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Beeinträchtigte Menschen in KölnDer schwere Weg zum normalen Job

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Zu sehen sind Lena Meiß und Karin Ertz.

Glücklich über die Festanstellung sind Lena Meiß und ihre Chefin Karin Ertz.

Menschen mit Behinderungen haben nicht nur in Köln am ersten Arbeitsmarkt mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen.  

Lena Meiß ist niemand, der sich so schnell unterkriegen lässt. Die 26-Jährige lebt mit einer Spastischen Tetraparese bei gleichzeitiger Muskelschwäche und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Ihr Weg in den ersten Arbeitsmarkt war alles andere als vorgezeichnet: Zwar konnte sie im Berufsbildungswerk Volmar-stein nach einigen Umwegen eine Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen abschließen und auch ihr Fachabitur ablegen.

Doch schon bei der Praktikumssuche wurde ihr noch einmal sehr deutlich gemacht, dass Menschen mit Beeinträchtigungen eben nicht so einfach in der Gesellschaft eingegliedert werden, wie es eigentlich der Fall sein sollte. „Ich habe bestimmt 80 bis 100 Bewerbungen geschrieben, bis ich endlich einen Platz fand“, sagt sie. Die Ablehnungen ähnelten sich oft: Nette Worte, viel Verständnis, aber leider nicht bei uns – darauf sind wir einfach nicht eingerichtet.

Ein Tisch, ein Rechner, viel mehr nicht

Dabei braucht Lena Meiß nicht viel anderes als jeder andere im Büro auch. Einen Tisch, einen Rechner, gegebenenfalls einen Aufzug und geeignete Sanitäreinrichtungen. Als sie schließlich beim Landschaftsverband Rheinland einen Platz fand, war sie sehr froh. Aber so richtig wollte es nicht klappen. „Keine Vorwürfe, sicher nicht“, sagt sie. „Ich bin einfach nicht wirklich dort angekommen.“ Sie braucht, das sagt sie ganz unverhohlen, ein Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen kann. Verantwortung übernehmen, eingebunden sein in die Arbeitsabläufe wie alle anderen auch.

Der Zufall brachte sie dann in Kontakt mit dem Sanitätshaus Ertz an der Bergisch Gladbacher Straße in Holweide. Zunächst als Kundin. Der Betrieb ist ein echtes Familienunternehmen, neben Firmengründer Stefan Ertz sind auch seine Frau Karin, Sohn Phillip und Tochter Ann-Marie ins Geschäft eingestiegen. „Ich kannte mit meiner Laufbahn ja schon so einige Sanitätshäuser. Aber ich war es nicht gewohnt, so ehrlich und offen behandelt zu werden. Das hat mich berührt“, sagt Lena Meiß. Man kam ins Gespräch. „Und dann hat der Juniorchef mich gefragt, ob ich nach einem neuen Praktikum suche. Ich habe sofort die Bewerbungsunterlagen geschickt, und am Ende konnte ich nach meiner Ausbildung hierbleiben.“ Als ganz normaler Teil der 32-köpfigen Belegschaft.

Ein eigenes, selbstbestimmtes Leben

Für viele Menschen mit Beeinträchtigung ist nach der Ausbildung die Arbeit in einer Behindertenwerkstatt die klassische Karriere. „Das wollte ich auf gar keinen Fall“, sagt Meiß. Nicht weil sie die Einrichtungen nicht zu schätzen wüsste oder weil dort schlechte Arbeit geleistet würde. Aber sie wollte ein eigenes, selbstbestimmtes Leben führen. Auch finanziell, was in einer Werkstatt eben so gut wie unmöglich ist.

„Wir haben uns überlegt, wo wir Lena am Besten einsetzen können. Und dann haben wir das Praktikum vom ersten Tag an mit Praxis gefüllt. Meine Tochter hat sich da maßgeblich daran beteiligt“, erklärt Karin Ertz. Es hat nicht lange gedauert, und Lena war fester Bestandteil des Teams mit ganz normalen Aufgaben und Verantwortungsbereichen. Seit Mitte Juni diesen Jahres nun in Festanstellung – und schon bald soll auch der Umzug in die erste eigene Wohnung erfolgen.

Ein fester, normaler Bestandteil des Teams

Geholfen habe beim Berufseinstieg die Unterstützung der Agentur für Arbeit, betonen Karin Ertz und Lena Meiß. Sei es bei der Beratung, der persönlichen Betreuung oder auch durch Förderungen. Etwa beim Umbau der sanitären Anlagen in den Lagerräumen, den Arbeitsutensilien oder auch beim höhenverstellbaren Schreibtisch - eine Festanstellung ist eben doch noch einmal etwas anderes als ein Praktikum. Viel war es aber nicht, und mittlerweile hat sich Lena Meiß´ Anstellung längst für beide Seiten als Gewinn herausgestellt.

Der Normalfall ist das in Deutschland aber leider nicht. Die gesetzliche Quote von fünf Prozent Menschen mit Behinderung bei Betrieben mit über 20 Mitarbeitenden wird lediglich von knapp einem Drittel der Unternehmen erfüllt. Wenn die Quote nicht erreicht wird, muss eine Ausgleichsabgabe entrichtet werden. Arbeitgeber müssen die Zahlen jährlich bis zum 31. März an die Agentur für Arbeit melden. 40 Prozent aller Menschen mit Behinderung streben einen Job als Facharbeiter oder höherwertig an, geht aus den Auswertungen der Agentur für Arbeit Köln hervor. Je nach Beeinträchtigung kann die Arbeitssuche in diesem Bereich einfacher sein, etwa als Bürofachkraft oder in der Unternehmenskommunikation.

Unterstützung durch die Arbeitsagentur

Im weitaus größten Bereich, dem der Hilfskräfte, setzen oft physische Einschränkungen Grenzen. Aber auch hier gibt es inzwischen viele Hilfsmittel, die über Förderungen oder über die Krankenkasse finanziert werden könnten. Und nach wie vor gibt es Begegnungen, bei denen die Menschen einfach mit dem Kopf schütteln. Busfahrer etwa, die die Rampe nicht ausfahren, weil sie den Takt einhalten müssen und behinderte Menschen im Rollstuhl sitzenlassen. Auch das ist Lena Meiß nicht nur einmal passiert. Was sie ärgert, aber keine Zornesfalten mehr ins Gesicht treibt: „Die machen auch nur ihren Job. Und der scheint ziemlich stressig zu sein“, meint sie lapidar. Immerhin: Der Protest der anderen Fahrgäste half. „Ein paar Meter weiter haben sie dann doch gehalten.“