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Israel, Iran und die „Drecksarbeit“Ist dem Kanzler das Völkerrecht egal, Herr Jäger?

Lesezeit 4 Minuten
17.06.2025, Kanada, Kananaskis: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht beim Statement zum Abschluss beim G7-Gipfel in Kanada. Das Gipfeltreffen findet in der Pomeroy Kananaskis Mountain Lodge statt. Foto: Michael Kappeler/dpa POOL/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bundeskanzler Friedrich Merz beim 

Interessiert sich Friedrich Merz nicht mehr für die regelbasierte Weltordnung? Seine Rechtfertigung der israelischen „Drecksarbeit“ im Iran hat Kritik ausgelöst. Politologe Thomas Jäger über Präventivschläge, Grauzonen – und das Verhalten von US-Präsident Donald Trump.

Herr Jäger, Bundeskanzler Friedrich Merz hat gesagt, Israel mache im Iran für den Westen die Drecksarbeit. Dafür bekommt er viel Kritik – zu Recht?

Das wäre nicht meine Wortwahl gewesen. Merz hat vermutlich versucht, aus einer Haltung herauszukommen, die wir in Deutschland seit 30 Jahren pflegen: um den heißen Brei herumzureden, und mehr mit uns selbst als mit den Problemen auseinanderzusetzen, um die es eigentlich geht. Deshalb hat er so eine drastische Sprache gewählt.

Völkerrechtler streiten darüber, ob Israel den Iran überhaupt angreifen durfte, und damit ist auch die Kritik an Merz verknüpft: Verträgt sich so ein Angriff mit dem gerade von Deutschland so betonten Ziel der regelbasierten Weltordnung?

In der Tat, die Diskussion ähnelt der vor dem Irak-Krieg. Daher auch die Verwirrung um präventive oder präemptive Schläge in Kommentaren. Bei einer unmittelbaren Angriffsgefahr ist ein Militärschlag vorab gerechtfertigt. Das klassische Beispiel ist der Sechs-Tage-Krieg 1967, in dem Israel einem unmittelbar bevorstehenden Angriff zuvorkam. 2003 erklärte die Regierung von George W. Bush, man könne wegen der irakischen Entwicklung von Massenvernichtungswaffen nicht weiter warten.

Nur hat diese US-Behauptung nicht gestimmt …

Richtig, da war nichts. Beim Iran belegen dagegen Berichte der Internationalen Atomenergieorganisation, dass dort Uran in hohem Maße angereichert wurde. Jetzt sagt Israel: Wenn wir weiter warten, ist es zu spät. So eine Situation lässt sich nicht kodifizieren. Es gibt keine Vorschrift, die sagt, die Anreicherung genügt schon, oder im Gegenteil, die Atomrakete muss schon fertig dastehen. Das ist ein Graubereich, so nehme ich auch die völkerrechtliche Debatte wahr.

Allerdings herrschte zwischen Israel und Iran auch vor dem 13. Juni nicht eitel Frieden. Der Iran unterstützt die Hamas im Gaza-Krieg, 2004 gab es sogar direkte Luftschläge. Ändert das etwas?

Man könnte sogar sagen, beide Staaten befinden sich seit Jahrzehnten im Krieg – teilweise im Schatten geführt, teilweise offen. Mit dem israelischen Angriff der letzten Woche ist aber sicher eine weitere Eskalationsstufe erreicht worden.

Iran möchte über die Europäer eine Botschaft nach Washington senden. Denn bei Präsident Donald Trump liegt die Entscheidung, wie es weitergeht.

Drei europäische Außenminister, darunter der Deutsche Johann Wadephul, wollen an diesem Freitag in Genf mit der iranischen Seite sprechen. Was kann das bringen?

Das ist ein Nebenschauplatz. Die Gespräche an sich sind völlig irrelevant. Der Iran versucht zur Zeit auf verschiedenen Wegen, die US-Administration zu erreichen. Das ist einer davon. Iran möchte über die Europäer eine Botschaft nach Washington senden. Denn bei Präsident Donald Trump liegt die Entscheidung, wie es weitergeht. Israel hat eine Eskalationsstufe erreicht, von der aus es nicht noch höher kommt.

Was ist denn von Trump zu erwarten? Mal fordert er die bedingungslose Kapitulation des Iran, dann wartet er wieder ab. Was will er?

Schwer zu sagen, denn wie in vielen anderen Fragen hält er sich alles offen. Zu jeder Position, die verkündet, sagt er auch das Gegenteil. Was er wirklich denkt, wenn er überhaupt strategisch denkt, ist zweifelhaft. Die US-Behörden haben sich mit der Sachlage auseinandergesetzt, und manche Vertreter glauben, es würde genügen, ein paar US-Luftschläge zu führen, und das sollte man auch tun, weil die Chance später nicht mehr da wäre. Die anderen sagen, dass es nicht bei Luftschlägen bleiben würde, sondern dass ein Eintreten der USA in den Krieg unkalkulierbare Risiken auslösen und den Einsatz anderer Streitkräfte nach sich ziehen würde. Diese Optionen liegen Trump vor, und wie er sich entscheidet, ist offen. Es hängt davon ab, wer bei ihm zur Tür hinausgeht und ihn so überzeugen konnte, dass er sich sagt, ich weiß jetzt, was ich tue.

Wenn Sie eben sagten, die Israelis haben keine weitere Eskalationsmöglichkeit mehr, was heißt das?

Israel hat drei Ziele. Erstens: den Iran militärisch schwächen. Das ist gelungen. Sie haben nach Hamas und Hisbollah auch deren Sponsor geschwächt. Zweites Ziel: die Entwicklung einer Nuklearwaffe verzögern. Stoppen kann man sie militärisch nicht, denn das Wissen bleibt ja, aber die Verzögerung ist vermutlich gelungen, auch wenn ich noch keine Evaluierung dazu kenne. Das dritte Ziel, das sie jetzt verkünden, ist der Regimewechsel. Und das wird Israel mit den Mitteln, die es jetzt einsetzt, nicht schaffen.

Es gibt zwei Risiken: Was passiert nach einem Regimesturz? Und was würde passieren, wenn der Iran arabische Staaten und die dortigen US-Basen angreift?

Genau da kommen wir aber zur Diskussion über unkalkulierbare Risiken, oder? Über ein im Iran drohendes Chaos, das den Einsatz von Bodentruppen erzwingen würde.

Es gibt zwei Risiken: Was passiert nach einem Regimesturz? Und was würde passieren, wenn der Iran arabische Staaten und die dortigen US-Basen angreift? Zum Iran selbst: Ich würde jedem misstrauen, der meint, ein Szenario zeichnen zu können. Der Sturz solcher Diktaturen hat in der Vergangenheit immer große Überraschungen nach sich gezogen. Der Iran ist viel größer als der Irak. Kein ausländischer Staat wird die Ressourcen einsetzen wollen, die nötig wären, hier eine neue Ordnung durchzusetzen. Was dann passieren würde, wenn der Iran im Inneren sich selbst überlassen bliebe,  welche Gruppen sich da durchsetzen würden, das kann ich nicht prognostizieren.

Und das Risiko, dass das iranische Regime selbst die Eskalation sucht und US-Basen angreift, wie realistisch ist das?

Iran muss das nicht selbst machen, sondern könnte Terrororganisationen einsetzen. Und wenn es am Ende nicht zum Regimewechsel in Teheran kommt, muss man damit rechnen, dass das Streben nach Nuklearwaffen enorm intensiviert wird.

Was werden Trumps Berater ihm sagen?

Diese Berater wissen, dass der Präsident instinktiv entscheidet. Und die spüren vermutlich, dass er auf eine Verhandlungslösung hofft. Das würde voraussetzen, auf Israel Druck auszuüben, um eine Situation zu erreichen, in der der Iran zu Gesprächen bereit ist. Es hat keinen Sinn, ihm Optionen zur Entscheidung vorzulegen. Man muss sehen, wo er gerade hinwill, und dann versuchen, ihm Wege zu zeigen.

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln