Im Theaterstück „Exil“ am Schauspiel Köln erzählen Oklesii und Hassan von ihren persönlichen Schicksalen. Jetzt hat sich ihre jeweilige Lage dramatisch verschlechtert.
Wahre Dramen am Schauspiel KölnDiese echten Schicksale stecken hinter dem Stück „Exil“

Oleksii Dorychevskyi im Stück „Exil“.
Copyright: David Baltzer
Oft versucht das Theater, die Wirklichkeit abzubilden. Manchmal wird das Theater aber auch von der Wirklichkeit eingeholt. So fragte man sich schon nach der Premiere von Nuran David Calis' Stück „Exil“, was bloß aus Hassan wird.

Hassan aus dem Stück „Exil“
Copyright: Hassan
Der junge Mann aus Uganda war live zugeschaltet und erzählte seine Geschichte: Er war über Kenia in die Türkei gelangt, war viermal beim Versuch über das Meer nach Griechenland zu kommen, aufgegriffen und ins Gefängnis gebracht worden. Jetzt harrte er in einer Flüchtlingsunterkunft auf der griechischen Insel Samos aus, wartete auf sein Anhörungsverfahren.
In Uganda droht die Todesstrafe
Nun erfuhr das Schauspiel Köln: Auch sein zweiter Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. In seine Heimat kann er als schwuler Mann nicht zurück: Dort war Homosexualität immer schon illegal, mittlerweile droht sogar die Todesstrafe.
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„Jetzt hat er zwar die Möglichkeit, noch einmal einen Asylantrag zu stellen“, berichtet Dramaturgin Stawrula Panagiotaki. „Das Problem ist, dass dafür ,neue Beweise' verlangt werden.“ Hassans Ausgangslage hat sich aber nicht verändert.
Stawrula Panagiotaki hat nun versucht herauszufinden, „bei welcher Organisation in Griechenland er sich anwaltliche Hilfe gesucht hat. Hier in Deutschland bin ich in Kontakt mit Pro Asyl, um zu erfahren, ob die Organisation, bei der er war, seriös ist.“ Und sie weiß auch: Die Flüchtlingsorganisationen vor Ort sind „heillos überfordert“.
In „Exil“ ist Hassans Geschichte eine von einer ganzen Reihe, die alle von Flucht, Ankommen und den damit einhergehenden Schwierigkeiten. Auf der Bühne berichtet auch der ukrainische Schauspieler Oleksii Dorychevskyi, wie er zu Kriegsbeginn mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter nach Deutschland geflohen ist.
Schuldgefühle, die Heimat im Stich zu lassen
Oleksii erzählt auch davon, wie er seitdem damit gehadert hat, seine Heimat verlassen zu haben und nicht dort zu kämpfen. Doch nun wird er das wohl müssen.
„Ich wusste, dass Oleksii über den Sommer zurück in die Ukraine wollte, um dort eine Theaterproduktion zu machen. Es war eigentlich auch geregelt, dass er danach auch wieder zurückkommen darf“, erzählt Stawrula Panagiotaki. „In der Ukraine hat er sich aber auf der Militäreinberufungsliste wiedergefunden und mich benachrichtigt, dass es so aussieht, dass er nicht nach Köln zurückkommen könne. Diese Woche ist er bereits bei der Gesundheitsprüfung des Militärs und wird dann wohl an die Front geschickt.“
Die Rolle wird nicht umbesetzt
Das Stück wird dennoch gespielt: „Wir haben uns entschieden, Oleksii nicht durch einen anderen ukrainischen Spieler zu ersetzen. Der Platz für ihn soll und muss frei gehalten werden, sodass er, wenn er seinen Dienst absolviert hat, so Gott will, zurückkommen und seine Vorstellungen spielen kann.“ Andreas Grötzinger wird jetzt seine Texte lesen.
Sollten wir uns an den russischen Angriffskrieg oder die Ausmaße europäischer Asylpolitik schon gewöhnt haben, so ruft uns dieser Vorgang schmerzhaft in Erinnerung, wie nah und konkret diese Schicksale sind. All das trifft Menschen, mit denen wir befreundet sind.
Hätte sich Oleksii Dorychevskyi, der auch in „Die Revolution lässt ihre Kinder verhungern“ mitspielt, nicht ausrechnen können, dass er eingezogen wird? „Er hat gehofft, dass das nicht passieren wird, er kannte andere Beispiele, wo es geklappt hat. Aber gerade ist es so, dass Schauspieler aus laufenden Produktionen für den Militärdienst herausgeholt werden. Das Theater ist nicht mehr der Schutzraum, das es einmal war.“
Live-Schalten nach Samos und Kiew
Doch es ist geplant, nicht nur Hassan wieder live in den Abend zu schalten, sondern auch Oleksii. „Bis jetzt war der Höhepunkt des Abends das Gespräch mit Hassan, der sich in der Limbussituation der Asylanträge befand und damit in einer sehr viel schwierigeren Situation als alle anderen Interviewpartner im Stück, die in Einspielern zu Wort kommen. Nun müssen wir auch Oleksii dazuschalten, der sich für das Militär verpflichten musste. So verändert sich nicht nur die Dramaturgie des Stücks, die Realität wird größer als das Theater.“
Aber, so Stawrula Panagiotaki, Oleksii Dorychevskyi habe auch klar zu verstehen gegeben, dass er keine Unterstützung vonseiten des Schauspiels möchte. „Denn wir haben ihn natürlich als Erstes gefragt, was wir tun können.“
Die Aufgaben eines Theaters
Regisseur Nuran David Calis hat „immer wieder mit Menschen zusammenarbeitet, die in aufgeladenen Kontexten stecken. Mir war von Anfang an bewusst, dass es ein großes Risiko gibt, mit solchen Persönlichkeiten zu arbeiten, deren Situation in vielerlei Hinsicht in unserer Gesellschaft nicht geklärt ist. Nichtsdestotrotz habe ich in der Arbeit auch immer eine Chance gesehen, auf die Konflikte und die Missstände in unserer Gesellschaft den Fokus zu richten — zusammen mit diesen Menschen, ihnen eine Plattform zu bieten, um ihr Anliegen voranzubringen“, so sein Credo.„Wir vergessen immer, dass diese Menschen hier bei uns in Europa sind und in die Mühlen des Systems geraten. Auch ein Theater muss den Finger auf genau solche Wunden legen.“
Ich bin wütend, traurig, auch teilweise verzweifelt.
Nuran David Calis ist, wie alle am Haus, sehr betroffen. „Die beiden sind mir sehr nahe. Ich bin wütend, traurig, auch teilweise verzweifelt. Es hat mir kurzzeitig den Boden unter den Füßen weggezogen, denn beide Schicksale sind eine menschliche Katastrophe.“
Es ist nicht das erste Mal, dass in einem Stück von Calis ein Akteur nicht dabei sein kann. Als Doghan Akhanli im August 2017 wegen eines türkischen Haftbefehls in einem spanischen Gefängnis saß, sprang auf seinen Wunsch sein Sohn im Stück „Istanbul“ ein. „Wir haben damals alles versucht, um ihn da herauszubekommen.“ Nach seiner Freilassung stand Doghan Akhanli auch wieder auf der Bühne.
„Wir können jetzt nicht aufgeben, wir müssen weiter trommeln“, sagt Nuran David Calis. In der Hoffnung, dass nicht nur Oleksii Dorychevskyi bald wieder in Köln auf der Bühne steht, sondern vielleicht auch eines Tages Hassan. „Das wäre das Größte, was es gibt!“