Merheim – Gemächlich dreht der Sekundenzeiger seine Runden. Quälend langsam sammelt er die Sekunden und Minuten ein. Später die Stunden. Eine Stunde war für Monika S. ein 3600-maliges Ticken. Ihr Bett, in dem sie sich ähnlich wie der Zeiger unzählige Male um sich selbst drehte, wurde schon vor langer Zeit zum Ort der Anspannung. Jeder vierte Erwachsene leidet wie Monika S. unter Schlafstörungen. Fast jede dritte Frau und mehr als jeder fünfte Mann sagen von sich, mindestens drei Mal in der Woche schlecht zu schlafen, so eine Untersuchung des Robert-Koch-Instituts. "Etwa 15 bis 20 Prozent dieser Störungen sind behandlungswürdig", sagt Christine Hamm, Somnologin und Psychologin am Zentrum für Schlafmedizin der Lungenklinik am Krankenhaus Köln-Merheim.
Ein Drittel des Lebens ist Schlaf
Was man genau behandelt, kann die Somnologie, die Schlafforschung, dabei erst seit einigen Jahrzehnten genauer erklären. Der Zustand, in dem wir uns etwa ein Drittel unseres Lebens befinden, ist wissenschaftlich betrachtet immer noch in vielfacher Hinsicht ein Rätsel. Inzwischen weiß man allerdings: Schlafen ist alles andere als ein Zustand der Inaktivität. Was genau während des Schlafs in Körper und Geist passiert, hat die Somnologie immer weiter erforscht. Sie hat ihn in Phasen zerstückelt und die Gehirnströme von Schlafenden gemessen. Sie fand heraus, dass Puls, Atemfrequenz und Blutdruck im Schlaf sinken. Doch bis heute können auch moderne Forscher nicht sicher sagen, warum genau wir eigentlich schlafen müssen. Nur eins scheint klar: Wenn uns der Schlaf fehlt, merken wir das sehr schnell. Klar ist zudem, dass Schlaf von Umweltfaktoren beeinflusst wird. "Heute bestimmen elektrisches Licht und flexible Arbeitszeiten unseren Schlaf-Wach-Rhythmus", erklärt die Schlafforscherin Christine Hamm. Anders als noch vor Jahrzehnten arbeiten viele Menschen heute zudem nicht mehr körperlich hart, gleichzeitig sind die psychischen Belastungen im Job gestiegen. All das hat sich auf den Schlaf ausgewirkt, glaubt Hamm: "Der Mensch muss sich also zwangsläufig einem bestimmten Rahmen anpassen." Was aber, wenn er das nicht schafft?
Monika S. fiel aus diesem Rahmen, als eine Operation anstand. Danach wollten der Stress und die Anspannung einfach nicht weggehen. Sie wirkten sich bald auch auf den Schlaf der 61-Jährigen aus - sie wälzte sich im Bett umher und grübelte herum. "Über Monate hinweg begann sich der Schlaf allmählich zu verselbstständigen", sagt sie heute. "Er war irgendwann einfach kein Teil mehr von mir." Monika S. verlor die Kontrolle über ihren Schlaf. Je länger der Zeitraum wurde, in dem sie nicht mehr richtig schlief, desto mehr Stress baute sich in ihr auf. Noch mehr Wut, noch mehr Hilflosigkeit, die selbst durch starke Schlafmittel nicht eingedämmt werden konnte. Immer öfter stand Monika S. abends vor ihrem Bett und dachte: "Bestimmt werde ich heute wieder mal nicht schlafen können." Solche Erfahrungen machen viele Patienten, erklärt Schlafforscherin Hamm. Das Krankheitsbild Insomnie beschreibt dabei nicht nur das Fehlen von Schlaf, sondern auch Ein- und Durchschlafstörungen. Die Gründe für diese Störungen können dabei oft schon Jahre zurückliegen und längst bewältigt sein - dennoch ist die Schlafstörung bei vielen Patienten geblieben. "Oft ist diese Verselbstständigung der Schlafstörung auf einen Teufelskreis zurückzuführen", erklärt Christine Hamm. Bei den meisten Menschen stünden die Gedanken über den Schlaf nach jahrelangem Leidensweg im Mittelpunkt. "Der Patient erlebt die ersten schlechten Nächte. Er wird allmählich ängstlich und bekommt Stress. Das führt nach und nach zu einer negativen Erwartungshaltung vor dem Zubettgehen." Führt bei gesunden Schläfern schon der bloße Anblick eines Bettes zu einem leichten Blutdruckabfall, steigen bei den Patienten im Teufelskreis Nervosität und Anspannung, je näher die Nacht rückt.
Bevor der Weg ins Schlaflabor führt, können noch einige einfache Verhaltensregeln zum Ziel erholsamer Schlaf führen:
Halten Sie regelmäßige Bettzeiten ein und schlafen Sie nicht zu lang. Auch nicht am Wochenende.
Wenn Sie nicht einschlafen können, schauen Sie nicht dauernd auf die Uhr. Drehen Sie den Wecker von sich weg oder verbannen ihn sogar ganz ausdem Schlafzimmer.
Heizen Sie im Schlafzimmer nicht zu viel ein. Temperaturen von 15 bis 17 Grad sind ideal.
Mal ein Nickerchen zwischendurch? Schlafen Sie am Tag maximal 20 Minuten. Wird es mehr, kommen Sie abends schlecht zur Ruhe.
Verzichten Sie drei Stunden vor dem Zubettgehen auf anstrengenden Sport. Aber knallen Sie sich auch nicht nur einfach aufs Sofa. Ein wenig Aktivität fördert das Schlafbedürfnis.
Lassen Sie sich nicht vom Blaulicht wachhalten. Laptops und Fernseher drosseln die Melatonin-Ausschüttung.
Hören Sie auf Ihre inneren Signale. Der Wach-Müde-Rhythmus verläuft in Wellen - das nächste Wellental kommt. Nicht zu einer bestimmten Zeit unbedingt schlafen wollen.
Bleiben Sie nicht länger als eine halbe Stunde wach liegen. Sonst ist das Bett nicht länger ein Ort der Ruhe, sondern der Angst vor Schlaflosigkeit.
"Am Ende steht ein gestörter chronobiologischer Rhythmus, der stark abgeflacht ist", erklärt die Schlafforscherin. Gerade leistungsorientierte Menschen leiden unter dem Gefühl der verlorenen Kontrolle. Funktionieren für den Beruf, für die Familie, ist mit Schlafstörung oft nur noch mit Mühe möglich. "Meine Nächte bestimmten meinen Alltag. Ich war antriebslos, platt, niedergeschlagen", so Monika S. Nachts lag sie wach, tagsüber fühlte sie sich schwach und traute sich am Ende selbst nicht mehr viel zu. Irgendwann entschied sie sich für einen Termin im Schlaflabor.
"Erste Station sollte immer der Hausarzt sein", erklärt der leitende Oberarzt Jan Hendrik Storre, der Monika S. in Köln-Merheim behandelte. Man könne seinen Arzt auch aktiv auf das Schlaflabor ansprechen. "Das sollte man tun, wenn die Schlafprobleme länger als einen Monat anhalten und dabei drei bis vier Mal pro Woche auftreten."
Den Schlaf wieder berechenbar zu machen, das ist das Ziel eines Schlaftrainings im Labor. Wichtiges Element dabei: der kontrollierte Schlafentzug, die sogenannte Restriktion. Die Schlafzeit wird dabei minutengenau geregelt und - was viele verblüfft - besonders am Anfang stark eingeschränkt. Wie viel Zeit der Patient im Bett verbringen darf, wird mit Hilfe sogenannter Schlaffenster festgelegt. Mittagsschlaf etwa ist nicht erlaubt. "Gerade am Anfang war ich so richtig zerschlagen", beschreibt Monika S. den Start ihrer Therapie. Der Effekt ist gewollt, denn so soll der Schlafdruck zunehmen. Für Patienten sei es in dieser Phase wichtig zu wissen, wie sie mit dieser gesteigerten Müdigkeit umgehen können, sagt Storre. Frische Luft, kaltes Wasser, Beine hochlegen etwa sind gute Maßnahmen.
Der Körper holt sich den fehlenden Schlaf zurück
"Selbst Schlafgestörte haben nach zwei bis drei sehr schlechten Nächten eine Erholungsnacht. In der schlafen sie dann besser", sagt die Somnologin Hamm. Der Körper habe eine Selbstregulationsfähigkeit, sprich: Irgendwann holt er sich den fehlenden Schlaf zurück. Dabei hilft den Patienten ein Schlafprotokoll, in dem sie neben den Ruhezeiten die Nicht-Schlaf-Zeiten notieren. Auch das Schlaflabor, in dem Patienten einige Nächte verbringen, gehört zur Therapie. Der Schlaf wird hier analysiert Das Elektroenzephalogramm misst Gehirnströme, das Elektrookulogramm Augenbewegungen, das Elektromyogramm die Muskelspannung im Kinn. Diese drei Kurven helfen dabei, den Schlaf in seine Stadien einzuteilen. Die Reihenfolge, in der sie während der Nacht vorkommen, ergibt am Ende die Schlafarchitektur.
Das Training selbst dauert mehrere Wochen, erklärt Storre. "Ich konnte schon nach der ersten Nacht viel besser schlafen", sagt Monika S. Bereits ein bis zwei Wochen später ist ihr Schlaf wieder regelmäßig. Die Restriktion muss sie trotzdem weitere sechs Wochen beibehalten. Auch die Protokolle sollen die Patienten weiter ausfüllen, um selbst im Bilde zu bleiben. Erst wenn sich das Schlafverhalten über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen stabilisiert hat, sollten sie leicht von ihren festgelegten Schlaffenstern abweichen.
Heute schaut Monika S. dem Zeiger ihres Weckers nicht mehr beim Wandern zu. Er dreht seine Runden jetzt unbemerkt, während Monika S. längst träumt.