Ratsherren sprangen aus dem FensterDer 3. März 1848 – als in Köln die Revolution begann

Lesezeit 7 Minuten
Das Kölner Rathaus in einer zeitgenössischen Darstellung. Foto: Wikimedia

Das Kölner Rathaus in einer zeitgenössischen Darstellung.

Inspiriert von der Revolution in Paris zogen am 3. März 1848 Tausende vor das Kölner Rathaus – der Beginn der Revolution in Deutschland. 175 Jahre später erinnern eine Matinee und eine Ausstellung an die Ereignisse.

Entsetzen herrschte einen Tag nach Weiberfastnacht im Kölner Rathaus. Rund 5000 Menschen standen nämlich am Freitag, dem 3. März 1848, vor der Tür und protestierten. Als die preußische Ordnungsgewalt anrückte, drangen sie ins Rathaus ein. Da packte einige Ratsherren die Panik. Zwei sprangen vor Angst aus dem Fenster. Einer brach sich dabei beide Beine.

Dabei wäre der kühne Sprung gar nicht notwendig gewesen. Die Menschen wollten eigentlich nur ein Schreiben mit Forderungen übergeben: Allgemeines Wahlrecht, Redefreiheit und Pressefreiheit. Angeführt wurden sie vom Armenarzt Dr. Andreas Gottschalk.

Ein Stich von 1848: Kölner Stadtverordnete lethargisch im Rathaus, auf dem Alter Markt stürmen die Massen heran (r.).

Ein Stich von 1848: Kölner Stadtverordnete lethargisch im Rathaus, auf dem Alter Markt stürmen die Massen heran (r.).

Andreas Gottschalk war erst ein paar Tage zuvor, am 28. Februar, 33 Jahre geworden. Als fünftes Kind des jüdischen Schächters und frommen Gesetzeslehrers Joseph Gottschalk kam er in Düsseldorf zur Welt, machte aber 1834 am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln sein Abitur. Bis 1840 hatte er in Bonn Medizin studiert und praktizierte nun seit 1842 in Köln. Das Adressbuch führt ihn in der Röhrergasse 32, ganz in der Nähe des Appellationsgerichtshofs. Hier sollte er sich schon bald als Angeklagter wiederfinden, weil er sehr unbequem war.

Alles zum Thema Europäische Union

Armenarzt Dr. Andreas Gottschalk führte Protest an

Gottschalk war nämlich unzufrieden mit den Verhältnissen. Viele seiner Patienten kamen aus dem Severinsviertel, das damals von Fabriken geprägt war. Im ehemaligen Gut „Rosenthal“ am Kartäuserwall produzierte das Unternehmen „Felten et Guilleaume“ Hanfhandgespinste, Seilerwaren und Tauwerk. Die Fabrik von Franz Stollwerk ganz in der Nähe stellte Hustenbonbons her. Die Arbeiter wurden allerdings nicht sonderlich gut bezahlt. Auch die zunehmende Mechanisierung setzte ihnen zu. Armut machte sich breit. Was tun bei Krankheit? Ärzte waren teuer. Da verbreitete sich die Nachricht, Dr. Gottschalk behandele manche seiner Patienten, die nicht zahlungsfähig waren, sogar kostenlos. Und tatsächlich wies sie Gottschalk nicht ab. Sein Engagement für die Armen brachte ihm schnell gleichgesinnte Freunde. Etwa den drei Jahre älteren jüdischen Philosophen Moses Hess, einen der Vorreiter des Sozialismus. Gemeinsam überlegten sie, wie eine gerechtere Welt möglich wäre.

Schließlich schien die Zeit der Gedankenexperimente vorbei und Zeit für mehr soziale Gerechtigkeit im Staatswesen gekommen. Nachdem im Februar 1848 der französische König abgesetzt worden war, entflammten im Frühjahr 1848 in ganz Europa Revolten.

Anstiftung zur gewaltsamen Änderung der Staatsverfassung“
aus der Anklage gegen Dr. Andreas Gottschalk

Auch in Köln, wo es am 3. März, abends gegen 7 Uhr, zu jenem Aufmarsch vor dem Rathaus kam, den Andreas Gottschalk mit anführte und der auf entschiedenen Widerstand von Staatsseite traf.

„Die Ruhe der Stadt Köln ist heute Abend in bedauerlicher Weise gestört worden“, verkündete der Kölner Regierungspräsident umgehend. „So hat eine Anzahl von Personen gewagt, den in Ausübung seines Berufes im Rathause versammelten Gemeinderat nicht mit Bitten, sondern mit ,Forderungen des Volkes’ zu bestürmen, und versucht, eine Genehmigung von Anträgen durch Gewalt zu erzwingen, die in ordnungsmäßigem, gesetzlichem Wege bei den loyalen Vertretern der Stadt in keiner Weise Eingang finden konnte.“

Zwar war erst Panik aufgekommen, als das Militär anrückte und die Menge auch innerhalb des Rathauses Zuflucht suchte. Verantwortlich gemacht wurde für das Chaos jedoch vornehmlich Andreas Gottschalk. Der Armenarzt wurde am folgenden Tag festgenommen. Wegen Anstiftung „zur gewaltsamen Änderung der Staatsverfassung und zur bewaffneten Auflehnung“. Es kam zum Prozess. Hier aber wurde Gottschalk freigesprochen. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben.

In Köln galt nämlich trotz preußischer Herrschaft noch der eher liberale Code Napoléon. Der immer wieder verhaftete Armenarzt musste zum Ärger der Staatsanwaltschaft immer wieder freigelassen werden – entweder aus Mangel an Beweisen oder laut Urteil der Geschworenen.

Die Ruhe der Stadt Köln ist heute Abend in bedauerlicher Weise gestört worden.
Regierungspräsident Köln

Währenddessen ärgerte Gottschalk die Machthaber durch sein Organisationstalent. Der Kölner Arbeiterverein, den er am 13. April 1848 gründete und zu dessen erstem Vorsitzenden er gewählt wurde, verzeichnete umgehend exorbitanten Zulauf. Schon nach ein paar Wochen hatte er fast 8000 Mitglieder. Das rief auch Neid hervor. Unter anderem bei Karl Marx, der im Frühjahr 1848 nach Köln gekommen war, um hier gemeinsam mit Friedrich Engels die Neue Rheinische Zeitung herauszugeben.

Freunde wurden die Männer trotz einiger ähnlicher Ziele nicht, obwohl Marx kurzzeitig den Vorsitz des Arbeitervereins übernahm. Gottschalk war mal wieder in Haft. Für Marx war aber Gottschalk nicht radikal und nicht politisch genug. Gottschalk beschimpfte Marx seinerseits als „gelehrten Sonnengott“. „Das Elend des Arbeiters, der Hunger des Armen hat für Sie nur wissenschaftliches, doktrinäres Interesse“, warf er Marx vor.

Cholera-Epidemie im Sommer 1849

Im Sommer 1849 brach in Köln eine Cholera-Epidemie aus. Gottschalk kümmerte sich um die Kranken und infizierte sich dabei selbst. Er wurde so eines der über 10 000 Todesopfer der Krankheit und verstarb am 8. September 1849. Nur 34 Jahre wurde er alt.

Die Zeitung des Arbeitervereins klagte, hier sei ein Mann gestorben, „der beim schlichten Proletarier den Namen Freund erworben, / Der den armen Kranken heilte durch sein tief ergründet Wissen, / Der die Medizin ihm zahlte, der sich selbst den Schlaf entrissen, / Der der Freiheit leuchtend Banner mutig uns voran getragen, / Den zum Lohne man in Kerker und in Banden hat geschlagen, / Der trotz Unbill und trotz Undank nimmermehr vom Recht gewichen.“

Für Auseinandersetzungen sorgte noch Gottschalks Beerdigung. Gottschalk war 1844 Protestant geworden – das war wohl eher keine Gewissensentscheidung gewesen, sondern hatte praktische Gründe im preußisch regierten Rheinland. Dem somit für seine Beisetzung zuständigen evangelischen Pfarrer Jakob Engels war das Treiben des Armenarztes suspekt gewesen.

Er war wie viele andere Protestanten damals der Meinung, Gottschalk sei zu materialistisch gewesen, während es eher seine Aufgabe gewesen sei, die Armen in ihrer Hoffnung auf das Jenseits zu stärken. Deshalb wollte er ihn ohne großes Aufsehen beerdigen, morgens um 5.30 Uhr.

Diese Idee fand keinen Anklang bei Gottschalks zahllosen Bewunderern. Somit blieb der Geistliche aus Protest fern, als Gottschalks Sarg, gefolgt von einer riesigen Menschenmenge, zu einem Armengrab auf dem Melaten-Friedhof gebracht und dort beigesetzt wurde. „Eins ist nötig, dass das Gute stets geschehe, ob man falle oder stehe, ist und bleibt dann einerlei“, kann bis heute auf der Grabplatte entziffert werden.


Theater-Matinee und Ausstellung

175 Jahre liegt der „Kölner Fenstersturz“ vom 3. März 1848 zurück, der den Beginn der März-Revolution in Deutschland markiert. Anlässlich des Jubiläums lädt die SPD Region Mittelrhein am Samstag, 4. März, ab 9.45 Uhr zu einer „Matinee mit Theater, Musik und inspirierenden Reden“ in die Volksbühne am Rudolfplatz ein.

Besucher erfahren hier mehr über die bedeutende Rolle, die das Rheinland bei der März-Revolution spielte, und wie die Ereignisse dazu beitrugen, die Grundlagen für ein demokratisches Europa zu legen. Redner sind der Historiker Jürgen Herres, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, der Kölner DGB-Chef Witich Roßmann und die Publizistin Irene Franken. Für das musikalische Programm sorgen Rolli und Benjamin Brings, Die Grenzgänger, das Trio Da Tre! und das Mario Kramp Trio. Karten (8 Euro) gibt es im Vorverkauf bei Köln Ticket.

1848wurde am 25. April von der Demokratischen Gesellschaft Köln eine rote Fahne gestiftet, auf der die Parole der französischen Revolution „Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit“ eingestickt ist (siehe kl. Foto). Sie gilt als älteste rote Fahne Deutschlands und Ikone der Arbeiterbewegung. Aufbewahrt wird sie im Kölnischen Stadtmuseum, das zum Jubiläumsjahr die Ausstellung „1848 Revolution in Köln“ zeigt. Sie wird von Donnerstag, 17. März, bis Samstag, 29. April, im geplanten Interimsquartier, dem ehemaligen Modehaus Sauer, präsentiert, und zwar im künftigen Raum der Museumspädagogik („Pop-up-Bar“). Dieser ist bisher als einziger für Ausstellungen nutzbar, da sich die für Herbst 2022 geplante Eröffnung verzögert hat.

Die Märzrevolution sei „die erste europaweite Bewegung für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit“ und „gerade in einer Metropole wie Köln von großer Bedeutung“, betonen die Museumsmacher. „Köln war die erste Stadt in Preußen, in der Massen auf die Straße gegangen sind.“ Die Kölner Bürger hätten zeitweise die Herrschaft übernommen, „von hier aus brachten demokratische und sozialistische Vordenker wie Gottschalk, Anneke, Marx und Engels ihre Gedanken in Umlauf“. Das Stadtmuseum kooperiert auch mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Karl-Marx-Haus in Trier, das im Herbst eine Ausstellung zu „Marx und Köln“ plant. (fu)

Rundschau abonnieren