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Israels „Drecksarbeit“ im IranVölkerrechtler: Merz schuldet eine Klarstellung

Lesezeit 6 Minuten
This handout satellite image provided by Maxar Technologies and taken on February 12, 2025 shows an overview of the Fordo (Fordow) uranium enrichment facility, south of the capital Tehran. Iranian authorities said on June 13 that nuclear sites at Fordow and Isfahan have not been hit in Israel strikes, according to the head of the International Atomic Energy Agency. (Photo by Satellite image ©2021 Maxar Technologies / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / Satellite image ©2021 Maxar Technologies " - NO MARKETING - NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS - The watermark may not be removed/cropped / THE WATERMARK MAY NOT BE REMOVED/CROPPED

Tief verbunkert: Die iranische Atomanlage Fordo. Tunneleinfahrten, erkennnbar unterhalb des weißen Gebäudes, führen in eine etwa 90 Meter tiefe Schachtanlage. Israel hätte gern US-Hilfe, um sie zu zerstören.

Darf Israel militärisch gegen das iranische Atombombenprogramm vorgehen? Der Rostocker Völkerrechtler Prof. Björn Schiffbauer erklärt im Rundschau-Interview, was es mit dem Selbstverteidigungsrecht von Staaten auf sich hat. Und er hat eine Botschaft für Bundeskanzler Friedrich Merz.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat gesagt, Israel mache für den Westen die Drecksarbeit, wenn es gegen das iranische Atomprogramm vorgehe. Pragmatisch kann man das nachvollziehen – aber ist das auch eine völkerrechtlich ausreichende Basis für militärische Gewalt?

Aus einer rechtlichen Perspektive erscheint mir unklar zu sein, was mit „Drecksarbeit machen“ konkret gemeint sein soll. Das kann einerseits bedeuten, dass etwas rechtlich Erlaubtes, aber in seiner tatsächlichen Durchführung Unangenehmes, also etwas „Dreckiges“ gemacht wird. Andererseits kann sich der symbolische Dreck aber auch auf die Rechtslage beziehen, indem etwas für rechtlich „unsauber“, aber nach anderen Kategorien für erforderlich gehalten wird. Als Völkerrechtler hoffe ich sehr, dass der Bundeskanzler Letzteres nicht gemeint hat, denn das wäre keine gute Nachricht für die Einstellung Deutschlands zum Völkerrecht unter der aktuellen Regierung. Wenn sich der „Dreck“ stattdessen auf die „schmutzigen“ Folgen einer rechtlich „sauberen“ Lage bezogen haben sollte, wirft das zumindest einige kritische Fragen auf: Ist Deutschland dabei, seine Haltung zur Auslegung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts auf Tatbestandsebene zu verändern? Und dürfen dann die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen – die militärische Abwehr eines potenziellen Schadens – so „dreckig“ ausfallen, dass sie womöglich an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes zweifeln lassen? Zumindest für die international – auch und gerade für unsere europäischen Partner – relevante Einschätzung der aktuellen Völkerrechtspraxis schuldet der Bundeskanzler nach meinem Dafürhalten eine Klarstellung, wie er die Lage als Vertreter unseres Staates genau einschätzt.

Andererseits, was soll man tun? Warten, bis die Atombombe fertig ist? Es gibt keine Weltpolizei, die Israel rufen könnte. Besteht da ein Recht auf präventive Selbsthilfe?

In politischer Hinsicht teile ich die allgemein – auch in unserer Bundesregierung – vorherrschende Bewertung, dass der Iran nicht über eine Atombombe verfügen sollte. Dieser international-politische Wunsch ist aber zu trennen von der geltenden Rechtslage. Im modernen Völkerrecht herrscht in den zwischenstaatlichen Beziehungen das Gewaltverbot. Wenn ein Staat dennoch auf dem Gebiet eines anderen Staates militärisch eingreift, muss dafür ein Rechtfertigungsgrund vorliegen – und zwar ein völkerrechtlicher, kein moralischer. Im Völkerrecht sind zwei Rechtfertigungsgründe für die internationale Gewaltanwendung anerkannt: zum einen eine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat auf Grundlage von Kapitel VII UN-Charta und zum anderen das Recht auf Selbstverteidigung, das gewohnheitsrechtlich verankert ist und durch Art. 51 UN-Charta bestätigt wird.

Seit Bestehen der sogenannten islamischen Republik droht der iranische Staat Israel mit der Vernichtung. Wenn ein Islamist in Deutschland auch nur Substanzen kauft, aus denen er Sprengstoff herstellen könnte, dann wird die Polizei eingreifen.

Der Sicherheitsrat könnte die Rolle einer Art Weltpolizei übernehmen, wenn sich seine Mitglieder politisch einig wären. Sie sind es leider nicht. Und solange der Sicherheitsrat kein Mandat zur Gewaltanwendung erteilt, bleibt nur Israels Selbstverteidigungsrecht. Wenn Sie es auf das nationale Recht übertragen wollen: Das wäre das Notwehrrecht. Und Sie dürfen auch nicht in Notwehr handeln, nur weil Sie befürchten, dass Ihr Nachbar Sprengstoff herstellen könnte.

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Wann dürfte Israel dann sein Selbstverteidigungsrecht ausüben?

Voraussetzung dafür ist ein bewaffneter Angriff auf Israel, der zumindest bevorstehen muss. Entscheidend – und völkerrechtlich umstritten – ist, wie das zeitliche Kriterium des Bevorstehens auszulegen ist. Dabei kann der Vernichtungswille, den der Iran äußert, eine Rolle spielen. Als Staat muss ich nicht warten, bis ich selbst verletzt bin, um mich verteidigen zu dürfen; das wäre zweckwidrig und daher unzumutbar. Andererseits aber muss ein Angriff in absehbarer Zeit zumindest plausibel erscheinen. Es ließe sich hierzu argumentieren, dass die Anforderungen an den zeitlichen Abstand des Bevorstehens flexibel sind, nämlich gemessen an dem Ausmaß des zu erwartenden Schadens. Wenn wir unterstellen, dass Israel durch den Iran vernichtet wird, sobald er über die Atombombe verfügt, ließe sich sogar in vertretbarer Weise argumentieren, dass schon der letzte Produktionsschritt zur Bombe eine Selbstverteidigungslage für Israel auslösen könnte. Das ist aber eine völkerrechtliche Grauzone. Davon abgesehen scheint mir, soweit ich die tatsächliche Lage richtig erfasst habe, aber die Entwicklungsreife der Bombe im Iran noch gar nicht so weit fortgeschritten zu sein. Das lässt mich zu dem Schluss kommen, dass der Militäreinsatz Israels auch bei einer wohlwollenden Auslegung des Selbstverteidigungsrechts nach dem geltenden Völkerrecht eher nicht zu rechtfertigen ist.

Nun sind Israel und Iran keine friedlichen Fast-Nachbarn in der Region, sondern der Iran finanziert bewaffnete Gruppen, die Israel auch mit terroristischen Methoden bekämpfen. Hat Israel das Recht auf Selbstverteidigung auch gegen die iranischen Hinterleute?

Israel hat – wie jeder andere Staat auch – ein Selbstverteidigungsrecht gegen jeden angreifenden Akteur. Voraussetzung ist aber jeweils – wie auch gegenüber dem Iran – ein zumindest bevorstehender Angriff. Allerdings kommt es dabei nach meiner Auffassung nicht darauf an, ob es sich bei den Angreifern um Staaten oder private Akteure handelt. Inzwischen hat sich in der anerkannten Staatenpraxis gezeigt, dass auch Private das Ziel von Selbstverteidigungsmaßnahmen sein können. Das entspricht dem Sinn und Zweck des Selbstverteidigungsrechts, nämlich der wirksamen Abwehr von Schäden für die staatliche Integrität.

Israel wird geltend machen, dass der Iran auf Gruppen wie Hamas, Hisbollah und Huthi intensiv einwirkt. Beim Angriff auf die Hisbollah-Zentrale wurde zum Beispiel auch ein iranischer Brigadegeneral getötet, der wollte da sicher nicht Familienfotos austauschen. Wenn der Iran solche Gruppen als Hilfstruppen gegen Israel ins Feld schickt, ist er dann nicht selbst Kriegspartei?

Das ist eine gute und extrem schwierig zu beantwortende Frage. Es ist im Völkerrecht schon umstritten, wieweit die Handlungen nichtstaatlicher Akteure einem Staat überhaupt zuzurechnen sind. Der Internationale Gerichtshof hat sich für einen engen Maßstab entschieden, er nennt das „effective control“. Wenn Israel zum Beispiel argumentieren will, der Iran führe via Hisbollah Krieg gegen Israel, dann müsste nachweisen, dass die iranische Militärführung der Hisbollah bis ins Einzelne die Ziele vorgibt. So hat der Internationale Gerichtshof schon 1986 argumentiert, als es um die von den USA unterstützten Contra-Rebellen in Nicaragua ging. Das Gegenkonzept heißt „overall control“, also Gesamtkontrolle. Da würde schon die Lieferung von Waffen und nachrichtendienstlichen Informationen verbunden mit einer allgemeinen Kommandostruktur ausreichen. Dem Internationalen Gerichtshof genügt das aber nicht, und der ist die praktisch maßgebliche Instanz. Israel müsste also nachweisen, dass der Iran Gruppen wie Hisbollah und Huthi effektiv kontrolliert.

Weiteres Argument für die israelische Seite: Im April und Oktober 2024 hat der Iran Israel mit Raketen und Drohnen angegriffen. Bedeutet das nicht: Kriegszustand?

Ein bewaffneter Konflikt zwischen dem Iran und Israel hat nach meiner Einschätzung im Jahr 2024 nicht vorgelegen. Dafür genügt nicht der gelegentliche Austausch von Feindseligkeiten. Allerdings haben die Angriffe auf Israel aus 2024 ihrerseits das Selbstverteidigungsrecht ausgelöst. Das hat sich aber zeitlich erledigt, wenn der Angriff endgültig abgeschlossen ist. Daher kann die Lage aus 2024 als solche nicht herangezogen werden, um den derzeitigen Militäreinsatz zu rechtfertigen. Allerdings taugt sie als Indiz dafür, dass der Iran durchaus bereit und in der Lage ist, Israel anzugreifen. Das und die entsprechende Rhetorik der Staatsführung spricht eher für dessen Plan, eine mögliche Atombombe auch einzusetzen.

Wie sieht es mit den Methoden der Kriegsführung aus? Zum Beispiel die Tötung von Wissenschaftlern, Zivilisten, die allerdings an einer Waffenentwicklung teilhatten.

Im bewaffneten Konflikt dürfen nur Kombattanten getötet werden. Gemeint sind damit Angehörige der Streitkräfte und sonstige an Kampfhandlungen aktiv beteiligte Personen. Zivilisten müssen dagegen verschont werden, erst recht dürfen sie nicht gezielt getötet werden. Das betrifft grundsätzlich auch Wissenschaftler. Eine andere Bewertung erscheint mir nur dann vertretbar, wenn (Atombomben-)Wissenschaftler tatsächlich in die Streitkräfte integriert sind. Oder wenn Israel ein militärisch legitimes Ziel angreift, eine Waffenfabrik etwa, und dabei auch ein dort arbeitender Physiker zu Schaden kommt. Dann ist aber nicht dieser Mann das Ziel, sondern eben die Waffenfabrik. Israel darf den Physiker dagegen nicht in seinem Privathaus angreifen.

US-Präsident Donald Trump überlegt hin und her, ob sein Land an der Seite Israels intervenieren soll. Dürften die USA das tun?

Die USA dürfen – wie jeder andere Staat auch – im Rahmen sogenannter kollektiver Selbstverteidigung an der Seite Israels intervenieren. Voraussetzung dieser Nothilfe ist aber, dass sich Israel selbst auf Selbstverteidigung berufen kann. Daran habe ich hier große Zweifel.

Prof. Björn Schiffbauer, Völkerrechtler, Universität Rostock

Prof. Björn Schiffbauer, Völkerrechtler, Universität Rostock

Prof. Björn Schiffbauer lehrt Öffentliches Recht, Europäisches und Internationales Recht an der Universität Rostock. Bereits in seiner Promotion hat er sich mit „Vorbeugender Selbstverteidigung im Völkerrecht“ beschäftigt.