Messerstecherei auf der EhrenstraßeWie der Streit zweier Roma-Familien in Köln eskalierte

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Köln, RSK, Messerangriff auf der Ehrenstraße

Tatort Ehrenstraße: Mitglieder und Freunde zweier Großfamilien waren am Freitag aufeinander losgegangen.

Schnell ist von kriminellen Clans die Rede, wenn Großfamilien aneinandergeraten. Bei der Fehde zwischen zwei Roma-Familien, die aktuell Polizei und Justiz beschäftigt, scheint das nicht zuzutreffen.

Vorerst herrscht Ruhe zwischen den beiden Großfamilien, die zuletzt mehrfach auf den Straßen der Stadt brutal aneinandergeraten waren. Nach einer Messerattacke am vergangenen Freitag werten fünf Ermittlerinnen und Ermittler einer Mordkommission das sichergestellte Videomaterial aus. Ihre Arbeit, so heißt es, ende derzeit immer erst, wenn es draußen schon lange dunkel ist. „Eine Festnahme gibt es noch nicht. Ein dringender Tatverdacht lässt sich derzeit nicht begründen“, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer.

Bei den beteiligten Familien handelt es sich um Roma, einige Mitglieder seien bereits polizeilich in Erscheinung getreten, heißt es. Mal ging es um Betrug, mal um kleinere Drogendelikte. Doch der Vergleich zu klassischen Clans (siehe Infos am Textende) sei irreführend. Bei den Ermittlungsbehörden ist von einer „Fehde“ die Rede, es gebe jedoch keine mafiösen Strukturen. Die Polizei hat den sechs Personen, die vorigen Freitag an der Auseinandersetzung in der Ehrenstraße beteiligt waren, Gefährderansprachen gehalten – die Vorgehensweise wird sonst bei Fußballrowdys angewandt, um vor Risikospielen die Konsequenzen von Auseinandersetzungen klarzumachen.

Roma und Sinti haben mit der Zuschreibung eines Clans im allgemein verwendeten Sinn gar nichts zu tun.
Abdou Gabbar

Wenn von kriminellen Clans die Rede ist, geht es oft um Waffengeschäfte und Drogen, um Gebietsansprüche und Territorien. „Clan-Kriminalität stellen wir in Köln nicht fest, andere Städte in Nordrhein-Westfalen sind da stärker betroffen“, sagt ein Polizeisprecher. Im Fall der beiden Roma-Familien spielen wohl eher Stolz und Ehre eine Rolle. Denn als Auslöser der Unruhe gilt nach wie vor ein im März 2022 veröffentlichtes Video, auf dem ein Mann mehrere andere Familien beleidigt. Daraufhin war es voriges Jahr in Höhenberg zum Angriff auf den Bruder (37) jenes Mannes gekommen, der das Video veröffentlicht hatte. Der Familienvater starb später an den Folgen von Schlägen und Tritten in einer Klinik. Derzeit läuft vor dem Landgericht der Prozess gegen Beschuldigte.

Rechtsanwalt Abdou Gabbar verteidigt im Mord-Prozess einen der Angeklagten und hat sich mit den Familienstrukturen befasst. „Clankriminalität halte ich für ein Modewort. Der Begriff dient Ermittlungsbehörden nicht selten dazu, eine größtmögliche Anzahl von Beschuldigtem im Wege einer abstrakten Zurechnung als Täter verurteilen zu können. Roma und Sinti haben mit der Zuschreibung eines Clans im allgemein verwendeten Sinn gar nichts zu tun“, stellt er fest.

Dies deckt sich offenbar auch mit den Beobachtungen der Ermittlungsbehörden, die eine klare Unterscheidung beispielsweise zum in Leverkusen beheimateten Al-Zein-Clan treffen. Hier handelt es sich um eine Großfamilie aus dem Libanon, einzelne Mitglieder werden von der Polizei als Intensivtäter geführt.

Der Messerangriff am Freitag auf der Ehrenstraße gilt nicht nur als Racheakt für den gemeinschaftlichen Mord in Höhenberg. Im Gerichtsprozess hatte ein Mann auf Kamerabildern mehrere Beteiligte der verfeindeten Familie identifiziert, auch diese Begebenheit wird nun als Auslöser des erneuten Zusammentreffens geprüft. Bei einem der Beteiligten handelt es sich zudem offenbar um einen Cousin des Mordopfers aus Höhenberg.

Doch es gibt auch Parallelen zu arabischen Clans. Die Kooperationsbereitschaft mit der Polizei hält sich dem Vernehmen nach in Grenzen. Bei einigen Ermittlerinnen und Ermittlern fällt auch der Begriff der „Selbstjustiz“, wenn es um die beiden Familien geht. Die Aufarbeitung der Auseinandersetzung wird Polizei und Staatsanwaltschaft noch einige Zeit beschäftigen.


Clan-Kriminalität

50 kriminelle Familienclans gibt es nach Schätzungen des Landeskriminalamts (LKA) allein in Nordrhein-Westfalen. Meist handelt es sich dabei um türkisch-arabische Clans, das Bundeskriminalamt (BKA) rechnet diesen Clans bundesweit rund 200 000 Personen zu. Nicht alle dieser Menschen fallen durch kriminelle Machenschaften auf. Clans leben nach laut Professor Dr. Stefan Goertz von der Hochschule des Bundes „häufig in einer abgeschotteten Parallelwelt“, in der staatliche Strukturen nicht anerkannt werden. Die Mitgliedschaft definiert sich ausschließlich durch Verwandtschaft. Die Behörden gehen von einer hierarchisch-patriarchalisch geprägten Struktur aus. (tho)

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