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Schnellerer AbschussGeht es nun auch dem Biber an den Kragen?

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Ein Europäischer Biber (Castor fiber) frisst Erlenzweige.

Ein Europäischer Biber (Castor fiber) frisst Erlenzweige.

Wachsende Wolfspopulationen und zunehmende Bauernklagen erhöhen den Druck auf die EU-Kommission für flexible Maßnahmen. Kritiker sehen auch weitere Tiere gefährdet.

Jutta Paulus lässt keinen Zweifel daran, wie genervt sie von den politischen Streitigkeiten um den Wolf ist, von jenem Kulturkampf in Europa, in dessen Zentrum der Lupus rückte, weil er fast schon zum Symbol für die Kluft zwischen Land- und Stadtbevölkerung geworden ist. Eigentlich kämpft die grüne Europaabgeordnete seit Jahren dafür, dass das Raubtier „streng geschützt“ bleibt. Trotzdem votierte sie am Dienstag in Straßburg – wie die Mehrheit der Parlamentarier – dafür, im sogenannten Eilverfahren bereits am Donnerstag darüber zu entscheiden, den Schutzstatus des Lupus auf „geschützt“ abzusenken. Damit will Brüssel den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität geben, die Jagd auf Wölfe zuzulassen, ohne den Schutz ganz aufzuheben. Durch das Eilverfahren dürfte die Änderung schon vor dem Sommer in Kraft treten.

Auswirkungen auf Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie

Paulus verfolgt mit ihrem auf den ersten Blick widersprüchlichen Vorgehen Kalkül. Denn die Grüne befürchtet, dass der Wolf nur das erste Opfer ist, falls das Prozedere jetzt zu lange dauert – und dann die gesamte Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie „unter Beschuss“ geraten könnte. Durch diese hat die EU das völkerrechtliche Übereinkommen der Berner Konvention in europäisches Recht umgesetzt. Damit stehen seit 1992 unter anderem Großraubtiere wie Wölfe, Braunbären oder Luchse, aber auch Otter oder Kegelrobben EU-weit unter strengem Schutz. Bis jetzt. Die Zeiten sind vorbei, als die Wiederansiedlung des Wolfs nach rund 150 Jahren als einer der größten Naturschutz-Erfolge in der EU gefeiert wurde oder der Biber in Ruhe seine Dämme bauen konnte. Vor allem in der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) wollen einige EU-Abgeordnete dafür sorgen, dass auch der Schutzstatus von weiteren Tieren abgesenkt wird. Zu ihnen zählt der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese. Zwar wolle man „ganz bewusst“ die Debatte darüber, was mit anderen Tieren passiert, trennen, damit die Herabstufung des Schutzstatus„ des Wolfs nicht gefährdet werde durch langwierige Diskussionen. Doch er erwarte von der Brüsseler Behörde, dass sie sich auch andere Arten anschaut, vorneweg die Saatkrähe und den Kormoran, beide ebenfalls „streng geschützt“. Er höre von Bürgern in einigen Regionen seit Jahren Beschwerden über den Rabenvogel. „Man kann draußen keinen Kaffee trinken, ohne dass eine Saatkrähe kommt“, so Liese.

Kontroverse um Abschwächung des Naturschutzes

Paulus spricht dagegen über einen „Frontalangriff auf das Herz des europäischen Naturschutzes“. Sollte die FFH-Richtlinie aufgeweicht werden, drohten auch Otter, Biber, Kegelrobbe, Luchs und Bär „unter Beschuss zu geraten“, sagt sie. Landwirte verweisen regelmäßig auf Beeinträchtigungen etwa durch den Biber. Sie verstehe zwar, so Paulus, dass man den Nager am Ablauf einer Kläranlage nicht haben will, weil er gerne die Landschaft verändere, aber sie hält die Klagen nach dem Motto „Die Kegelrobbe frisst die Ostsee leer“ für überzogen. „Wir tun uns keinen Gefallen, die Natur nur als störend, als lästiges Hindernis zu sehen“, so Paulus. Es gehe „um die Zukunft unserer Wälder, Flüsse und Moore“. Ebenfalls im Fokus von Teilen des konservativen Lagers: der Kormoran. „Angler haben teilweise leergefischte Teiche, weil er brutal überhandnimmt“, sagt Liese. Deshalb fordert er, die Regeln der seiner Ansicht nach „veralteten“ FFH-Richtlinie zu aktualisieren.

EU-Kommission und das Wolfsmanagement

Am Donnerstag dürfte erst einmal die finale Hürde zur Herabsenkung des Schutzes des Wolfs beschlossen werden. Der Schritt werde den Mitgliedstaaten „mehr Flexibilität bei der Verwaltung ihrer lokalen Wolfspopulationen geben, sodass sie Maßnahmen ergreifen können, die gut an die regionalen Gegebenheiten angepasst sind“, hieß es von Seiten der Kommission. Die Konzentration von Wolfsrudeln in einigen europäischen Regionen sei „zu einer echten Gefahr geworden, insbesondere für Nutztiere“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, als sie im März die Änderung des Schutzstatus„ empfahl. „Die Saga um die Rache für Dolly findet jetzt seinen Abschluss.“ So blickt Jutta Paulus auf diese Woche. Im Sommer 2022 wurde von der Leyens 30 Jahre altes Pony „Dolly“ im heimischen Burgdorf in der Region Hannover von einem Wolf gerissen. In Brüssel sind sich die Kritiker des Vorstoßes einig, dass die politische Stimmung nach dem Tod des Tiers vollends gekippt ist. Angesichts der wachsenden Wolfspopulation in vielen Mitgliedstaaten, der Klagen von Bauern und Betroffenen sowie der Kritik von Seiten konservativer EU-Abgeordneten stieg der Druck auf die Kommission, die aktuelle Regelung zu überarbeiten.

Wolfspopulation in Europa

Das Europäische Umweltbüro (EEB), ein Dachverband von Umweltorganisationen, schätzt, dass in Europa derzeit rund 20.000 Wölfe leben. Dem Bonner Bundesamt für Naturschutz zufolge wurden im vergangenen Beobachtungsjahr 2023/24 in Deutschland 1601 Wölfe registriert, gut 260 Tiere mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Rudel erhöhte sich 2023/24 demnach auf 209.