Barrie Koskys Inszenierung von Händels „Saul“ begeistert mit spektakulären Bildern, während Christopher Purves die Titelrolle eindrucksvoll verkörpert.
Hexenbeschwörung und EifersuchtBarrie Koskys Inszenierung von Händels „Saul“ beeindruckt in Köln

Üppige Pracht: In „Saul“ agiert das Ensemble rund um einen reichlich gedeckten Tisch.
Copyright: Sandra Then
Als Georg Friedrich Händel und sein Librettist Charles Jennens das Oratorium „Saul“ 1738 planen, setzen sie darauf, dass dieser König die Größe eines Shakespearsche Tragöden hat. Saul, ein biblischer Othello, King Lear oder Hamlet. Wie in „Macbeth“ gibt es auch eine Hexenbeschwörung. Saul sucht die Hexe von Endor auf, weil er den Geist des Propheten Samuel um Beistand und Rat bitten will. Saul leidet unter Verfolgungswahn. Zur Erinnerung, David hat als einfacher Schäfer Goliath mit einer Steinschleuder getötet und die Philister besiegt. Das Volk bejubelt ihn. Saul ist eifersüchtig und fürchtet um seinen Thron.
Großartig besetzte Titelpartie
Die Ombra-Szene mit Samuel als totem Wiedergänger von dunklen Klängen begleitet war damals eine Sensation. Und die Horrorszene ist es auch in dieser Produktion. Denn Barrie Kosky lässt Saul, stimmlich wie szenisch großartig besetzt mit Christopher Purves, wie zu sich selbst als Samuel sprechen. Die Hexe (eine Männerrolle!) streckt erst ihren Kopf mit zottelig weißen Strähnen aus dem schwarzen Sand und klettert dann heraus, um Saul ihre mit narkotisch triefender Milch gefüllte Brust zu reichen. Bei Kosky hat alles eine bildliche Logik.
Saul steht als Titelfigur natürlich im Zentrum. Bereits im ersten Teil vor der Pause verbindet Purves Komik und Groteske, versucht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, während sich alle um David (Countertenor Christopher Lowrey) scharen. Oder er wird von Händen attackiert, die wie er den Kopf aus einem Spalt stecken. Wobei der Spalt durch zusammen gezogene Tische entsteht, die zu Anfang das Bühnenbild tragen.
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Gigantisches Stillleben
Und was für ein Bühnenbild (Ausstattung, inklusive Kostüme: Katrin Lea Tag) ist das! Ein gigantisches Stillleben und ein grell-überzeichnetes barockes Memento mori aus turmartigen Blumenbouquets, unter denen ein Hirsch oder ein Bison im Fell, Fisch und Riesenmuscheln liegen, gekrönt von einem Schwan und einem Pfau.
Die Tafel teilt sich und gestaltet die Bühne immer wieder anders. Die Solisten klettern darauf herum. Ebenso die Choristen der Oper Köln, die zu Beginn noch etwas zurückhaltend klingen. Sie jagen aufgeregt um die Tische, johlen, kommentieren gestisch oder schmeißen die Hände nach oben. Die Damen in bonbonfarbenen Reifrockkleidern tragen wie die Herren aufgetürmten Rokokoperücken.
Bilder stehlen der Musik die Schau
Die Bildfantasie Barrie Koskys stiehlt der Musik vor der Pause die Show. Auch, weil das Gürzenich Orchester unter der Leitung von Rubén Dubrovsky der Akustik im Staatenhaus wegen nicht unmittelbar genug wirkt. Eine barocke Celesta, die Händel eigens damals bauen ließ, klingt hier wie ein Glockenspiel und ist natürlich ein Hinhörer.
Aber Koskys Regie, seine Ideen und Personenführung bis hin zu Requisiten wie dem Stein aus der Schleuder oder den Köpfen, die am Boden liegen und mittels besonderer Lichtregie aufscheinen, sind so konsequent durchgezogen, dass sie einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Hinzukommen noch sechs quirlig auf lustig abonniert und amüsiert wirbelnde Tänzer dazu, die passgenau auf die Musik agieren.
Das Drama geht knapp verloren
Über weite Strecken kettet sich Koskys verlustigender Milos-Forman-Historismus an die menschliche Psychologie am Rande des Dramas: Sauls Tochter Merab (Sarah Brady, warm und koloraturstark), die David heiraten soll und sich verweigert, weil ein Hirte nicht standesgemäß ist, oder auch Sauls Sohn Johnathan (Tenor Linard Vrilink), der sich in David verliebt und deshalb gegen den Vater kehrt, bekommen Raum. Jugendlich überzeugt Giulia Montanari aus dem Ensemble als Michal, die schon längst in David verliebt ist.
Viele Schreie, viele Stöhner, viele Pausen gibt es nach den Arien, die den menschlich erzählten oder gelebten Konflikt nachleben lassen. Würde Christopher Purves im zweiten Teil nicht das Drama an sich reißen, man ginge dennoch dessen verlustig.
Nach der Pause: alles schwarz
Nach der Pause ist die Tafel endgültig abgeräumt, alles Bunte ist schwarz geworden, der Wahnsinn tobt. Zunächst im Schein Tausender Kerzen, bis die Choristen als Erschlagene auf dem Schlachtfeld liegen, sich wie Zombies zum Schlusschor aufrichten und an der Rampe eindringlich das Publikum beschwören. Frieden dem Mad King und ein Halleluja für den neuen König David, stimmlich gut, aber Lowrey kann Purves nicht ganz das Wasser reichen!
Das Publikum ist von der Show insgesamt einhellig begeistert und applaudiert euphorisch. Diese Kölner Produktion hat die Gunst des Publikums.
195 Minuten (inkl. Pause). Wieder am 26. und 29.11., jeweils 19 Uhr sowie weitere Termine im Dezember.
