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Alarm nach Putins Eskalation„Heute ist ein besonderer Tag – wir haben es mit einem Angriff auf Polen zu tun“

6 min
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (M. bei einer Krisensitzung in Warschau. Mehrere russische Drohnen sind in der Nacht auf Mittwoch (10. September) in den polnischen Luftraum eingedrungen. (Archivbild)

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (M. bei einer Krisensitzung in Warschau. Mehrere russische Drohnen sind in der Nacht auf Mittwoch (10. September) in den polnischen Luftraum eingedrungen. (Archivbild)

Kampfjets schießen russische Drohnen über Polen ab. Boris Pistorius und EU glauben an eine gezielte Aktion. Wie fällt die Reaktion aus? 

Ausgerechnet ein republikanische Kongressabgeordneter lieferte die drastischste Reaktion auf die Verletzung des polnischen Luftraums durch russische Drohnen: „Russland greift den Nato-Partner Polen mit iranischen Schahed-Drohnen an“, schrieb Joe Wilson mitten in der Nacht auf Mittwoch auf der Plattform X.

„Das ist ein kriegerischer Akt“, führte der Republikaner aus und forderte US-Präsident Donald Trump auf, mit „verbindlichen Sanktionen zu reagieren, die die russische Kriegsmaschinerie in den Bankrott treiben und die Ukraine mit Waffen auszustatten, die Russland angreifen können.“

Zuvor hatte es erste Berichte über russische Drohnen im polnischen Luftraum gegeben. Mittlerweile kommen mehr Details ans Tageslicht: 19 russische Drohnen hätten die Grenze überquert, erklärte der polnische Premierminister Donald Tusk. Vier der Geschosse seien von Nato-Kampfjets abgeschossen worden. Trümmer einer Drohne schlugen Berichten zufolge in einem Haus ein und sorgten für erhebliche Schäden.

Russische Drohnen: Polen aktiviert Artikel 4 des Nordatlantikvertrages

Angesichts der Eskalation durch die russischen Streitkräfte hat Warschau mittlerweile Artikel 4 des Nordatlantikvertrages aktiviert und somit Beratungen innerhalb der Nato angesichts der russischen Aggression beantragt, teilte die Regierung in Warschau mit.

„Heute ist ein besonderer Tag“, erklärte unterdessen Jarosław Kaczyński, Vorsitzender der Oppositionspartei PiS. „Wir haben es mit einem Angriff auf Polen zu tun“, erklärte der Vorsitzende der Oppositionspartei PiS. „Das ist kein Zufall mehr, es ist nichts, was auf unvorhergesehene Aktionen zurückzuführen ist, es ist einfach ein Angriff.“

„Wir haben es mit einem Angriff auf Polen zu tun“

Nato-Chef Mark Rutte wollte bei einer Pressekonferenz am Mittwochmittag allerdings noch keine finale Bewertung der Lage abgeben. Die Prüfung des Vorfalls sei noch im Gange, sagte der Generalsekretär in Brüssel. Das Vorgehen Russlands sei allerdings „absolut rücksichtslos“ – ganz gleich, ob die Luftraumverletzung absichtlich erfolgt sei oder nicht.

Gleichzeitig berichtete Reuters, dass die Nato die Luftraumverletzung nicht als „Angriff“ werte und bezog sich dabei auf eine Quelle innerhalb des westlichen Verteidigungsbündnisses. Eine Bestätigung für diese Meldung gibt es allerdings nicht.

EU-Außenbeauftragte: Hinweise auf absichtliche Attacke

Bei der Europäischen Union fällt die erste Bewertung derweil anders aus. „Vergangene Nacht haben wir in Polen die schwerwiegendste Verletzung des europäischen Luftraums durch Russland seit Beginn des Krieges erlebt, und Hinweise deuten darauf hin, dass sie absichtlich erfolgte und nicht versehentlich“, teilte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas mit.

Auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius fand klare Worte: „Diese Drohnen sind ganz offenkundig gezielt auf diesen Kurs gebracht worden“, sagte der SPD-Politiker im Bundestag. Um in die Ukraine zu fliegen, hätten sie diesen Weg nicht fliegen müssen, führte Pistorius aus. Die russischen Drohnen seien „auch entsprechend munitioniert“, gewesen, erklärte der Verteidigungsminister. „Es hätte also auch jederzeit etwas passieren können.“

Boris Pistorius: „Drohnen gezielt auf diesen Kurs gebracht“

Russland wolle mit der erneuten Provokation ein „Lagebild generieren“, erklärte derweil CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. „Das Austesten mit Drohnenangriffen soll zeigen, wo westliche Flugabwehrstellungen sind, welche Fähigkeiten der Westen zur Abwehr hat, wie und wann reagiert wird“, schrieb Kiesewetter auf der Plattform X.

„Russland geht hier nach KGB-Textbook vor“, führte der CDU-Politiker aus. Moskau werde „immer weiter, immer stärker testen“, warnte er. Die Reaktion des Westens sei daher entscheidend. „Eine Beschwichtigung würde zu mehr Eskalation durch Russland führen – nicht weniger“, stellte Kiesewetter klar.

In der Ukraine teilt man diese Ansicht. „Russland muss spüren, dass die Europäer wissen, wie man sich selbst verteidigt“, forderte etwa der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. „Die Ukraine ist bereit, die Zusammenarbeit mit Partnern für einen zuverlässigen Schutz des Luftraums auszubauen.“

Hat Russland die Provokation in Polen schon lange geplant?

Das ukrainische Militärportal „Defense Express“ berichtete unterdessen, die russische Eskalation habe sich abgezeichnet. Bereits Anfang Juni seien in russischen Drohnen polnische SIM-Karten entdeckt worden, die darauf hingedeutet hätten, dass Russland den Einsatz der Waffensysteme im polnischen Luftraum geplant habe.

Polen sei daraufhin vor russischen Drohnenangriffen gewarnt worden, berichtete das Militärportal weiter. Die russischen Drohnen benötigten mobiles Internet, daher sei die Ausrüstung mit SIM-Karten notwendig, erklärte das Fachmagazin. 

Moskau gibt sich schmallippig

In Moskau gab man sich derweil schmallippig. Erst am Nachmittag äußerte sich das russische Verteidigungsministerium und leugnete einen Angriff auf polnisches Territorium. „Es gab keine Pläne, Ziele auf polnischem Territorium anzugreifen“, hieß es aus Moskau. „Dennoch sind wir bereit, diesbezüglich Konsultationen mit dem polnischen Verteidigungsministerium zu führen.“

Kremlsprecher Dmitri Peskow (Archivbild)

Kremlsprecher Dmitri Peskow (Archivbild)

Der Kreml selbst verweigerte unterdessen einen Kommentar. „Dies liegt nicht in unserer Kompetenz“, erklärte Präsidentensprecher Dmitri Peskow und verwies an das Verteidigungsministerium, jedoch nicht ohne sich darüber zu beklagen, dass Russland „täglich Provokationen“ vorgeworfen würden. „Meistens ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, Argumente vorzubringen“, führte Peskow aus, präsentierte jedoch selbst keine Belege, mit denen der Vorwurf einer bewussten Provokation im polnischen Luftraum entkräftet werden könnte.

Kreml warnt Westen vor „verheerenden Konsequenzen“

Gleichzeitig warnte der Sprecher von Kremlchef Wladimir Putin den Westen erneut vor der Entsendung von Truppen in die Ukraine und drohte mit „verheerenden Konsequenzen“ in diesem Fall. Moskau hatte zuletzt alle westlichen Friedensbemühungen zurückgewiesen und seine Maximalforderungen bekräftigt.

Gleichzeitig kommen aus Russland vermehrt bedrohliche Töne in Richtung Finnland. Ein Kommandeur der russischen Armee erklärte unterdessen noch am Wochenende, dass die Eroberung der gesamten Ukraine nun Moskaus Ziel sei.

Russische Kremlkritiker und Dissidenten schenken den Worten der russischen Regierung dementsprechend wenig Glauben. Von einem „massiven Angriff russischer Drohnen auf Polen“, schrieb etwa der Bürgerrechtler Leonid Wolkow bei X.

„Deshalb setzt er mit Überzeugung seinen Weg der Eskalation fort“

Putin wisse, dass es vom Westen „keine Reaktion geben wird“, führte der langjährige Weggefährte des gestorbenen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny aus. „Deshalb setzt er mit voller Überzeugung seinen Weg der Eskalation fort“, schrieb Wolkow weiter. Der Kremlchef setze darauf, dass der Westen zur Verhinderung einer Eskalation den „falschen Weg“ einschlagen werde, „den Weg der Zugeständnisse und Beschwichtigung“, fügte der Dissident hinzu.

Russland-Experten, Politikwissenschaftler und Historiker äußerten sich ähnlich: „Wenn wir jetzt nicht zu Polen und der Ukraine stehen, dann ist der nächste Drohnenangriff auf Rügen oder Usedom“, schrieb etwa der Historiker Jan Claas Behrends bei X. „Ich hoffe, dass der Bundeskanzler das versteht.“

Scharfe Kritik an US-Präsident Donald Trump

Russland habe „bewusst die Flugroute über polnisches Gebiet festgelegt“, um die polnischen Streitkräfte und Abwehrbereitschaft zu testen, lautete auch die Analyse des polnischen Politikwissenschaftlers Jaroslaw Wolski.

Kritik wurde unterdessen am Kurs von US-Präsident Donald Trump laut, der seit seinem Amtsantritt trotz Provokationen und ständigen Großangriffen auf die Ukraine durch Russland keinerlei Maßnahmen gegenüber Moskau ergriffen hat.

„Wenn USA einen ernstzunehmenden Präsidenten hätten“

Im Gegenteil: Trump fährt einen derartig zurückhaltenden Kurs gegenüber Kremlchef Putin, dass er auch innerhalb der Republikaner immer wieder in die Kritik gerät – und nun für die erneute Eskalation im polnischen Luftraum mitunter verantwortlich gemacht wird.

„Die eklatante Schwäche Trumps, das Wegducken und folgenlose Maulheldentum, ermuntern China und Russland, die die USA am liebsten zerstören würden, immer weiter die Grenzen auf dem Weg dorthin auszutesten“, lautete etwa die Analyse des Kölner Politikwissenschaftlers Thomas Jäger. „Die Ja-Sager um Trump sind ein Treibstoff dieser Entwicklung“, fügte der Professor der Universität Köln an.

Donald Trump schweigt bisher zu Putins Provokation in Polen

Anders Åslund, schwedischer Osteuropa-Experte und ehemalige Berater des russischen Präsidenten Boris Jelzin, kam zu einem ähnlichen Fazit: „Putin hätte es nicht gewagt, einen Massenangriff mit Drohnen auf Polen zu starten, wenn die USA statt einem Dummkopf noch einen ernsthaften Präsidenten hätten“, schrieb Åslund bei X.

Der gescholtene US-Präsident schwieg unterdessen bis zum Mittwochabend zu Putins Provokation – dem Druck auch aus den eigenen Reihen zum Trotz. „Wir stehen voll hinter Polen und werden dem Land helfen, sich zu verteidigen“, hatte Trump in der letzten Woche bei einem Treffen mit Polens Präsident Karol Nawrocki allerdings noch versichert.

Nun folgten so knappe wie rätselhafte Worte: „Was ist mit Russland, das den polnischen Luftraum mit Drohnen verletzt? Los geht’s!“, schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social lediglich. Was der US-Präsident damit genau meinte, blieb unklar.

Der Artikel wurde mit Donald Trumps Reaktion aktualisiert.