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KI und die KircheÜbertrumpft Technologie Gottes Schöpfung?

7 min
Ein großes Kreuz

Ein großes Kreuz steht auf einer Festwiese (Symbolbild)

Künstliche Intelligenz wird auch für die Kirche immer wichtiger. Zeitgleich gibt es Kritik: Höhlt die Technologie den Glauben aus? Wie eine 2000 Jahre alte Institution den richtigen Umgang mit der technischen Revolution der KI sucht.

In der Beziehung zwischen Kirche und Künstlicher Intelligenz (KI) liegt eine Spannung, die sich bereits jetzt mitten in der kirchlichen Praxis entlädt. Wie viel Predigt darf eine KI mitschreiben, wie viel Verwaltungsaufgaben kann sie bereits übernehmen? Wie kann die authentische, menschliche Begegnung gewährleistet werden? Längst wagen die großen Kirchen den Spagat. „Sich als Kirche mit KI zu beschäftigen, ist keine technische Spielerei, sondern eine strategische Notwendigkeit“, sagt Christoph Martsch-Grunau, Pfarrer für digitale Verkündigung im Kirchenkreis Delmenhorst-Oldenburger Land. Bekannt ist er auch unter dem Namen „Elektro-Pastor“. Die Notwendigkeit sieht er auf mehreren Ebenen: Zum einen müsse das Pfarrpersonal diese neuen, gesellschaftlichen Realitäten kennen und einordnen können. Nur so kann etwa in der Seelsorge kompetent und verständnisvoll agiert werden. Zum anderen müsse die Kirche KI nutzen, um sich selbst zu hinterfragen und ihr eigenes Profil zu schärfen.

Klingt authentisch, ist es aber nicht

Konkret sieht Martsch-Grunau das größte Potenzial und zugleich die größte Gefahr in der Verwaltung und im Datenschutz: „Ich habe eine Schweigepflicht und wie alle Mitarbeiter meiner Landeskirche eine Dienstgeheimnispflicht.“ Es sei daher sehr zu befürworten, wenn sich die Kirchen in Deutschland zusammentäten und innerhalb ihres kirchlichen Verantwortungsbereiches eine datenschutzkonforme Verarbeitung von seelsorgerischen Notizen, Personaldaten oder Verträgen ermöglichen. In seinem Kirchenkreis ist es Martsch-Grunaus Aufgabe, sich mit der digitalen Transformation der Kirche zu befassen, technische Entwicklungen einzuordnen und auf ihre Relevanz für die kirchliche Praxis zu prüfen. So gibt er dort bereits Workshops zum Thema. Ziel ist es, nicht nur die bloße Technik zu vermitteln, sondern zur kritischen Auseinandersetzung anregen. Ein „Weiter so“ oder ein „Das haben wir schon immer so gemacht“, dürfe es jetzt nicht mehr geben. KI simuliert überzeugend. Auf den Prompt „ChatGPT, ich muss am Wochenende unsere Pfarrerin vertreten und eine kurze Predigt halten. Es ist der drittletzte Sonntag im Kirchenjahr. Wie soll ich nur anfangen?“ schlägt die Maschine unter anderem vor: „Vielleicht kennen Sie das Gefühl. Man schaut auf ein Jahr zurück und merkt, wie vieles sich verändert hat – Menschen sind gegangen, Neues ist gekommen. Auch im Glauben kennen wir dieses Auf und Ab. Gerade am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr lädt Gott uns ein, über das Ende hinauszuschauen.“

Gläubige dürften diesen Ansatz schon unzählige Male gehört haben. Ob es sie berührt, darf stark bezweifelt werden. Wer eine Aufgabe wie das Predigtschreiben an eine Maschine delegiert, riskiert damit die Chance auf ehrliche Begegnung – ein Grundpfeiler des kirchlichen Markenkerns. „Wenn ich eine Sache nur noch mit KI machen will, dann sollte ich überlegen, warum ich es überhaupt mache oder ob ich es auch sein lassen kann“, so Martsch-Grunau. Das heißt aber nicht, dass ChatGPT nicht trotzdem Mehrwert bieten kann. In seinen Workshops zeigt der Digitalpfarrer, wie man den ChatBot als Gesprächspartner für gesteigerte Kreativität einsetzen kann. Ähnlich sieht das der Theologe und Forscher Dr. Lukas Brand, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Algorithm Accountability Lab der RPTU Kaiserslautern-Landau. Er findet es zeitgemäß, dass Pfarrer die Technik nutzen, um eine Schreibblockade zu lösen. „Das darf im 21. Jahrhundert durchaus auch die authentische Erfahrung mit künstlicher Intelligenz sein“, so Brand. „Aber das sollte eben nicht künstliche Intelligenz im Priestergewand sein.“ Brand warnt davor, dass die Kirche KI als Marketing-Instrument nutzt, beispielsweise um jüngere Menschen zu erreichen. Diese würden „eine gewisse Authentizität“ erwarten und seien sehr gut darin, KI-generierte Inhalte zu erkennen und als solche abzulehnen. So plädiert Brand dafür, bestehende Angebote nicht einfach zu ersetzen, sondern sie zu „augmentieren“, also zu erweitern und anzureichern.

ChatBot mit Sicherheitsnetz

Was Brand meint, zeigt sich in Marketing-Negativbeispielen wie „Father Justin“. Die US-amerikanische Lobbyorganisation Catholic Answers hatte im Frühjahr 2024 den bewusst als autoritär und zugewandten Priester auftretenden Chatbot in die Welt entlassen. Schon nach wenigen Tagen jedoch ließ sich „Father Justin“ zu zweifelhaften Aussagen hinreißen: Selbstbefriedigung sei eine schwere moralische Störung und Kinder könnte man auch mit dem Sportgetränk Gatorade taufen. Mittlerweile ist „Father Justin“ nur noch der virtuelle Apologet Justin. „Im Wesentlichen handelt es sich um eine ausgefallene Suchmaschine, die keinen Ersatz für echte menschliche Interaktion darstellt“, schreibt Catholic Answers nun. Auch in Deutschland findet man schon christliche Chatbots. So etwa der Chatbot Nikodemus.AI des Programmanbieters ERF Medien, offizieller Medienpartner der EKD. Der Name bezieht sich dabei auf die biblische Figur, die Jesus mit Fragen aufsuchte. Der Chatbot, der ähnlich wie ChatGPT funktioniert, soll eine entsprechende Funktion für heutige Glaubensfragen erfüllen. Seine Besonderheit liegt in der gezielten thematischen Anpassungen.

Er ist sozusagen eine KI mit Leitplanken, die auf eine kuratierte Datenbank zurückgreifen kann. Nikodemus beantwortet nur Anfragen mit Bezug zur Bibel oder zum christlichen Glauben. Fragt man ihn also, welches Ereignis zum Zweiten Weltkrieg führte, antwortet er lediglich: „Ich beantworte ausschließlich Fragen zur Bibel, zum christlichen Glauben oder zur Nutzung von ERF Bibelserver.“ Darüber hinaus verlinkt Nikodemius.AI die Antworten mit entsprechenden Bibelstellen. Um Qualität und Zuverlässigkeit in einem so sensiblen Kontext wie dem Glauben zu gewährleisten, halten Theologen wie Brand dies für den richtigen Weg. Doch Brands Anspruch geht darüber hinaus: Als „Global Player“ habe die Kirche die Chance und fast schon die Pflicht, Technik selbst zu gestalten. „Götzendienst“ soll verhindert werden Für Brand liegt die zentrale Frage darin, wie ein solches System gestaltet werden muss, um nicht selbst zum Objekt der Anbetung und somit zum „Götzendienst“ zu werden. Die Lösung liege darin, die KI bereits entsprechend zu konzipieren: „Ich glaube, dass diese erweiterten Andachtsgegenstände, wenn die gut gemacht sind, […] dann ist es möglich, dass KI hier auf diese transzendente andere Wirklichkeit verweist.“ KI wird damit nicht zum eigenständigen Gegenüber, sondern zu einem modernen Artefakt wie dem Rosenkranz oder der Bibel selbst.

Zwischen Hoffnung und Vorsicht

Die katholische Kirche positionierte sich Anfang 2025 mit dem Dokument „Alt und Neu – Hinweis über das Verhältnis von künstlicher Intelligenz und menschlicher Intelligenz“ eindeutig. Darin wird KI als Ausdruck menschlicher Kreativität anerkannt. Gleichzeitig werden Chancen, etwa für die Bereiche Medizin und Bildung aufgezeigt. Doch das Papier mahnt auch: KI könne nicht denken, fühlen oder moralisch handeln. Der Mensch dürfe seine moralische Verantwortung nicht an Maschinen abtreten. Diese bleibe untrennbar an die Freiheit und das Gewissen des Menschen gebunden. Auch das noch unter Papst Franziskus entstandenen Dokument verweist auf den Verlust der Menschlichkeit als besondere Gefahr: Heil könne nicht in der Technik gesucht werden, statt Gott dürfe nicht die KI vergöttert werden. Papst Leo XIV., selbst studierter Mathematiker, formulierte im September in einem Interview schärfer: „So wie die Dinge jetzt gerade laufen, wird das menschliche Herz inmitten der technologischen Entwicklung verloren gehen.“ Verschiedene evangelische Landeskirchen und die Diakonie haben bereits eigene Leitlinien zum Umgang mit KI herausgegeben. Dort wird KI vor allem als pragmatisches Werkzeug, das Mitarbeitende entlasten und neue Wege für „kreatives und innovatives Handeln“ eröffnen soll, beschrieben. Das alles unter dem Grundsatz „Mensch vor Maschine“ – sowohl in der Verantwortung, als auch in Entscheidungsfreiheit und Würde. Um das zu gewährleisten, zeigen beide Dokumente grundlegende und naheliegende Sicherheitsregeln: KI-generierte Inhalte müssen stets auf Korrektheit überprüft werden, bei personenbezogenen Informationen ist Datensparsamkeit angesagt und das Urheberrecht ist immer einzuhalten.

Große Chance für die Verwaltung

Dass die Kirche ein eigenes KI-System aufsetzt, das auf europäischen Werten, Datenschutz und ethischen Prinzipien basiert – frei von kommerziellen Interessen, der Ausbeutung von Clickworkern und angetrieben von erneuerbaren Energien, hält Brand für denkbar. Die Umsetzung eines Systems, das auf Augenhöhe zu Produkten aus den USA funktioniert, dürfte jedoch schwierig werden. Das Ringen der Kirche mit der Künstlichen Intelligenz ist ein Ringen um Authentizität und die klare Abgrenzung zur Maschine. Vielleicht, so sinniert Brand, sei die wichtigste Lektion, die die KI von der Kirche lernen könne, nicht das Reden, sondern das Schweigen. Denn am Ende, so sind sich beide Experten einig, fehlt der Maschine immer eines: die menschliche Hand, die im entscheidenden Moment eine andere halten kann.

Dieser Artikel erschien zuerst bei „heise online“ in Hannover.