Aber sie schafften es, ihre eigene Ohnmacht dem Kapitalismus gegenüber zu überwinden. Die Stadtkasse ist leer, sie mussten das Theater schließen. Daraufhin haben die Bürger ein eigenes mobiles Theater gegründet. Es geht durch die Stadt und erzählt deren Geschichte anhand eines Theaterstückes.

Fehlt noch die Eifel. Was fanden Sie dort Spektakuläres?

Seltsame Menschen. Zum Beispiel einen 80-jährigen Künstler. Paul Greven schaute auf dem Globus, was auf der anderen Seite der Welt liegt. Nelson in Neuseeland. Er schrieb den dortigen Bürgermeister an und erfuhr, dass in Nelson viele Maori leben. Paul wollte diese Maori in die Eifel einladen. Die Maori hatten aber kein Geld, um die Einladung anzunehmen. Also fing Paul an, einen Tunnel zu graben, damit die Maori ohne Geld nach Honerath in die Eifel reisen konnten. Das ist natürlich ein Witz, eine Lachnummer.

Aber?

Die Nachbarn baten Paul, damit aufzuhören - doch der machte weiter. Er verzierte das Loch mit Maori-Ornamenten und gab ein Fest, um die Maori willkommen zu heißen. Am Ende wurden zwar nur Würste gegrillt, trotzdem sind jetzt alle im Dorf große Fans des Künstlers und der Maori. Wer hätte gedacht, dass eine Gegend, von der man dachte, dass dort an nur Kühe und belgische Wanderer herumstehen, so von der Kunst begeistert ist.

Sind Künstler in der Provinz anders als in den Städten?

Künstler in der Provinz werfen längere Schatten. In einer Metropole, in der es an jeder Ecke Kunst gibt, geht alles Schöne und weniger Schöne wortlos unter. In der Provinz ist man viel neugieriger auf das Abenteuer um die Ecke.

Ist die deutsche Provinz anders als die russische?

Nicht gravierend. Nur dass man in der russischen Provinz viel mehr nach Unabhängigkeit strebt als in der deutschen. Dass man Moskau hasst, gehört in der russischen Provinz zum Selbstverständnis. Man ist dort sehr selbstständig. Ja, man könnte sagen: hochnäsig. Und je kleiner die Stadt, desto patriotischer sind Menschen. Sie sind der Meinung, das wahre Russland wären nur sie selbst, und alles andere drum herum sei völlig verdorben.

Es gibt viele Landschaftsdokumentationen im deutschen Fernsehen. Erfährt man in Ihren Filmen andere Dinge?

Man erfährt, dass Menschen keine Engel sind. Sie schweben nicht in einem bodenlosen Raum.

Sondern?

Menschen sind verankert in der Geschichte ihrer Region. Wenn man aus dem Saarland kommt, sind Orte wie die Völklinger Hütte oder die Nähe Frankreichs in ihnen verankert. Das sind Elemente einer anderen Geschichte, als sie Berliner oder Brandenburger in sich tragen. Überhaupt habe ich festgestellt, dass man im Kleinen, gerade in der Provinz, das Große sehr gut erkennen kann.

Und welche Gemeinsamkeiten fanden Sie unter den Deutschen?

Die Liebe zum Wald. Der Wald war immer eine deutsche Seelenlandschaft. Wenn man hierzulande im Wald Wanderer trifft, weiß man, wie glückliche Menschen aussehen. Irgendwann sind die Deutschen aus dem Wald herausgekommen und haben außerhalb viele Dinge geschafft. Trotzdem tragen die Deutschen ihren Wald immer noch im Herzen.