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Karneval in KölnFamilien-Dreigestirn, Kostendruck und ein heimlicher Star - das ist die Bilanz der Session 2024

Lesezeit 6 Minuten
Fröhliche Gesichter bei der Eröffnung des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht auf dem Alter Markt.

Fröhliche Gesichter bei der Eröffnung des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht auf dem Alter Markt.

Diskussionen über Nachhaltigkeit, Tierwohl und steigende Kosten im Zug und in den Sälen werden auch in Zukunft bleiben.

Rosenmontag mit Herz und Haltung

Es war ein Sessions-Höhepunkt, der neben vielen deutlichen politischen Statements auch eine Geschichte fürs Herz bereithielt. Das Drama um Jungfrau Frieda, die den Rosenmontag nach überstandener Hüft-OP im Krankenhaus statt im Zoch verbrachte, rührte die Jecken. Bauer Werner, der Bruder der Jungfrau, hatte auf seinem Wagen Perücke, Krone und Schal der Jungfrau auf einem Stativ aufgebaut. Auch wenn ihre Abwesenheit schmerzte, war Frieda dann doch überall präsent. Am Zugweg dominierte der Frohsinn, überall auf den Straßen freuten sich die Jecken über die Ablenkung in herausfordernden Zeiten. Und jubelte dem Familien-„Zweigestirn“ zu, das in dieser Session auch als Trio viel Freude verbreitet hat. Kleiner Schönheitsfehler: Bei der vorab aufgezeichneten TV-Sitzung, die am Rosenmontag in der ARD ausgestrahlt wurde, wirbelte Frieda über die Bühne.

Fazit: Gut gemacht

Bauer Werner und die Haarpracht der Jungfrau.

Bauer Werner und die Haarpracht der Jungfrau.

Erneute Verspätung des Zugs

Gegen 19 Uhr, die Dunkelheit hatte schon lange eingesetzt, kam auch Prinz Sascha I. am Ziel auf der Gereonstraße an. Explizite Gründe, warum sich der Zug wie bereits im vergangenen Jahr so deutlich verzögerte, gab es laut Festkomitee nicht. Weil die Stimmung auf der Severinstraße so gut war, seien die Fußgruppen einfach ein bisschen langsamer gegangen, meinte Zugleiter Holger Kirsch. Schon gegen Mittag betrug die Verzögerung rund eine Dreiviertelstunde. Am späten Nachmittag fuhr sich in Dom-Nähe ein Wagen der Roten Funken fest, auch hier stockte der Zug einige Zeit. Der Stimmung am Wegesrand tat das keinen Abbruch. Die Menschen feierten friedlich bis in die Abendstunden.

Alles zum Thema Rosenmontag

Fazit: Das geht besser

Prinz Sascha I. kam erst gegen 19 Uhr am Ziel an.

Prinz Sascha I. kam erst gegen 19 Uhr am Ziel an.

Ein Schlussstrich im Sinne des Tierwohls?

Pferde im Karneval – das Thema wird auch in den kommenden Jahren heiß diskutiert werden. Ein Pferd wurde in diesem Jahr vor Beginn des Zuges aus dem Verkehr gezogen, sechs weitere währenddessen. Das sei das Ergebnis einer Null-Toleranz-Strategie, sagte Zugleiter Holger Kirsch am Montagabend. Die Frage, ob die Tiere im Rosenmontagszug noch zeitgemäß sind, wird bleiben. Tierschützer haben eine klare Meinung, auch bei den Zuschauern sind immer mehr negative Kommentare zu vernehmen. Dazu kommt: Im Kölner Umland sind immer weniger Pferde-Verleiher zu finden, die den Karnevalisten ihre Tiere zur Verfügung stellen – vor allem aus Sorge vor Image-Schäden. Immer mehr Pferde werden daher aus Süddeutschland angeliefert. Die Vorbehalte dürften in den kommenden Jahren eher größer als kleiner werden. Wäre es da nicht sinnvoll, einen konsequenten Schlussstrich im Sinne des Tierwohls zu ziehen? Oder wartet man ab bis zum nächsten größeren Unfall? Diese Frage muss das Festkomitee für sich beantworten.

Fazit: Das muss anders werden

Pferde im Rosenmontagszug sorgen seit Jahren für Diskussionen.

Pferde im Rosenmontagszug sorgen seit Jahren für Diskussionen.

Kamelle-Massen und Nachhaltigkeit

Es ändert sich einiges beim Wurfmaterial im Rosenmontagszug. Mehr Fairtrade-Produkte, weniger Plastik – das Festkomitee und viele Vereine bemühen sich auch beim Kamelle-Thema um Nachhaltigkeit. Doch so richtig nachhaltig kann es eigentlich nicht sein, wenn an einem Tag 300 Tonnen Süßigkeiten durch die Luft fliegen. Zumal große Teile davon auf dem Boden und später im Müll landen. Dazu kommen 300.000 teilweise in Plastik verpackte Strüßjer, die die Teilnehmer verteilen. Neu ist das Thema und auch die Kritik daran nicht. Das Wurfmaterial ist zudem ein Kostenfaktor: Wer auf Qualität setzt, zahlt noch einmal obendrauf. Gerade in Zeiten, in denen das Festkomitee steigende Kostenentwicklungen bei den Zügen anprangert, lohnt sich auch eine kritische Prüfung der Kamelle-Massen.

Fazit: Da geht noch was

Viel Wurfmaterial bleibt beim Rosenmontagszug auf der Straße liegen.

Viel Wurfmaterial bleibt beim Rosenmontagszug auf der Straße liegen.

Der erste elektrische Großwagen

Wie die Zukunft in Sachen Nachhaltigkeit im Zug aussehen könnte, zeigen die Blauen Funken. Ihre Postkutsche des Funken-Generalpostmeisters Josef Teupe ist der erste rein elektrisch betriebene Großwagen im Kölner Rosenmontagszug. Der Elektromotor wird aus Akkus mit einer Gesamtspannung von 80 Volt und einer Kapazität von 775 Amperestunden gespeist. Der Fahrer befindet sich fast auf Bodenhöhe unter einem silbernen Pferd, der Aufbau besteht aus langlebigem Stahl und kommt ziemlich futuristisch daher. Ein Vorbild auch für andere Gesellschaften?

Fazit: Gut gemacht

Die Postkutsche der Blauen Funken.

Futuristisch: die Postkutsche der Blauen Funken.

Kostendruck in den Sälen

Der Besuch einer Karnevalssitzung wird immer teurer, viele Gesellschaften werden, wenn nicht bereits geschehen, in den kommenden Jahren die Schmerzgrenze von 50 Euro pro Karte knacken. Und auch wenn die Veranstalter betonen, wie wichtig es sei, dass der Karneval weiter für alle offen ist – nicht jeder kann sich einen solchen Abend leisten. Eine Wahl haben die Gesellschaften kaum, gestiegene Saalmieten oder steigende Aufwendungen für Technik und Programm treiben die Kosten in die Höhe. Während die Traditionskorps die Corona-Wehen hinter sich gelassen haben und dort der Großteil der Sitzungen ausverkauft sind, leiden vor allem kleine Vereine mit wenigen Mitgliedern. Dort bleiben immer mehr Plätze in den Sälen leer. Die Zahl der Sitzungen wird in den kommenden Jahren wohl abnehmen, auch gemeinsame Sitzungen kleinerer Vereine sind denkbar.

Fazit: Das wird sich ändern müssen

Der Besuch einer Karnevalssitzung wird immer teurer.

Der Besuch einer Karnevalssitzung wird immer teurer.

Schull- un Veedelszöch straucheln

Unter höheren Nebenkosten, etwa für Sanitätsdienste und die Sicherheit, leiden auch die Schull- un Veedelszöch, veranstaltet von den Freunden und Förderern des Kölnischen Brauchtums. Auch wenn die stimmungsvollen und farbenfrohen Bilder von Sonntag einen anderen Schluss zulassen, sind die Schull- un Veedelszöch nach der Pandemie ein wenig ins Straucheln geraten. 7500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren in diesem Jahr dabei, doch die Zahl der Gruppen ist kleiner geworden. An vielen Schulen ist der Karnevalsbetrieb eingeschlafen, manche verzichteten auf eine Teilnahme. Mit Workshops an den Schulen wollen die Brauchtumsfreunde den Kindern den Karneval wieder näherbringen. Auch ein Kostümpreis für Schulen soll das Interesse wieder ankurbeln. Auch die Gruppen der Veedelsvereine sind kleiner geworden. Neu ist seit diesem Jahr, dass keine Seriensiege bei den Kostümpreisen für die Veedelsgruppen mehr möglich sind. Die Sieger der beiden Kategorien scheiden im folgenden Jahr automatisch aus der Wertung aus.

Fazit: Da geht noch was

Bunte Bilder, gute Stimmung, aber nicht alles läuft rund bei den Schull- un Veedelszöch.

Bunte Bilder, gute Stimmung, aber nicht alles läuft rund bei den Schull- un Veedelszöch.

Ludwig Sebus ist der heimliche Star

Wenn Ludwig Sebus redet, dann verstummt auch der unruhigste Saal. Der 98-jährige Liedermacher gehörte zu den heimlichen Stars der Session. Wenn er als Überraschungs- oder Ehrengast auf der Bühne stand, dann gab es danach nicht selten stehende Ovationen - nicht nur wenn er zum Mikrofon greift und singt. Auch seine Botschaften gegen den zunehmenden Rechtsdruck oder für den Zusammenhalt der Generationen begeistern die Säle. Bei der „Loss mer singe“-Kneipentour ging Sebus gleich mit drei Titeln ins Rennen. „Et Seilbahn-Leed“ nahm er unter anderem mit Ex-Fooss Bömmel Lückerath auf, „Et gilt et Brauchtum zo bewahre“ unter anderem mit „Klimpermännche“ Thomas Cüpper und Jörg P. Weber. Gemeinsam mit Kasalla holte Sebus den ersten Platz bei der Mitsing-Tour und wurde auch beim Funkenbiwak als Lied der Session geehrt. „Wenn ich ne Engel bin“ heißt der Siegertitel, ein mitreißendes Lied über den Tod. Mehrfach stand er mit Kasalla auf der Bühne, bei der „Loss mer singe“-Sitzung im Tanzbrunnen oder beim Funkenbiwak auf dem Neumarkt. Strahlend lagen sich das Urgestein und die Band dann in den Armen. Und alle strahlten mit.

Fazit: Besser geht's nicht

Ludwig Sebus war bei vielen Veranstaltungen als Ehrengast mit dabei, hier bei der Prinzenproklamation

Ludwig Sebus war bei vielen Veranstaltungen als Ehrengast mit dabei, hier bei der Prinzenproklamation.

Hohe Qualität bei den Bands

Die kölsche Musikszene wird qualitativ und auch in der Spitze immer breiter. Immer mehr Bands setzen alles auf eine Karte, verabschieden sich aus ihren Nebenjobs und werden zu Berufsmusikern in Vollzeit. Auch in dieser Session schenkten die Musiker der Stadt viele frische Töne. Das Ergebnis der „Loss mer singe“-Mitsingtour war in der Spitze so eng wie nie. Neben Kasalla überzeugten auch die Räuber, Miljö und Lupo das Kneipenpublikum. Beeindruckend ist auch in den Sälen die Entwicklung der Räuber, die sich in den vergangenen Jahren neu erfunden haben und auf der Bühne mit Choreografien in Boy-Band-Manier überzeugen. Auch wenn das Publikum die alten Besetzungen vermisst, meistern Bläck Fööss und Höhner ihre personellen Umbrüche immer besser. Von unten kommen hoffnungsvolle Talente nach, die ihre Erfahrungen auf den kleineren Bühnen der Stadt und im Kölner Umland sammeln.

Fazit: Gut gemacht