BadMünstereifel/Rheinbach – Knapp einen Monat nach der Vorstellung des Abschlussberichtes über sexuellen Missbrauch und Misshandlungen am Collegium Josephinum in Bad Münstereifel hat das Erzbistum Köln auch den letzten beschuldigten Priester aus dem aktiven Dienst genommen.
Dabei dürfte es sich um einen Geistlichen handeln, der 1982 nach sexuellen Übergriffen in Bad Münstereifel versetzt worden war und anschließend noch einmal die Stelle wechseln musste. Er hatte zwar zuletzt keine eigene Pfarrei mehr, zelebrierte aber noch bis vor fünf Wochen Messen, Hochzeiten und Beerdigungen im Rhein-Sieg-Kreis, wo er auch wohnte. Gegenüber der Gemeinde wurden gesundheitliche Gründe für den Rückzug genannt.
Opfervertreter Werner Becker war selbst Opfer
Aus „personal- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen“ könne das Erzbistum keine Anfragen zu bestimmten Personen beantworten, sagte Pressesprecher Christoph Heckeley. Dass unter Verdacht auf sexuellen Missbrauch stehende Priester mitunter noch viele Jahre seelsorgerisch tätig seien, liege allgemein daran, dass man zunächst den Hinweisen nachgehe. Falls diese konkret genug seien, seien personalrechtliche Konsequenzen möglich. Es müssten aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, teilte Heckeley mit.
„Die Gewissheit, dass in Einrichtungen unseres Erzbistums über viele Jahre jungen Menschen schlimmes Leid zugefügt wurde, gehört zu den schwersten Erkenntnissen, mit denen ich in meinem Bischöflichen Amt umgehen muss und erfüllt mich mit Trauer“ hatte Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki bei der Vorstellung des Gutachtens über die Vorgänge am 1997 aus Kostengründen geschlossenen Jungeninternat erklärt.
Das Gutachten war von Claudia Bundschuh, Professorin für Kinder- und Jugendpädagogik, unter Mitarbeit von Bettina Janssen und Arnfried Bintig innerhalb der vergangenen zweieinhalb Jahren unter anderem auf Basis von Berichten von Betroffenen erstellt worden. Das Ergebnis: Sexualisierte Gewalt wurde von mehreren Fachkräften verübt. Konkret genannt wurden sieben Personen, von denen sechs Priester waren. Zwei Priestern wurde sexueller Missbrauch in den 40er und 50er Jahren vorgeworfen. Die Taten insgesamt sollen bis Anfang der 80er Jahre stattgefunden haben. Bei Vorkommnissen körperlicher Gewalt wurden zwölf Personen beschuldigt, vier davon waren Priester. Der letzte Bericht über körperliche und psychische Gewalt bezieht sich auf eine Tat Anfang der 90er Jahre.
Klärungsbedarf hinter den Kulissen
Am Tag der Veröffentlichung des Berichts gab es hinter den Kulissen noch plötzlichen Klärungsbedarf. Das Erzbistum Köln als Herausgeber hatte noch einige Änderungen vorgenommen. Ob es sich dabei um aussageverändernde Korrekturen handelte, wie es Opfervertreter Professor Werner Becker aus Köln sagte, oder nur um Rechtschreibfragen, wie das Erzbistum sagt, kann nur der direkte Vergleich belegen. Diese Zeitung nahm Stichproben an den besonders aussagekräftigen Stellen. Dort fanden sich keine sinnverschleiernden Änderungen.
Opfervertreter Becker hatte nach der Pressekonferenz öffentlich mitgeteilt, bei der Presseversion des Berichts habe es sich nicht um den abgestimmten Inhalt gehandelt. So sei beispielsweise eine Grafik zu Gewalterfahrungen nicht farblich abgedruckt und in ihrer Aussage damit abgeschwächt worden. Auch die Wortwahl sei an einigen Stellen verändert worden. Erst nachdem die Autoren die Parallelveröffentlichung des Originals ins Internet (www.pro-cj.de) gestellt hätten, habe sich das Bistum zu Rückänderung und Neudruck bereiterklärt.
Das Bistum widerspricht Beckers Darstellung. Pressesprecher Christoph Heckeley sagte auf Anfrage: „Inhaltlich ist nicht ein Jota verändert worden“. Es habe lediglich Satz- und Rechtschreibfehler gegeben, die für die Buchfassung korrigiert werden mussten.
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Opfervertreter Werner Becker hatte von 1959 bis 1961 selbst das Schulinternat des Bistums in Bad Münstereifel besucht. Als Schüler der Obersekunda (Jahrgang 11) und Unterprima (Jahrgang 12) habe er damals als 18- beziehungsweise 19-Jähriger im dortigen Großen Haus gewohnt. Während dieser Zeit habe er sich vom damaligen Direktor, einem katholischen Priester, ständig beobachtet gefühlt. „Es gab keine Privatsphäre. Ständig stand jemand in deiner Zelle.“ Mindestens einmal in der Woche habe ihn einer der Betreuer gegen seinen Willen zu sich herangezogen, ihn gekniffen und auch an den Geschlechtsteilen berührt.
Dazu kam die Gewalt, die nach Beckers Einschätzung bei einigen der Täter eindeutig „sadistische Züge“ gehabt habe. Ein Großteil der Betreuer habe sich daran beteiligt. Tritte in den Hintern und Schläge ins Gesicht, die zu Wochen langen Ohrenschmerzen führten, seien wiederholt vorgekommen. Der Aufsicht führende Priester habe regelmäßig mit einem schweren Schlüsselbund nach den Schülern geworfen.
Geschwiegen aus Angst vor Stigmatisierung
Untereinander habe man die Behandlung aus Angst vor Stigmatisierung nicht erwähnt. Daher wisse er auch nicht, wie viele Schüler in seiner Zeit betroffen waren, als nach Beckers Einschätzung etwa 200 Jungen das Internat und 200 weitere als Externe die Schule besuchten. Allerdings seien wiederholt Schüler ohne Erklärung von einem Tag auf den anderen verschwunden.
Auch Werner Becker verließ die Schule Ende 1961. „Ich konnte meinen Eltern die Wahrheit nicht erzählen. Die hätten mir nicht geglaubt.“ Allerdings sei sein körperlicher Verfall und seine Introvertiertheit den Eltern aufgefallen. Becker schob schließlich Heimweh vor, um die Schule verlassen zu dürfen. Später half ihm auch ein Jahrzehnt Psychotherapie nicht, die Ereignisse zu verarbeiten. Erst der jüngste Forschungsbericht, der von den Betroffenen wesentlich geprägt wurde, habe ihm Erleichterung gebracht. Er sagt: „Es ist gut, dass die Dinge nun endlich ausgesprochen und zu Papier gebracht wurden.“
50.000 Euro Schweigegeld für ein Opfer
Im Zusammenhang mit mindestens drei Missbrauchsfällen in den 60er Jahren in den Rheinbacher Internaten Sankt Albert und Hermann-Josef-Kolleg des Pallottiner-Ordens soll einem Opfer 2009 ein Schweigegeld gezahlt worden sein.
Opfervertreter Werner Becker berichtet, ihm liege eine Eidesstattliche Erklärung des inzwischen verstorbenen Opfers vor, wonach der Provinzial des Ordens ihm 50 000 Euro im Gegenzug zu einem Schweigeversprechen gezahlt habe. Pallottiner-Pater Norbert Possmann bestätigte jetzt den Sachverhalt. Der Orden sei in dem einmaligen Fall aber nur Vermittler gewesen, da der Beschuldigte noch lebte und bereit war, diese Summe zu zahlen.
Denn die Vorgehensweise des Ordens „war nie Zahlung gegen Stillschweigen. Ich wollte, dass die Leute reden und den Tätern die Macht über sie nehmen“, so Possmann. Entgegen früherer Annahmen, dass es sich um einen einzelnen Täter gehandelt habe, „gab es in den letzten Jahren auch Beschuldigungen gegenüber drei Mitbrüdern, die im Hermann-Josef-Kolleg Rheinbach tätig waren“, so der Pallottiner. (EB)