Die Rechtspopulisten in Österreich feiern den besten Tag ihrer Parteigeschichte. Was der Wahlsieg bedeutet, ist noch offen.
„Neue Ära“FPÖ will „Festung Österreich“ – Rechte in ganz Europa feiern historischen Wahlsieg
Die Nationalratswahl in Österreich hat die politischen Kräfteverhältnisse kräftig durchmischt. Laut einer Hochrechnung des österreichischen Senders ORF hat die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) von Herbert Kickl knapp 29 Prozent der Stimmen erhalten und ist künftig stärkste Kraft im Parlament. Die konservative ÖVP von Bundeskanzler Karl Nehammer errang demnach mit rund 26 Prozent der Stimmen nur Platz zwei. Wer die nächste Regierung bildet, ist jedoch vorerst ungewiss.
Laut der nach Auszählung von 89 Prozent der Stimmen für den ORF erstellten Hochrechnung legte die oppositionelle FPÖ um satte 12,7 Prozentpunkte auf 28,9 Prozent zu. Die seit 1987 fast ununterbrochen an der Bundesregierung beteiligte ÖVP verlor demnach hingegen gut elf Prozentpunkte und kommt nur noch auf 26,3 Prozent.Dahinter folgen den Hochrechnungen zufolge die sozialdemokratische SPÖ mit 21 Prozent (- 0,2 Punkte) und die liberale Neos-Partei mit 9,1 Prozent (+ 1,0 Punkte). Die derzeit noch mitregierenden Grünen rutschten den Angaben zufolge um 5,6 Punkte auf 8,3 Prozent ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 77,9 Prozent - und somit zwei Prozentpunkte höher als im Jahr 2019.
Für die 1956 gegründete FPÖ sind die 28,9 Prozent das stärkste Ergebnis der Geschichte, die Partei übertraf ihr bislang stärkstes Ergebnis aus dem Jahr 1999 - damals war sie unter ihrem damaligen Chef Jörg Haider auf 26,9 Prozent der Stimmen gekommen.
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„In den kommenden Wochen werden manche Köpfe rollen“, kommentiert Österreichs meistgelesene Tageszeitung, die „Kronen-Zeitung“. Das Boulevard-Blatt rechnet demnach damit, dass sich gleich mehrere Parteien nach ihrer Wahlschlappe an der Spitze neu aufstellen werden. Als„ tiefen Einschnitt in die politische Topografie des Landes“ bezeichnet Hubert Patterer, der Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“, den Sieg der FPÖ. Das Ergebnis verleihe der Wahl „den Hauch einer Zeitenwende“.
FPÖ feiert Wahlsieg in Österreich – Kickl sieht Tür zu neuer Ära geöffnet
„Wir haben eine Tür aufgestoßen zu einer neuen Ära“, sagte Parteichef Herbert Kickl auf der Wahlparty. „Wir werden jetzt wirklich dieses neue Kapitel der österreichischen Geschichte miteinander schreiben.“ Kickl sieht den historischen Wahlsieg seiner rechten Partei als Signal für einen Richtungswechsel in Österreich. „Der Wähler hat heute ein Machtwort gesprochen“, sagte er in einer ersten Reaktion. Die Wähler hätten „ein klares Bekenntnis dafür abgegeben, dass es so nicht weitergehen kann in diesem Land.“
Die deutlichen Zugewinne der FPÖ liegen im europaweiten Rechtstrend – und Parteikollegen beglückwünschten sie umgehend. Neben AfD-Chefin Alice Weidel und Marine Le Pen vom rechtsnationalen französischen Rassemblement National feierte sie auch Geert Wilders von der rechtsradikalen Partei für die Freiheit (PVV) : „Herzlichen Glückwunsch FPÖ“, schrieb der Niederländer auf X. „Wir gewinnen! Die Zeiten ändern sich!“ Er fügte hinzu: „Identität, Souveränität, Freiheit und keine illegale Einwanderung/Asyl mehr – das ist es, wonach sich Millionen Europäer sehnen!“ Auch Deutschland erwähnte Wilders in seinem Post – offenbar unter Bezug auf die jüngsten Wahlerfolge der AfD im Osten.
FPÖ siegt deutlich in Österreich: Rechte in ganz Europa feiern mit
Den FPÖ-Wahlsieg begrüßte auch der Vorsitzende des rechtsnationalen Rassemblement National in Frankreich, Jordan Bardella. „Es erfüllt uns mit großem Stolz, im Europäischen Parlament neben unseren Verbündeten von der FPÖ zu sitzen, die heute Abend bei der Parlamentswahl in Österreich mit großem Vorsprung gewonnen haben“, schrieb er auf X. Ähnlich äußerte sich auch Parteikollegin Marine Le Pen. „Nach den Wahlen in Italien, den Niederlanden und Frankreich bestätigt dieser Aufschwung, der die Verteidigung der nationalen Interessen, die Wahrung der Identitäten und die Wiederbelebung der Souveränität mit sich bringt, überall den Triumph der Völker.“
Trotz des Siegs dürfte es für Kickl sehr schwer werden, nächster Kanzler zu werden. Alle Parteien lehnen bisher eine Zusammenarbeit mit dem 55-Jährigen ab. Österreichs Kanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP hält nach der Parlamentswahl an seiner Absage an eine Zusammenarbeit mit ihm fest.
Regierungsbildung in Österreich völlig unklar
„Wer mit wem kann und wer was will für Österreich, das wird nun die nächste Zeit zeigen“, äußerte sich Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach der Parlamentswahl in Österreich. Er will die politischen Sondierungen zwischen den Parteien mitgestalten. Er werde versuchen auszuloten, welche tragfähigen Kompromisse es zur Bildung der nächsten Regierung geben könnte.
Der ehemalige Grünen-Chef nannte den Wahlsieger FPÖ nicht beim Namen, mahnte aber zur Wahrung der liberalen Demokratie, an deren Grundpfeilern wie Minderheitenschutz, Medienfreiheit und EU-Mitgliedschaft nicht zu rütteln sei.
Van der Bellen muss den Auftrag zur Regierungsbildung nicht zwingend der stimmenstärksten Partei übertragen. So gilt es als wahrscheinlich, dass Kanzler Nehammer den Auftrag bekommt, eine Regierungskoalition zu schmieden. Die Alternative zur FPÖ ist die SPÖ. Allerdings gilt ein Bündnis als schwierig, weil SPÖ-Chef Andreas Babler die Sozialdemokraten mit Forderungen wie der nach einer 32-Stunden-Woche weit nach links gerückt hat. Ob sich Babler angesichts des Ergebnisses im Amt halten kann, ist eine der sich nun aufdrängenden Fragen.
Wahlforscher: FPÖ profitiert von Unzufriedenheit im Land
Die Grünen kommen laut dem vorläufigen Endergebnis zufolge auf 8 Prozent (minus 5,9 Prozentpunkte), die liberalen Neos auf 9 Prozent. Vor allem die Neos positionierten sich bereits im Wahlkampf als reformwillige Kraft und hoffen auf eine Dreier-Koalition mit ÖVP und SPÖ. „Wir sind bereit. Ohne uns wird sich nichts ändern“, sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
Nach Erkenntnissen der Wahlforscher profitierte die FPÖ enorm von der großen Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Österreich steckt tief in einer Wirtschaftsflaute, die Arbeitslosigkeit wächst. Zudem gehörte die Alpenrepublik in den vergangenen Jahren zu den Ländern in der EU mit besonders hoher Inflation. Außerdem gilt der strikte Anti-Migrationskurs der FPÖ als populär.
FPÖ-Sieg unter dem Motto „Festung Österreich“
In ihrem Wahlprogramm hatte die FPÖ unter dem Motto „Festung Österreich – Festung Freiheit“ für eine extrem restriktive Migrationspolitik geworben, zudem sprach Kickl im Wahlkampf von „Remigration“. Die Partei fordert eine Rückführung von Migranten in ihre Heimatländer und wünscht sich als Gegenentwurf zur international vielfach angestrebten Diversität „Homogenität“ in der Gesellschaft. Außenpolitisch sieht die FPÖ die EU äußerst kritisch. Gegenüber Russland fährt sie trotz des Ukraine-Kriegs einen eher wohlwollenden Kurs und sieht kein Problem in der Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas. (pst mit dpa/afp)