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Merz unter DruckRentenpaket bringt Unionsfraktion ins Wanken

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Friedrich Merz

Steht die Koalition auf dem Spiel? Friedrich Merz muss im Streit um das Rentenpaket die Abweichler in den eigenen Reihen im Zaum halten, um eine Regierungskrise zu verhindern.

Vor der Abstimmung am Freitag droht der schwarz-roten Koalition eine Zerreißprobe. Junge Abgeordnete rebellieren – und der Kanzler kämpft um jede einzelne Stimme.

Rena Lehmann Es gab gerade drastische Appelle von Friedrich Merz an die Unionsfraktion. „Ich sehe genau, wer klatscht“, so wird er aus der letzten CDU-Fraktionssitzung zitiert. Und vor allem wer nicht klatscht, muss man wohl gedanklich hinzufügen. Die Abstimmung über das Rentenpaket der schwarz-roten Koalition an diesem Freitag ist bis zur Verkündung des Ergebnisses eine Zitterpartie für die schwarz-rote Koalition. Scheitert die Rentenreform, die Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben, könnte die Regierung von Friedrich Merz nach nur einem halben Jahr schon in größte Turbulenzen kommen. Selbst wenn es noch einmal gut ausgeht und die Mehrheit steht: Es ist etwas ins Rutschen gekommen in der Unionsfraktion.

Zwölf Stimmen Mehrheit: Jeder Abweichler wird zum Problem

Die knappe Mehrheit, mit der diese Koalition regiert, ist das erste Problem. Nur zwölf Stimmen, da kann man sich keine „Abweichler“ leisten. Die Junge Gruppe in der Unionsfraktion hat allein schon 18 Mitglieder. Auch zu früheren Zeiten gab es Abweichler in der Unionsfraktion. Gegen die 63 Unionsabgeordneten, die 2015 Angela Merkels drittes Griechenland-Paket ablehnten, ist der jetzige Aufstand zahlenmäßig ein laues Lüftchen. Aber damals hatte die schwarz-rote Koalition eine satte Mehrheit von mehr als 100 Abgeordneten. Die Abweichler konnten das Paket nicht stoppen, wohl aber zum Ausdruck bringen, dass es in den Volksparteien CDU/CSU auch andere Meinungen gibt. Es war gleichzeitig als Warnung an Merkel zu verstehen, ihre Kritiker ernst zu nehmen und es mit der Euro-Rettungspolitik nicht zu übertreiben.

Zehn Jahre später sind die Mehrheiten so knapp, dass die sogenannte Fraktionsdisziplin, dem unausgesprochenen Gesetz, im Zweifel auch gegen die eigene Überzeugung die Mehrheit zu sichern, alternativlos geworden ist. Steht bei jeder Entscheidung gleich die Regierung auf dem Spiel, ist stabiles Regieren nicht mehr möglich. Es kommt hinzu, dass sich der Koalitionsausschuss der Partei- und Fraktionsspitzen insbesondere auf Druck der SPD darauf festgelegt hat, an diesem Rentenpaket nichts mehr zu ändern. Mit dieser „Basta“-Politik aber wird das Struck'sche Gesetz, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineingegeben wurde, quasi außer Kraft gesetzt. Das Parlament lässt sich nur ungern zum Abnickverein der Regierung degradieren. Das provoziert den Widerstand geradezu.

Fraktionsdisziplin wird zur Überlebensfrage

Die Voraussetzungen, unter denen Merz regiert, sind in vielerlei Hinsicht fundamental andere, als sie seine Vorgängerin Angela Merkel vorfand. In der Fraktion finden manche aber, dass das nur zum Teil entschuldigt, warum es im Zusammenspiel zwischen Regierung und Parlament nicht rund läuft. Oder anders gesagt: Gerade weil die Mehrheiten so sind, müssten Entscheidungen mit besonders viel Zeit und Fingerspitzengefühl vorbereitet werden.

Merz und auch sein Fraktionschef Jens Spahn sind dafür aber nicht nah genug dran an ihren Leuten, lautet eine Kritik. Unvergessen sind die Bilder von Angela Merkel, wie sie während der Euro-Krise über die Fraktionsebene eilte und schier unermüdlich Gespräche führte, persönliche SMS an einzelne Abgeordnete inklusive. Mehr davon, nicht weniger wäre wohl heute nötig. Die Abgeordneten, so berichten es viele aus der Union, stünden durch die sozialen Medien stärker unter Beobachtung und auch unter Druck als damals. Dass sich die AfD in Umfragen in dieser Woche noch einmal deutlich vor die Union schob und erneut ihren Höchstwert von 27 Prozent erreichte, macht die Sache gerade nicht einfacher.

Schon kurz zu Beginn der Regierung Merz berichtete der Kohl-Enkel und neue Abgeordnete Johannes Volkmann, 28 Jahre alt und Mitglied der Jungen Gruppe, wie sehr ihn die Wahlergebnisse für die Rechtsaußen-Partei auch in seinem Wahlkreis in Hessen umtreiben. Der gestählte Unionsabgeordnete und heutige Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger empfiehlt, unbeirrt die bisherigen Erfolge der Koalition im Wahlkreis ins Schaufenster zu stellen. Optimistisch bleiben, lautet die Devise der Fraktionsführung.

Junge Union: „Der Koalitionsvertrag wurde zu hastig ausgehandelt“

Leichter gesagt als getan. Nicht nur die Jungen in der Union sind unzufrieden mit der Koalition, die aus ihrer Sicht bislang nicht hält, was insbesondere die CDU im Wahlkampf versprochen hatte. Der Koalitionsvertrag sei zu hastig und in vielen Teilen zu unbestimmt ausgehandelt worden. Das räche sich nun, so heißt es.

Schon vor der Sommerpause war bei der gescheiterten Wahl der SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, zu spüren, dass es in der Unionsfraktion brodelt. Aber das war vermutlich nur ein Symptom für ein noch viel größeres Unbehagen.

Wie blank die Nerven liegen, zeigte sich vor wenigen Wochen in der Debatte um Außenminister Johann Wadephul (CDU), als dieser bei einem Besuch in Syrien mögliche baldige Rückführungen der Flüchtlinge in Zweifel zog. Sollte nach dem Megaschuldenpaket und der ausbleibenden Wirtschaftwende nun auch noch die Migrationswende ausfallen? Der Außenminister sah sich harscher Kritik ausgesetzt.

Wendiger Kanzler statt versprochener Wenden

Statt seiner im Wahlkampf zugesagten Wenden erleben die Abgeordneten vor allem einen wendigen Kanzler Friedrich Merz. Manche haben den Eindruck, er nehme mehr Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD als auf die eigenen Leute. Das Vertrauen in die Reformfähigkeit dieser Bundesregierung hat in den vergangenen Wochen erheblich gelitten. Aber das Bewusstsein für die „staatspolitische Verantwortung“ ist auch bei den „Renten-Rebellen“ der Union nicht verschwunden.

In einer Erklärung räumen sie am Montag ein, dass diese Verantwortung auch „Rücksicht auf den Koalitionsfrieden und die weitere Regierungsarbeit“ bedeute. Aus Sicht der Fraktionsspitze lässt das darauf hoffen, dass die eigene Mehrheit der Koalition am Freitag dann doch steht. Wenn es hart auf hart kommt, ist auf die Unionsfraktion doch noch immer Verlass gewesen.

Schon gar nicht möchte man sich von der Links-Fraktion vorführen lassen, die überraschend angekündigt hat, sich bei der Abstimmung zu enthalten. Eine Mehrheit nur dank der Linken? Das wäre dann das denkbar verrückteste Ende dieses Rentenstreits.