Nach dem Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln aus dem Jahr 2021 gibt es nun eine erneute Untersuchung dreier Bistümer. Dabei geht es um schwerste Vorwürfe Ritueller Gewalt und organisierter Täternetzwerke.
Waterboarding mit Weihwasser?Studie entlastet Bistümer vom Vorwurf „Ritueller Gewalt“

Nach dem Missbrauchsgutachten im Erzbistum Köln aus dem Jahr 2021 gibt es nun eine erneute Untersuchung gemeinsam mit den Bistümern Münster und Essen.
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Die Vorwürfe lesen sich wie das Drehbuch zu einem Horrorfilm – oder wie der Kölner Anwalt Matthias Sartorius der Kanzlei Feigen Graf es drastisch formulierte, beinhalteten „jede erdenkliche Grausamkeit“. In den Bistümern Essen und Münster sowie im Erzbistum Köln haben in den vergangenen Jahren ein Dutzend Menschen Vorwürfe erhoben, sie seien Opfer schwerster Gewalttaten mit rituellen Bezügen von Täternetzwerken geworden. Die angeblichen Täter seien neben „einfachen“ Priestern inzwischen verstorbene Erzbischöfe, Kardinäle und Bischöfe – auch aus dem Erzbistum Paderborn und dem Bistum Hildesheim – gewesen.
Die Taten, so gibt es ein jetzt vorgestellter 166 Seiten langer Untersuchungsbericht der Kanzlei wieder, sollen von Folterungen, Freiheitsberaubungen, Gruppenvergewaltigungen, erzwungenen Schwangerschaftsabbrüchen, Waterboarding mit Weihwasser bis hin zu Opferungen, Kannibalismus und Kindstötungen am Altar gegangen sein, gepaart mit Drogen- und Waffenhandel – ausgeführt von einer kriminellen Täterorganisation hochrangiger Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe und anderer Würdenträger. Doch an all den Vorwürfen Ritueller Gewalt ist „schlicht und ergreifend nichts dran“, ließen Sartorius und sein Kollege Niklas Kindhäuser von der besagten Kanzlei wissen.
Das Gutachten von Dr. Sartorius und seinen Mitarbeitern ist zu 100 Prozent überzeugend sauber durchgeführt, methodisch klar, und die Ergebnisse sind absolut nachvollziehbar. Es kann nicht der geringste Zweifel bestehen, dass sie mit ihren Grundaussagen recht haben.
Die Anwälte hatten in den vergangenen anderthalb Jahren die Wucht und Unbegreiflichkeit der Aussagen von insgesamt zwölf mutmaßlichen Missbrauchsopfern zu prüfen. Ihre Untersuchung, die vom Bistum Münster im April 2024 initiiert wurde, und der sich im Juli 2024 und im Januar 2025 Essen und Köln anschlossen, legt nun vielmehr offen, wie sich unter dem Vorwurf der „Rituellen Gewalt“ Verschwörungstheorien Raum verschafft und die betroffenen Opfer tiefgreifend manipuliert wurden.
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Diese Menschen, die in schwierigen Lebenssituationen waren, wurden, so heißt es in der Untersuchung, mit der scheinbaren Erklärung der Rituellen-Gewalt-Theorie suggestiv von außen – insbesondere im Therapiekontext – beeinflusst. Der Bericht erklärt weiter: „Die im Zentrum der Rituelle-Gewalt-Theorie stehenden Täternetzwerke mit Verbindungen zu Organisierter Kriminalität sollen sich dadurch auszeichnen, dass sie insbesondere an kindlichen Opfern regelmäßig und wiederholt schwerste Gewalttaten, insbesondere (aber nicht ausschließlich) sexueller Natur verüben.“
Die Anwälte hoben dabei auch die Kultstrukturen hinter der Theorie hervor: So sei in den Aussagen der Betroffenen von Geheimhaltung innerhalb der Netzwerke zu hören gewesen, von gezielten Persönlichkeitsspaltungen, Konditionierungn und Programmierungen der Opfer durch die Täter schon im Baby- und Kleinkindalter und von der Annahme, dass es erst durch gezielte Therapien gelinge, die Erinnerungen an das Erlebte wiederzugewinnen.
Fast alle Fälle galtenzunächst als plausibel
Fast alle von der Kanzlei – unter Zuhilfenahme von Psychologen – untersuchten Fälle waren in den vergangenen Jahren in den Bistümern zunächst für plausibel gehalten worden. Das hänge, so erläuterten die Anwälte, auch damit zusammen, dass von den Opfern oft erst im Verlauf der Antragsverfahren auf Entschädigung, in den Gesprächen mit den Beratungs- und Interventionsstellen, weitere Verschwörungserzählungen hinzugefügt wurden.
Die Interventionsbeauftragten der Bistümer Münster und Essen, Christel Plenter und Petra Müller betonten, dass sie größten Respekt vor den Betroffenen hätten, für Ihren Mut und auch Ihre Bereitschaft sich an der Untersuchung zu beteiligen. Die Betroffenen glaubten das, was sie berichten, und diese Erinnerungen seien für sie sehr qualvoll, auch wenn alles darauf hindeute, dass die Schilderungen auf Scheinerinnerungen basieren.
Der Untersuchungsbericht beschreibt anonymisiert die Einzelfälle, behandelt dezidiert die erhobenen Vorwürfe und deckt die Ungereimtheiten und Widersprüche auf, die zum eindeutigen Befund kommen: „Die Untersuchung hat nicht einen einzigen belastbaren Hinweis auf die von den Betroffenen beschriebenen Vorwürfe Ritueller Gewalt und organisierter Netzwerke erbracht.“
In der Stellungnahme der Bistümer heißt es dementsprechend: „Allen Betroffenenaussagen ist das vollständige Fehlen konkreter objektiver Nachweise gemeinsam.“ Ungeachtet dessen sehen die Bistümer eine weitere Verantwortung gegenüber den Betroffenen. Schließlich geht es der Untersuchung auch hervor, „dass jeder der Betroffenen – in unterschiedlichen Facetten – seit Kindheitstagen großes Leid und zum Teil auch Missbrauch erfahren hat“. In einem Fall aus dem Bistum Münster bestünden sogar belastbare Hinweise auf einen sexuellen Missbrauch durch einen katholischen Geistlichen, in einem weiteren gehe es um Exorzismus.
Anerkennungsleistungen und weitere Therapien
Tatsächlich hat es schon vor der Untersuchung Anerkennungsleistungen des Leids in sechstelliger Höhe gegeben. Es werde, so signalisierten die Bistümer durch ihre Sprecher, keine Zahlungen zurückgefordert. Vielmehr wolle man gegebenenfalls die Betroffenen finanziell bei therapeutischen Maßnahmen unterstützen. Wie es überhaupt zu derartig massiven und laut Untersuchung konstruierten Vorwürfen und deren Bearbeitung kommen konnte, gehört zur laufenden Aufarbeitung. In diesem Zusammenhang steht auch die Schließung der Beratungsstelle „Organisierte sexuelle und rituelle Gewalt“ in Münster im März 2023, deren Mitarbeiterinnen Anhängerinnen der Rituellen-Gewalt-Theorie waren. Im Untersuchungsbericht wird darauf hingewiesen, dass die Schließung richtig, aber aus heutiger Sicht deutlich zu spät erfolgt sei. Die Arbeit der Beratungsstelle habe ihren Anteil daran, dass die Betroffenen sich immer tiefer in die Suche nach Erinnerungen verstrickt haben.
Dass es in mehreren Fällen – im Nachgang betrachtet – zu vorschnellen Plausibilitätserklärungen gekommen ist, liege möglicherweise auch daran, dass man sich aufgrund der unstreitigen kirchlichen Missbrauchshistorie verständlicherweise schwergetan habe, die letztlich haltlosen Vorwürfe zu hinterfragen, gaben die Anwälte zu bedenken. Stefan Kronenburg, Sprecher des Bistums Münster fasste es so zusammen: „Die Aufarbeitung wurde gestartet, um den Betroffenen Gehör zu geben. “ Aus dem Leitsatz ‚Wir glauben euch‘ wurde in der weiteren Entwicklung ein ‚Wir glauben alles‘. „Wir werden in Zukunft auf jeden Einzelfall schauen, dürfen und werden aber die ‚Rituelle Gewalt-Theorie‘ nicht mehr nähren.“
Im Fall von Missbrauchserfahrungen bleibt der Antragsweg über die Missbrauchsbeauftragten und Ansprechpartner in den Bistümern und die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) für Betroffene weiter erhalten. Von strafrechtlichen Verfahren gegen mutmaßlich mitverantwortliche Therapeuten und Heilpraktiker wollen die Bistümer hingegen absehen.