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16 Jahre krank und keiner prüftLandtag untersucht Fall einer krankgeschriebenen Lehrerin

4 min
Eine Lehrerin bei der Arbeit (Symbolbild)

Eine Lehrerin bei der Arbeit (Symbolbild)

Eine Studienrätin aus Duisburg bezog jahrelang volles Gehalt ohne Amtsarzt-Kontrolle. SPD und FDP fordern nun Aufklärung von der Schulministerin. Der Fall wirft grundsätzliche Fragen zum Beamtenstatus auf.

Der Fall einer fast 16 Jahre lang bei vollen Bezügen krankgeschriebenen Lehrerin aus Duisburg, die eigentlich am Berufskolleg Wesel hätte tätig sein sollen, findet ein parlamentarisches Nachspiel im NRW-Landtag.

Die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP haben am Montag jeweils Berichtsanfragen an die schwarz-grüne Landesregierung gerichtet. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) muss damit spätestens im Fachausschuss am 10. September gegenüber dem Parlament darlegen, wie es dazu kommen konnte, dass die Studienrätin über so lange Zeit nie von einem Amtsarzt auf ihre Dienstfähigkeit hin untersucht wurde.

Kritik am System Beamtentum

„Beamtentum darf kein Selbstbedienungsladen sein. Wer dauerhaft nicht mehr unterrichten kann, muss zügig überprüft werden – im eigenen gesundheitlichen Interesse der Betroffenen, der Schülerinnen und Schüler, der Steuerzahler und nicht zuletzt der tausenden Lehrkräfte, die jeden Tag alles geben, um unseren Kindern die besten Chancen zu geben“, kritisierte FDP-Fraktionsvize Franziska Müller-Rech.

Der Fall sorgt seit Tagen bundesweit für Aufsehen. Die Frau war zwischen 2003 und 2009 als Lehrerin tätig, meldete sich danach aber dauerhaft krank. Offenbar machte sie ein psychisches Leiden geltend, zumindest wurden immer wieder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von einem Zentrum für Neurologie und Psychiatrie vorgelegt.

16 Jahre Krankschreibung ohne Kontrolle

Normalerweise müssen sich Landesbeamte in NRW nach längerer Krankheit (Ausfallzeiten von mehr als drei Monate innerhalb von sechs Monaten) von einem Amtsarzt begutachten lassen. Wird dabei eine dauerhafte Dienstunfähigkeit festgestellt, erfolgt die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand bei reduzierten Versorgungsbezügen. Bei einer Teildienstfähigkeit wird das monatliche Gehalt und die spätere Pension entsprechend gekürzt.

Die Lehrerin vom Berufskolleg Wesel kassierte dagegen offenbar über anderthalb Dekaden weiter ihr volles Studienrats-Gehalt von monatlich über 5000 Euro, ohne dass sie sich je von einem Amtsarzt untersuchen lassen musste. Der Weseler Schulleiter soll den Namen der Frau laut Bild-Zeitung nicht einmal gekannt haben.

SPD-Schulexpertin Dilek Engin, die selbst jahrelang als Oberstudienrätin an einer Gesamtschule gearbeitet hat, reagierte mit Unverständnis: „Erst im vergangenen Jahr mussten Dutzende Lehrkräfte zum Amtsarzt, weil sie wegen ihres Antrags auf eine Teilzeitstelle ein Attest benötigten. Aber eine langfristige Erkrankung wird nicht einmal überprüft?“

5000 Euro monatlich ohne Gegenleistung

Schulministerin Feller, die bis zu ihrer Berufung ins Landeskabinett 2022 Regierungspräsidentin in Münster war und als Verwaltungsexpertin gilt, kann sich die unbehelligte Krankschreibung selbst nicht erklären und verweist auf eine „umfassende Aufarbeitung“ der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf. Für die CDU-Politikerin kommt der Vorgang zu Unzeit. Einerseits ist er Wasser auf die Mühlen jener in ihrer Partei, die wie Generalsekretär Carsten Linnemann Lehrern das lebenslange Beamtenprivileg wegnehmen wollen.

Zugleich könnte die Akzeptanz für ungeliebte Abordnungen und das Streichen „voraussetzungsloser“ Teilzeit-Möglichkeiten innerhalb der Lehrerschaft weiter bröckeln. Seit Amtsantritt macht sich Feller dafür stark, Lehrkräfte auch gegen ihren Willen an Brennpunkt-Schulen im nördlichen Ruhrgebiet abzuordnen. Außerdem wird bei sogenannten „voraussetzungslosen“ Teilzeit-Anträgen, die nicht mit familiären Betreuungspflichten begründet werden können, genauer hingeschaut.

„Wenn eine Lehrkraft über 15 Jahre krankgeschrieben ist, ohne dass je ein Amtsarzt die Dienstfähigkeit prüft, ist das ein Skandal. Insbesondere vor dem Hintergrund, wie wir als Gesellschaft gegen massiven Lehrermangel und Unterrichtsausfall kämpfen“, findet FDP-Fraktionsvize Müller-Rech.

Die Opposition verlangt nun vom Schulministerium eine genaue Auflistung, wie viele der rund 200.000 Lehrkräfte langfristig krankgemeldet sind und in welchen Fällen der Amtsarzt seinen Pflichten nachgekommen ist. Bislang ist die Lage in NRW recht unübersichtlich. Der durchschnittliche attest-pflichtige Krankenstand im Bildungsbereich lag 2023 bei etwa 6,5 Prozent, was mehr als die Quote aller Arbeitnehmer in Deutschland (5,4 Prozent) war, aber weniger als in der übrigen NRW-Landesverwaltung (8,3 Prozent).

Bei immer noch rund 7000 fehlenden Lehrkräften wirft die Opposition der Landesregierung einen zu nachlässigen Umgang vor: „Wir fragen die Ministerin schon seit geraumer Zeit nach der Anzahl von Lehrkräften, die – sei es durch Erkrankung, durch Schwangerschaft oder durch Elternzeit – nicht unterrichten können. Die Zahlen konnte oder wollte sie uns aber nicht liefern“, klagte SPD-Frau Engin.

Öffentlich geworden ist die fast 16-jährige Krankmeldung bei vollen Bezügen nur durch eine Klage der Betroffenen selbst. Sie wehrte sich vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf vergeblich gegen die Einbestellung zur amtsärztlichen Untersuchung nach all den Jahren, in denen eine einfache Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reichte. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) stellte am 12. August final klar, dass an der Dienstfähigkeits-Prüfung auch das „außergewöhnlich lange Untätigbleiben des Dienstherrn“ nichts ändere.