Sterne-GastronomWie und mit was isst man eigentlich Austern, Vincent Moissonnier?

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Vincent Moissonnier in der Küche seines Restaurants.

Vincent Moissonnier in der Küche seines Restaurants.

In unserer Stilkolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten – ob beim Essen oder im Gespräch. Diesmal erklärt Restaurant-Chef Vincent Moissonnier, wie man Austern isst.

Leserfrage: In letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass immer mehr Restaurants Austern auf die Speisekarte nehmen. Aber wie bei anderen Meeresfrüchten auch, zögere ich, sie zu bestellen – nicht zuletzt, weil ich mich beim Hantieren nicht blamieren will. Haben Sie ein paar Tipps für den Verzehr?

Wenn Sie es an Silvester kulinarisch ein bisschen krachen lassen wollen und dafür in einem guten Haus reserviert haben, naht Ihre Austern-Premiere vielleicht schon heute. Und ich möchte Sie dazu ermutigen – unter ein paar Bedingungen. Für den Verzehr von Austern, aber auch Muscheln und anderen Meeresfrüchten galt traditionell die Regel: nur in Monaten mit einem „R“, das heißt also von September bis April. Nicht davor und nicht danach. Nun, die Zeiten haben sich geändert: Heute stehen Austern tatsächlich das ganze Jahr über auf der Karte, und Sie können sie auch unbedenklich das ganze Jahr über bestellen. Ich füge allerdings hinzu: Die alten Empfehlungen hatten schon ihren Sinn. Ab dem späten Frühjahr nämlich lässt die Qualität der Austern nach. Sie sind nicht mehr so klar und verlieren die ihnen eigene Mineralität mit dem typischen Jod-Geschmack.

Grundsätzlich rate ich, Rohprodukte wie Meeresfrüchte nur in Lokalen zu bestellen, in denen Sie das Gefühl haben: Hier wird sauber gearbeitet. Ich bin überzeugt, die meisten Menschen mit einer Abneigung oder einer (vermeintlichen) Allergie gegen Meeresfrüchte haben irgendwann einmal etwas Verdorbenes gegessen – und es vielleicht nicht einmal gemerkt. Das ist wie mit einem Wein, der Kork hat. Der schmeckt natürlich schlimm, aber man muss wissen, dass das am Wein liegt und nicht am Weintrinker. Für schlechten Geschmack und erst recht für verdorbene Speisen hat unser Körper jedenfalls ein sehr sensibles Langzeitgedächtnis.

Bitte nicht feste darauf herumkauen – eine Auster ist kein Steak!

Beim Öffnen der Austern muss man darauf achten, mit einem scharfen, spitzen Messer nur bis knapp unter den Schalenrand zu gehen. Sonst trifft die Messerspitze die Auster, die sich dann auf ein Drittel ihres Volumens zusammenzieht. Das sieht nicht gut aus und gilt als klarer gastronomischer Kunstfehler. Die Optik spielt gerade bei Meeresfrüchten eine entscheidende Rolle. Um die Auster zu essen, nehmen Sie sie zunächst zwischen Daumen und Zeige- oder Mittelfinger. Mit einer kleinen Gabel – in der gehobenen Gastronomie gibt es spezielle Austerngabeln – lösen Sie vorsichtig das Fleisch der Auster von der Schale. Dann führen Sie die Schale an die Lippen, legen den Kopf leicht nach hinten und lassen die Auster in den Mund gleiten. Bitte nicht feste darauf herumkauen – eine Auster ist kein Steak! Ein, zweimal maximal, dann schlucken und den intensiven Jod-Geschmack für ein paar Sekunden lang nachwirken lassen.

Ich persönlich bin beim Austern essen Purist: Da kommt mir nichts dran! Es ist aber durchaus erlaubt, Austern mit einem Tropfen Zitrone oder Schalotten-Vinaigrette abzuschmecken. Eine Prise frisch gemahlener Pfeffer tut’s auch. Oder halt à l’americaine: mit ordentlich Ketchup und Tabasco obendrauf. Nein, Scherz – das natürlich nicht! Im Restaurant vergeben Sie sich übrigens nichts, wenn Sie das Personal um Hilfe bitten. Mir ist es viel lieber, ich erkläre einem Gast, wie er seine Austern isst, als dass er selbst versucht und sich um den Genuss bringt. Besonders an Silvester wäre das doch gar zu schade! Ich wünsche Ihnen – mit oder ohne Austern – ein glückliches und genussreiches neues Jahr! Aufgezeichnet von Joachim Frank Haben Sie auch eine Frage zum guten Stil? Senden Sie uns diese bitte per Mail an: stilkolumne@dumont.de

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