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Politische Aktualität im Schauspiel KölnCalle Fuhr thematisiert Aufrüstung und Wehrpflicht

4 min
Calle Fuhr ist Hausautor und Hausregisseur am Schauspiel Köln.

Calle Fuhr ist Hausautor und Hausregisseur am Schauspiel Köln. 

Mit „Krieg und Frieden“ widmet Calle Fuhr sich im Depot der aktuellen politischen Lage.

Abermilliarden will die Regierung in den kommenden Jahren für die Rüstung ausgeben, die Jugend soll mit der neuen Wehrpflicht kriegstüchtig gemacht werden. Das Land verändert sich, und Calle Fuhr, den Hausautor und -regisseur des Schauspiels Köln, beschäftigte diese Thematik so sehr, dass er sie im Rahmen des Programmschwerpunkts „Theater und Journalismus“ unbedingt auf die Bühne bringen wollte.

„Nicht in Form eines Seminars“, wie Dramaturg Lennart Göbel dem Premierenpublikum bei einem einführenden Gespräch mit Intendant Kay Voges erklärte. Aber das Stück „Krieg und Frieden“ solle eben doch alle relevanten Fakten benennen und die teils verschlungenen Zusammenhänge aufdröseln, die zur aktuellen Situation geführt haben. Um „von der Meinung zur Ahnung zu kommen“.

Weitere Zusammenarbeit mit „Correctiv“

Deshalb habe man sich erneut der Unterstützung des Recherchekollektivs „Correctiv“ versichert, so Göbel. Für Voges ein Anlass, die Kardinalfrage des gesamten Projekts noch einmal zu stellen: „Theater und Journalismus: Passt das, geht das zusammen?“ Lässt sich für drängende gesellschaftspolitische Themen „eine Erzählung finden, die Spaß macht“, also den eigenen ästhetischen Ansprüchen genügt?

Dass Kay Voges die Frage wiederholte, mag den Reaktionen auf die beiden ersten Versuche in diesem Bereich unter seiner Intendanz geschuldet sein, „Geheimplan gegen Deutschland – ein Nachspiel“ (mit Andreas Beck) sowie „Der Aufstieg und Fall des René Benko“ (mit Fuhr). Oder den erwarteten Reaktionen auf Fuhrs Bühnenessay „Krieg und Frieden“, der als Mischung aus Vortrag und Kabarett daherkommt, sicher nicht als „großer Theaterabend“.

Souveräner Auftritt

Fuhr gibt mit seinem Solo-Auftritt gut 100 Minuten lang souverän plaudernd, informativ und unterhaltsam den Theatermacher Calle Fuhr, der genau wissen möchte, weshalb Deutschland derzeit „zwar nicht im Krieg ist, aber auch nicht im Frieden“, wie Kanzler Merz sagte.

Keine Frage, das Stück ist wichtig, sehr wichtig, aber ist es auch gut? An Informationen zur Meinungsbildung mangelt es nicht, Fuhr zeichnet etwa den Werdegang Putins vom Spion in Dresden zum Autokraten mit allen schäbigen Manövern nach. Er nennt die Namen zahlreicher Vertreter der russischen Opposition, der Justiz, der Medien und der Wirtschaft auf, die vermutlich auf sein Geheiß vergiftet, erschossen oder geköpft wurden, erzählt den Hergang von Bombenattentaten in Putins „Lieblingsziel“ Deutschland und von seinen Versuchen, die EU zu destabilisieren.

Maximierung von Profiten

Wichtig auch das eklatante Versagen der deutschen Politik, die trotz der Warnungen von Nachbarn aus der EU und auch gegen alle Sanktionen aus Washington noch nach der Annexion der Krim an den Projekten Nord Stream und Nord Stream 2 festhielt – und das zum Teil bis heute tut – und damit Putin zum Angriff auf die Ukraine einlud. Fuhr vergisst auch nicht zu erwähnen, dass Rheinmetall, die einzige deutsche Waffenschmiede von Bedeutung, die Gunst der Stunde nutzt - und mit Spenden an Politiker absichert -, um ihre Profite zu maximieren. Teils um mehr als 100 Prozent.

Das Ergebnis der Recherchen jedoch ist wenig überraschend: Er könne die Regierung verstehen, wenn sie in die Aufrüstung investiert, sagt Calle Fuhr, die neue Wehrpflicht allerdings bereite ihm Bauchschmerzen – der Großteil des dem linksliberalen Milieu entstammenden, mittelalten bis älteren Publikums bei der Premiere im Depot dürfte ganz ähnlich denken. Der Applaus jedenfalls ist riesig.

FC Köln als Running Gag

Sicher, Fuhr baut einige Running Gags ein, wie die Tabellensituation des FC in den jeweiligen Jahren, er zeigt Fotos von Politikern oder die Parodie auf einen Image-Film von Rheinmetall. Das ist alles nett, aber keineswegs aufregend und eher bei der sogenannten Kleinkunst angesiedelt.

Wenn man deren Formen angesichts der aufgewühlten Weltlage nun am Theater aufgreift, ist das aller Ehren wert. Künstlerische Großtaten aber sollte man im Segment „Theater und Journalismus“ vorerst wohl noch nicht erwarten.

Doch die Suche nach ästhetisch befriedigenden Lösungen geht weiter. So berichtete Kay Voges bei der Einführung, dass die Reihe „Theater und Journalismus“ nun nicht nur von der Augstein-Stiftung unterstützt wird, sondern auch Gelder von der EU erhält. Zusammen mit sieben ähnlich arbeitenden Spielstätten in anderen Ländern. „Das dient auch der Vernetzung, wir werden unsere Informationen teilen“, kündigte Voges an. Wohl auch die guten Ideen.

100 Minuten. Wieder am 27.11. und 3.12., 19 Uhr sowie am 14.12., 18.30 Uhr.