Schauspiel Kölns „Liebes Arschloch“ verbindet verbale Gefechte mit gesellschaftlichen Themen und brillanter Inszenierungstechnik.
Premiere im Schauspiel Köln„Liebes Arschloch“ bietet scharfe Gesellschaftskritik

Birgit Unterweger spielt in „Liebes Arschloch“ die Schauspielerin Rebecca.
Copyright: Marcel Urlaub
Die Literaturform des spitzzüngigen Briefromans kennt man schon seit 1782, als Choderlos de Laclos’ „Gefährliche Liebschaften“ erschien. Und was passieren kann, wenn eine E-Mail beim falschen Empfänger landet, erzählte Daniel Glattauer 2006 in „Gut gegen Nordwind“.
Verbaler Schlagabtausch
Dass Virginie Despentes mit „Liebes Arschloch“ das Rad neu erfunden hätte, kann man also wirklich nicht behaupten. Was beide vorgenannten Beispiele aber ebenfalls zeigten: Die verbalen Schlagabtäusche eignen sich hervorragend als Vorlage für Bühneninszenierungen. Das Schauspiel Köln zeigt eine Fassung von Despentes’ Roman, die im vergangenen Jahr in Wien uraufgeführt wurde.
Als der Vorhang sich öffnet, enthüllt er eine Drehbühne. Darauf, Rückwand an Rückwand, die Wohnungen von Rebecca (Birgit Unterweger) und Oscar (Paul Grill). Er, erfolgreicher Autor, hat in den sozialen Medien einen hämischen Post über die nicht mehr ganz junge Schauspieldiva veröffentlicht – ohne zu bedenken, dass die Zielperson seiner Attacke diese selber lesen könnte. Hat sie aber – und schießt prompt zurück.
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Boshafter Ton
Ihr erster Kommentar beginnt mit der titelgebenden Anrede. Es beginnt ein Schlagabtausch, der immer mehr an Tempo aufnimmt und dabei Erstaunliches offenbart: Rebecca und Paul kennen sich von früher – sie war einige Zeit mit seiner älteren Schwester befreundet. Der boshafte Ton seines ersten Posts ist seiner gekränkten Eitelkeit geschuldet, nachdem sie ihn nicht wiedererkannte, als beide kürzlich im selben Restaurant speisten.
Als sie sich kennenlernten, lebten sowohl Rebecca als auch Paul in wenig glamourösen Verhältnissen, aus denen sie sich beide herausgekämpft haben. Heute sind sie bekannt und erfolgreich, doch unter der Oberfläche lauern Unsicherheiten und Ängste, die beide mit Alkohol und Drogen zu bekämpfen versuchen. Sie haben, wie sie widerwillig feststellen, also mehr gemeinsam, als ihnen vielleicht lieb ist. Aus den giftigen Verbalattacken werden vorsichtige Annäherungsversuche. Vor allem, als Corona das öffentliche Leben lahmlegt und virtuelle Kontakte als einzige Abwechslung im Alltag bleiben.
#Mee Too und Feminismus
Doch dann erscheint Zoé (Irem Gökçen) auf der Bildfläche. Die feministische Influencerin war eine Zeit lang Pauls Assistentin und PR-Beraterin. Ihr berufliches Engagement hat Paul offenbar mit persönlichem Interesse an seiner Person verwechselt und sich nichts dabei gedacht, als er die scheinbaren Avancen erwiderte. Umso unvorbereiteter trifft ihn der Shitstorm, den die junge Frau im Netz entfacht. Doch auch für Zoé selber bleibt das Ganze nicht ohne Folgen. Zwar wird sie in feministischen Kreisen als Heldin gefeiert, doch der ungefilterte Hass der Gegenseite lässt nicht lange auf sich warten.
Am Ende landet die junge Frau in der Psychiatrie und ist gezwungen, sich und ihre Ziele zu hinterfragen. Feminismus, #Me Too, Erfolgsdruck, Existenzängste und die gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sind nur einige der Themen, die Virginie Despentes in „Liebes Arschloch“ aufgreift. Trotzdem wirkt das Ergebnis nicht überfrachtet, sondern wurde mit Leichtigkeit inszeniert und bringt das Publikum immer wieder zum Lachen. Das ist der Regie von Stephan Kimmig und dem harmonierenden Zusammenspiel mit Bühnenbild (Katja Haß) und Videoart (Lisa Rodlauer, Jan Isaak Voges) zu verdanken.
Da gewinnen die verbalen Schlagabtäusche an Dynamik, indem das Bühnenbild mittels Drehbühne immer wieder wechselt und die Darsteller mal in natura, mal per Videoschalte zu sehen sind. Dem Ensemble merkt man die Spielfreude an, wobei insbesondere Unterweger und Grill überzeugen. Gökçen wirkt daneben ein wenig blass, was aber auch daran liegen könnte, dass sie erst spät dazukommt und das eingespielte Duo aufbricht.
160 Minuten, eine Pause, wieder am 30.11., 18 Uhr und 13.12., 19.30 Uhr. Tickets: www.schauspiel.koeln

