Außenminister Wadephul rückt im Interview Fragen der Sicherheit in den Fokus und gibt Fehler im Umgang mit Russland zu.
Neuer Außenminister Wadephul„Unsere Art zu leben wird bedroht“

Johann Wadephul (CDU)
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In seinem ersten großen Interview nach Amtsantritt spricht der neue Außenminister Johann Wadephul über Deutschlands Interessen in der Welt, den Weg der Ukraine in die Nato und seine politischen Vorbilder. Gerrit Bastian Mathiesen und Martin Schulte trafen den CDU-Politiker dazu in seinem Büro in Berlin.
Herr Wadephul, wo bewahren Sie denn die Moin-Tasse auf, die Ihnen Ihre Vorgängerin Annalena Baerbock dagelassen hat?
Die steht da hinten auf dem Bord, sie ist immer griffbereit.
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Sie beide haben ein gutes Verhältnis?
Ja, das ist prima. Wir haben eine gute Übergabe gehabt. Das war aber auch leicht, weil wir schon vorher in außenpolitischen Fragen gut, eng und freundschaftlich zusammengearbeitet haben.
Haben Sie ein Vorbild in Ihrem jetzigen Amt, eine Art Außenpolitik, bei der Sie sagen, da würde ich ganz gerne wieder anknüpfen?
Mich hat in meiner Jugend Hans-Dietrich Genscher sehr stark geprägt, der das Amt, wie ich finde, als eines des Ausgleichs und der Verständigung geprägt hat – egal, ob angenehme oder unangenehme Gesprächspartner.
Sie sind jetzt ein paar Tage im Amt, die ersten Reisen haben Sie schon hinter sich. Gab es diesen einen Moment, der Sie besonders beeindruckt hat?
Paris und Warschau gleich am Anfang an einem Tag zu besuchen, hat schon Eindruck hinterlassen. Wobei ich offen sagen muss, dass dieser in Warschau schon größer war. Wir waren immerhin in einer Hauptstadt, die von deutschen Händen vor etwas mehr als 80 Jahren in Schutt und Asche gelegt worden ist. Deshalb ist es heute ein großes Geschenk, dort von guten Freunden empfangen zu werden. Und das gilt auch für Paris.
Und dennoch beginnen Sie Ihr Amt in einer Welt, die so unruhig ist wie lange nicht mehr. Was folgt daraus für Ihre künftigen Aufgaben?
Dass wir uns hier im Haus auf das Wesentliche konzentrieren, das habe ich von Anfang an klargemacht. Was sind die deutschen, was sind die europäischen Interessen? Wer sind die Verbündeten, mit denen wir gemeinsam diese Interessen wahrnehmen können? Und diese müssen wir dann konsequent verfolgen. Wenn wir uns darauf konzentrieren, dann werden wir eine erfolgreiche Außenpolitik für unser Land gestalten.
Sie haben von Beginn an betont, dass es Ihnen vor allem um die Sicherheit und die Wirtschaft geht. Klingt, als würde die Außenpolitik künftig interessengeleiteter.
Nun, die polnische EU-Ratspräsidentschaft, die wir jetzt haben, die hat ihre ganze Präsidentschaft unter der Überschrift Sicherheit gestellt. Es ist ja offensichtlich, dass unsere Art zu leben bedroht wird durch den russischen Angriffskrieg oder hybride Angriffe anderer Staaten, und deshalb hat das Außenministerium eine besondere Verantwortung, wieder für mehr Sicherheit zu sorgen, natürlich auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
Kann ein Angriff auch über eine sehr feindselige Kommunikation erfolgen, durch den US-amerikanischen Vizepräsidenten Vance zum Beispiel, der Deutschland antidemokratische Tendenzen attestiert?
Ich würde das nicht als Angriff bezeichnen. Aber natürlich war das Maß der Übereinstimmung mit unseren Freunden in den Vereinigten Staaten von Amerika schon mal größer.
Sie sind seit über zehn Jahren als Außen- und Sicherheitspolitiker in Berlin. Haben auch Sie Russlands imperiale Ziele nach der Annexion der Krim oder die Fragilität der amerikanischen Partnerschaft falsch eingeschätzt?
Die gesamte deutsche Außenpolitik hat in der unmittelbaren Zeit nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim zu lange darauf gesetzt, mit Putins Russland ein Arrangement zu finden und auch gemeinsame Projekte wie etwa Nord Stream 1 und 2 zu lange beibehalten. Das habe auch ich unterstützt und das war rückblickend ein Fehler.
Wie erklären Sie sich diese Entwicklung aus heutiger Perspektive?
Ich glaube, dass am Ende doch alle überrascht waren, als vor drei Jahren Putin diese frontale Vollinvasion gegen die Ukraine gefahren hat. Das war eine Fehleinschätzung, aber ich finde, man muss immer alles aus seiner Zeit heraus beurteilen und andersherum hätte man vielleicht gesagt, dass nicht alle Chancen des Ausgleichs genutzt worden wären. Jetzt können wir guten Gewissens sagen, wir haben Putin nicht den geringsten Anlass für diesen Krieg geboten.
Weil Sie von unterschiedlichen Zeiten gesprochen haben: Geht es heute geopolitisch mehr um klare Ansagen als um Diplomatie?
Nein. Diplomatie ist immer das Handwerk des Verstehens, des Ausgleichs und des Erhalts von Gesprächskanälen, auch mit unbequemen Partnern. Und das Handwerk können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieses Hauses aus dem Effeff. Aber es ist schwieriger geworden.
Müssen wir, weil es schwieriger geworden ist, auch die Europäische Union noch mal neu denken?
Nicht grundsätzlich, aber sie muss handlungsfähig bleiben, und wir werden diejenigen, die die Handlungsfähigkeit behindern, fragen müssen, ob sie mittelfristig in diesem Bündnis richtig sind. Davon abgesehen ist vollkommen klar, dass die EU für Deutschland der entscheidende Akteur ist, nicht nur handelspolitisch, sondern auch sicherheitspolitisch. Die Bundesregierung wird alles tun, damit Europa endlich weltpolitikfähig wird.
Die Ukraine will nicht nur Mitglied der EU werden, sondern auch der Nato. Wie stehen Sie zu diesem Ansinnen?
Zunächst einmal ist für uns ganz klar, dass die Ukraine einen Kandidatenstatus in der Europäischen Union hat. Ich denke, dieses Ziel hat für sie Priorität. Und in der Nato haben wir uns gemeinsam darauf verständigt, dass die Ukraine auf einem Weg in das Verteidigungsbündnis ist und dieser Weg unumkehrbar ist. Deutschland steht zu diesem Beschluss.
Gibt es schon einen Zeitplan für den Beitritt?
Nein, dafür ist es zu früh. Man darf ja auch nicht außer Acht lassen, dass dieser Beschluss in jüngster Zeit von einigen wieder in Frage gestellt worden ist. Insofern werden wir das zu diskutieren haben.
Diskutiert wird auch über einen eigenen nuklearen Schutzschirm für Europa. Wie stehen Sie zu dieser Idee?
Wir brauchen auf jeden Fall eine Debatte darüber, ob und in welcher Weise das, was Frankreich und Großbritannien an nuklearen Abschreckungsmitteln vorhalten, erweitert werden kann. Neu ist, dass diese Debatte überhaupt möglich ist. Der Bundeskanzler und auch der französische Präsident sind dafür eingetreten und ich begrüße das außerordentlich. Aber wir stehen am Anfang dieser Debatte und werden als Deutsche in diesem Bereich allenfalls langfristig weitere Verantwortung übernehmen können. Deshalb bin ich sehr froh, dass der nukleare Schirm der USA in Europa uneingeschränkt Bestand hat.
Letzteres könnte man bei der erratischen Politik des US-Präsidenten Donald Trump allerdings bezweifeln…
Dazu gibt es aber keinen Anlass. Aus Washington war in den letzten Wochen und Monaten zwar manche irritierende Äußerung zu hören, aber ihr Bekenntnis zur Sicherheit Europas haben sie bekräftigt – und wir sollten sie beim Wort nehmen.