Köln – Katja Suding galt als neuer Star der FDP. In kurzer Zeit stieg sie unter anderem zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden auf, verkündete dann aber 2020 überraschend ihren Rückzug aus der Politik. Ihre Beweggründe hat Suding nun in ihrem ersten Buch dargelegt. Mit Carolin Raab sprach sie über die Sonnen- und Schattenseiten der Politik und darüber, was sie als nächstes vorhat.
Sie haben in der FDP eine steile Karriere hingelegt. Warum haben Sie sich entschlossen, auszusteigen, obwohl doch alles so gut für Sie lief?
Ich habe mit sehr viel Begeisterung elf Jahre in der Politik gearbeitet. Ich habe aber auch von Anfang an gemerkt, dass der Politikbetrieb Nebenwirkungen mit sich bringt, die für mich als Mensch sehr schwer waren: Man steht in der Öffentlichkeit, muss ständig vor vielen Menschen reden, es gibt den handfest ausgetragenen innerparteilichen Wettstreit... Das alles gehört zwar zur Politik dazu, aber irgendwann bin ich an einen Punkt gekommen, wo ich diesen Preis nicht weiter zahlen wollte. Ich wollte auch noch etwas anderes mit meinem Leben machen.
Es war also kein Abbruch Ihrer Karriere, sondern ein geplanter Ausstieg zu dem Zeitpunkt, der Ihnen persönlich richtig erschien?
Ja, mir war es wichtig, diese Selbstbestimmung zu haben. Ich wurde ja nicht „vom Hof gejagt“, sondern konnte selbst entscheiden, wann es genug ist. Ich bleibe ein politischer Mensch, aber ich betrachte das Ganze jetzt sozusagen von außen.
„Reissleine“ ist ein sehr persönliches Buch, und Sie sprechen auch viel über psychologische Aspekte, die zu Ihrer Entscheidung beigetragen haben. Inwiefern fügt sich Ihr Buch in die aktuelle Debatte um mentale Gesundheit, gerade bei Personen des öffentlichen Lebens, ein?
Das ist sicherlich ein Dauerthema. Ich habe nach der Ankündigung meines Ausstiegs auch sehr viele Reaktionen aus dem nicht-politischen Bereich bekommen. Das hat mir gezeigt, dass es viele Menschen gibt, die in einer vergleichbaren Lebenssituation sind und sich fragen: Bin ich noch richtig, da wo ich bin? Was möchte ich im Leben machen? Habe ich den Mut zu einem großen Wechsel? Das umtreibt viele Leute, und die Corona-Pandemie hat das wahrscheinlich noch einmal verschärft. Deshalb glaube ich, dass mein Buch und die Gedanken darin einen Nerv in der Gesellschaft treffen.
Sie sagen explizit, dass Ihr Buch keine Abrechnung mit der Politik oder einer Partei sein soll. Trotzdem äußern Sie sich oft sehr kritisch über innerparteiliche Machtkämpfe, mediale Aufmerksamkeit und die Einschränkungen des Privatlebens. Muss man für politischen Erfolg zwangsläufig die eigenen Ideale und Bedürfnisse hinten anstellen?
Das hängt sehr stark davon ab, was für ein Mensch man ist. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die es genießen, in der Öffentlichkeit zu stehen. Ich dagegen musste da immer über meinen Schatten springen. Das ist etwas sehr individuelles, deshalb kann man diese Frage gar nicht pauschal beantworten. Es gibt zwar viele Kollegen, die vor ähnlichen Konflikten und Entscheidungen stehen wie ich, aber die müssen natürlich nicht alle zu demselben Ergebnis kommen und die Politik verlassen.
Was würden Sie jungen Menschen raten, die sich gern parteipolitisch engagieren möchten, aber wegen genau diesen Aspekten zögern?
Man muss es einfach ausprobieren. Mein Buch ist definitiv kein Plädoyer dafür, sich nicht politisch zu engagieren, ganz im Gegenteil. Man muss nur für sich selbst herausfinden, welchen Weg man gehen möchte, und wie man mit diesen Herausforderungen umgeht.
Sie erzählen, dass Menschen teils offen zugaben, Sie nur aufgrund Ihrer Attraktivität zu wählen. In den Medien wurden Sie „Westerwelles Next Topmodel“ getauft, für die „Gala“ posierten Sie als einer von „Drei Engeln für Lindner“. Wird man als Politikerin immer noch anders wahrgenommen als männliche Kollegen?
Es passiert einem als Frau tendenziell eher, stark auf Äußerlichkeiten reduziert zu werden. Andererseits erleben wir das verstärkt auch bei männlichen Politikern – wie oft wurde zum Beispiel über den Haarschnitt von Robert Habeck oder die Anzüge von Christian Lindner gesprochen? Für mich persönlich war das befremdlich – man will Politik machen, hat Ideen, und wird dann über das Aussehen definiert. Auf der anderen Seite weiß ich auch, wie das Geschäft funktioniert: über solche Dinge wird viel mediale Aufmerksamkeit generiert, die man nutzen kann, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und eine Bühne zu haben, über die man dann sein Programm vorstellen kann. Das habe ich für mich dann auch bewusst genutzt. Es ist eine gegenseitige Instrumentalisierung.
Gibt es auch etwas, das Sie am Politikbetrieb vermissen?
Vor allem die Menschen. Ich habe in der Politik nicht nur Konkurrenz und Feindschaften erlebt, sondern auch viele schöne Beziehungen und guten Austausch. Mit meinem früheren Team und vielen Kollegen aus dem Bundestag – auch mit Christian Lindner, den ich ja wirklich lang kenne– bin ich immer noch in Kontakt. Echte Freundschaften in der Politik sind zwar selten, aber es gibt sie.
Sie möchten nun einen beruflichen Neuanfang machen. Um es mit Ihren Worten zu sagen: Hat Ihre neue Aufgabe Sie mittlerweile gefunden?
Ich bin wieder freiberuflich in der Kommunikationsbranche als Beraterin tätig – auch im Politikbereich, wo mir mein gesammeltes Erfahrungswissen natürlich hilft. Das unabhängige und selbstbestimmte Arbeiten macht mir sehr viel Spaß. Ich bin aber nach wie vor offen und schaue, was auf mich zukommt.
Würden Sie mit dem Wissen von heute 2011 noch einmal für die Hamburger Bürgerschaft kandidieren und denselben Weg in die Politik einschlagen wie damals?
Ja, denn es ist ja nicht so, als wäre ich elf Jahre lang in die falsche Richtung gelaufen und hatte dann das Gefühl, das korrigieren zu müssen. Trotz aller Härten waren es elf gute Jahre, denn ich habe auch jede Menge schöne Erfahrungen machen dürfen und habe einiges gelernt.
Gab es auch Momente, in denen Sie Ihren Ausstieg bereut haben, zum Beispiel nach der Bundestagswahl 2021, als die FDP Teil der Regierungskoalition wurde?
Ich habe meine Entscheidung zum Ausstieg ja schon 2020 getroffen, unabhängig von dem Wissen, dass die FDP wahrscheinlich mitregieren würde. Dennoch war der Tag, als der Koalitionsvertrag und das Kabinett vorgestellt wurden, für mich schon ein Moment, an dem ich mich fast über meine Entscheidung erschrocken habe. Aber das hat sich dann auch schnell wieder gelegt – es war gut so, wie es ist.
Viele ehemalige Politiker wechseln nach ihrem Karriereende in die Wirtschaft, zum Beispiel in den Aufsichtsrat eines Unternehmens. Wäre das eine Option für Sie?
Als ich ausgestiegen bin, wusste ich überhaupt nicht, wohin die Reise geht. Und nach einer Legislaturperiode im Bundestag hat man natürlich auch nicht finanziell ausgesorgt. Ich muss für mich und meine Kinder sorgen, also brauche ich einen Job, und Geld verdienen ist ja nichts Anrüchiges. Ich weiß nicht, was in der Zukunft passiert – wenn Angebote kommen, schaue ich einfach, ob sie zu mir passen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wie haben Sie die Erklärung von Ex-Bundesfamilienministerin Anne Spiegel wahrgenommen, in der sie sich dafür entschuldigte, nach der Flutkatastrophe 2021 in den Urlaub gefahren zu sein, weil ihre Familie diesen gebraucht habe?
Aus meiner Sicht war der Rücktritt von Frau Spiegel unausweichlich. Für sie persönlich und ihre Familie, der ich alles Gute wünsche. Vor allem aber für das Amt, das mit voller Kraft und Konzentration geführt werden muss. Die Umstände des Rücktritts sollten aber dennoch für uns als Gesellschaft ein weiterer Anlass sein, eine Debatte darüber zu führen, unter welchen Bedingungen unsere aktiven Politiker arbeiten, ob die dazu führen, dass sich die am besten geeigneten Persönlichkeiten für die Politik entscheiden und dort durchsetzen und welche Stellschrauben für Veränderungen es gibt. Mit meinem Buch gebe ich Impulse für diese notwendige Debatte.