Grenze des ErträglichenWie ein Kölner Lehrer den Schulalltag während Corona erlebt

Lesezeit 5 Minuten
Lehrer Corona

Winterfest gekleidet steht Lehrer Guido Schönian auch vor der Klasse.   An einem Freitag, den 13. begann für ihn das Corona-Jahr mit einem Schock. Jetzt sind erstmal Ferien.

Köln – Das Corona-Jahr beginnt für Guido Schönian (43) am Freitag, den 13. März. Gegen 13.45 Uhr ist der Unterricht in der Lise-Meitner-Gesamtschule in Porz zu Ende, gegen 14 Uhr kommt die erste Schulmail des NRW-Schulministeriums: Lockdown, alle Schulen dicht. Ein historisches Datum. „Ich weiß noch, dass wir es alle nicht glauben konnten“, erzählt er. „Wir ahnten, dass was kommt, alle fragten sich: Hast Du schon was gehört?“, erinnert sich der Lehrer für Englisch, Gesellschafts- und Wirtschaftslehre. Dann folgte die Nachricht von der Schließung . Ein Schock. Der Schulmail aus dem Ministerium sollten in den nächsten Monaten noch viele weitere folgen.

Home-Schooling, Abstandsregeln, Maskenpflicht, was wann wie zu organisieren war, das geht mit Blick auf die Chronologie selbst Lehrern schon mal durcheinander. Eingeprägt hat sich Schönian, dass Mails „immer an einem Freitag, mehrfach dem 13. eintrafen. „Es war, es ist an der Grenze des Erträglichen“, sagt er mit Blick aufs Coronajahr. Unsicherheit und Sorgen um die Gesundheit gehören zum Unterrichtsalltag in nicht normalen Zeiten.

Die Serie

Ein Jahr geht zu Ende, das beim letzten Silvesterfest niemand auch nur ansatzweise so erahnen konnte. Die Rundschau hat in den letzten Monaten mit vielen Kölnern gesprochen,über ihre Ängste und Sorgen. Vor dem Jahreswechsel haben wir wieder gefragt: Wie haben Sie diese Corona-Krise erlebt?

Zum Auftakt berichtet Lehrer Guido Schönian von Erschöpfungen und Zumutungen. Wir haben den Hockey-Spieler Mats Grambusch getroffen, eine Tanz-Marie, die nicht auf die Bühne kann, einen Schauspieler ohne Engagement, eine Schülerin vor dem Abitur, eine KVB-Busfahrerin und viele andere mehr. Sie alle verbindet: Von der Krise haben sie sich nicht klein kriegen lassen. (mft)

Das Unwort des Jahres steht für den 43-Jährigen fest: „Querlüften. Genau das, von dem ich immer gedacht habe, dass das in Räumen gar nicht geht: Zug.“ Nicht nur er fühlt sich in der Schule gerade wie auf dem Bau: „Es ist kalt und nass.“ Der Gesamtschullehrer trägt in der Klasse Pulli drunter, Seemannspulli und Anorak drüber. Die Wollmütze setzt er gar nicht mehr ab.

Der Vater von zwei Kindern möchte zwar nicht wehklagen, „ich bekomme mein Geld und habe einen sicheren Job! In anderen Branchen trifft es die Leute noch viel härter.“ Aber aus den Rückmeldungen vieler Personalräte weiß der engagierte Gewerkschafter: Schulen arbeiten am Limit, in Kollegien wird viel diskutiert über Modelle für guten, sicheren Unterricht in Zeiten von Corona. „Es ist eine riesengroße Herausforderung, aber auch schön zu sehen, dass auch die große Masse der Schüler sich vernünftig mit der Sache beschäftigt.“

Kurzes Aufatmen nach Ostern

Nach den Osterferien gab es ein kurzes Aufatmen zwischendurch an der Porzer Gesamtschule, als dort nur die Hauptfächer unterrichtet wurden und nur ein Drittel jeder Lerngruppe in der Klasse war. „Das war ein sichereres Gefühl.“ Es hielt nicht sehr lange: Zurück in den Präsenz-Unterricht mit Maske ging es für die meisten Schulen nach den Sommerferien. In den Ferien hatten Kollegien Konzepte für Wechselunterricht und andere hybride Modelle erarbeitet. „Darauf ist aber leider gar nicht zurückgegriffen worden.“ Die Rückkehr zum Präsenzunterricht halten laut GEW viele für einen Fehler.

Und es sei „für viele Kollegen einfach unfassbar, wir haben die Welt nicht mehr verstanden“, sagt Schönian zur überraschenden Entscheidung des Landes, dass ein Mundschutz in den Klassen zwischenzeitlich nicht mehr zwingend vorgeschrieben war. „Es hatte viel Zeit und Kraft gekostet, den Kindern und Jugendlichen zu erklären, warum das Maskentragen wichtig ist. Und dann das.“ Die Schüler haben viele Fragen, nicht nur dazu. Keine Antwort hatte Schönian parat, als eine Schülerin meinte: „Ich komme ja gern in die Schule. Aber mein Problem ist der Bus. Da kann ich keinen Abstand halten. Was soll ich tun?“

Schule als „Aufbewahrungsort für Kinder“

Man bekomme immer mehr das Gefühl, als ob die Schule ein Aufbewahrungsort für Kinder wird nach der Devise „Augen zu und durch“, berichten Kollegien, die Qualität des Unterrichts spiele offenbar keine Rolle mehr. Der Druck ist groß. Fehlende digitale Ausstattung, Personalmangel und andere Probleme wiegen in der Krise doppelt schwer. Schönian hat bisher an seinem privaten Laptop gearbeitet. „Gerade habe ich ein Dienst-ipad erhalten“, freut er sich, eine Art verfrühtes Weihnachtsgeschenk.

Besondere Sorgen bereiten laut Gewerkschaft mangelnde Informationen über infizierte Schülerinnen und Schüler. „Wir erfahren nicht, wer es ist, so können wir auch nicht von der Schule aus prüfen, wer wie lange mit wem Kontakt hatte“, berichtet der Pädagoge aus anderen Schulen. Das Gesundheitsamt prüfe anhand der Sitzpläne und rufe dann an, wer in Quarantäne muss. „Dann heißt es immer warten, das ist nicht schön.“ Ein Lehrerrat fragte, wieso Kollegen die Information über die konkret infizierten Schüler nicht erhalten würden. Die Antwort einer Schulleitung: „Aus Datenschutzgründen.“ Dies führe ständig zu Spekulationen, „wer hat es?“ Ein Personalrat erzählte ihm, dass eine infizierte Lehrerin Kollegen darüber informierte: „Sie wurde dafür vom Vorgesetzten zurechtgewiesen.“

Auch Schüler hätten oft Fragen dazu. „Da müssen wir dann Schwächen offenbaren, dass wir es auch nicht wissen...“

Das könnte Sie auch interessieren:

Nach der jüngsten Schulmail vom Freitag, 11. Dezember, ist der Gesamtschullehrer froh über die Entscheidung, dass die Jahrgänge 8 bis 10 wegen der steigenden Coronazahlen ins Home-Schooling wechselten. Für die Jüngeren wurde empfohlen, zuhause zu bleiben. Das führte wieder zu Irritationen. „Als ich am Montag, 13. Dezember, in meine fünfte Klasse kam, waren von 28 Schülern 17 da.“

Nach einer erneuten Information, nur in dringenden Fällen Kinder in die Schule zu schicken, waren es am 14. Dezember nur noch drei vor Ort. Er entschied sich, die drei in der Klasse zu unterrichten und den 24 anderen zuhause Arbeitsmaterial zuzuschicken. „Ich sah mich nicht in der Lage, gleichzeitig die Schüler zuhause per Live-Schalte zu unterrichten. Man kann sich ja nicht halbieren. Aber manche versuchen es.“

Jetzt beginnen die Weihnachtsferien. Schönian möchte mit seiner Familie erstmal „etwas Durchatmen“ . Er hofft, dass die Zahlen sinken und rechtzeitig mit genügend Vorlauf „die richtigen Maßnahmen ergriffen werden“.

Eines steht fest: 2021 gibt es nur einen einzigen Freitag, den 13. Im August.

Rundschau abonnieren