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Putin, Xi und die FrühjahrsoffensiveWarum dieser Krieg so bald nicht enden wird

Lesezeit 7 Minuten
Russische Matroschka-Puppen mit Abbildern von Chinas Präsident Xi und Russlands Präsident Putin werden zum Verkauf angeboten.

Chef kann nur einer sein: Matroschka-Puppen mit den Abbildern von Xi und Putin in Moskau

Im russisch-ukrainischen Krieg stehen entscheidende Monate bevor.  Warum Putin auf sich aufpassen muss, welche Bedeutung Waffenlieferungen für die Aussichten auf eine Friedensregelung haben – und warum China vielleicht gar nicht so sehr an einem schnellen Kriegsende interessiert ist.

Die Abschiedsworte waren gönnerhaft: „Passen Sie bitte auf sich auf, mein lieber Freund“, sagte der chinesische Präsident Xi Jinping, als er am Mittwochmorgen seinen Gastgeber Wladimir Putin verließ. Putin? Nein, „Pu Tin“, witzelte der russische Regimekritiker und frühere Schachweltmeister Garri Kasparow: Kaiser Xi habe den Regionalgouverneur seiner Provinz „Ruxia“ besucht. Umso wichtiger wäre dann die Frage: Was hat Kaiser Xi zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gesagt?

Brachte Xis Besuch den Frieden näher?

Sollte Putin auf chinesische Waffenlieferungen gehofft haben, dann wurde er enttäuscht. Und Xi ging in Moskau nicht über seinen Friedensplan hinaus, der Russland zwar einseitig begünstigt – Putin dürfte danach die von ihm besetzten ukrainischen Gebiete weiter kontrollieren –, aber davon absieht, die förmliche Annexion dieser Territorien durch Moskau zu akzeptieren. Sie wären Besatzungsgebiet, nicht mehr.

„Russland ist jetzt eine Discounttankstelle für China“, bilanzierte Christoph Heusgen, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz: Xi kauft billig Rohstoffe in Russland (sagt im Gegenzug aber nicht einmal den Bau einer neuen Pipeline „Kraft Sibiriens 2“ zu), sichert Putin so Staatseinnahmen und versorgt ihn mit auch militärisch nutzbaren Gütern wie Mikroelektronik und kommerziellen Drohnen. Angeblich sollen zuletzt auch ein paar Handfeuerwaffen über die Grenze gegangen sein. Und Xi lädt den vom Internationalen Strafgerichtshof zur Verhaftung ausgeschriebenen Putin nach Peking ein. Aber vor einer Lieferung etwa von Panzern oder Raketenwerfern scheut China zurück, gewiss aus Furcht vor westlichen Sanktionen.

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„Passen Sie bitte auf sich auf“: China will keine Eskalation dieses Krieges. Wenn es eines Tages zum großen Konflikt Pekings mit dem Westen kommen sollte, dann will China den Anlass (Taiwan) und die Zeit (eher Ende des Jahrzehnts) selbst bestimmen. Dennoch hat der Münchner Sicherheitsexperte Carlo Masala die Frage aufgeworfen, ob der russisch-ukrainische Krieg im heutigen Ausmaß China so unwillkommen ist: Immerhin bindet er erhebliche US-amerikanische Ressourcen. Wollte China wirklich ein schnelles Kriegsende, dann sähe sein Friedensplan anders aus, dann wäre Xi in Moskau auch anders aufgetreten.

Sollte man Friedensgespräche vorbereiten?

So oder so: Der Westen solle den chinesischen Staatschef doch beim Wort nehmen, wenn der sich zur territorialen Integrität bekenne, schrieb Wolfgang Ischinger, Heusgens Vorgänger bei der Münchner Sicherheitskonferenz, nach dem dem Xi-Besuch. Schon vor Xis Reise hatte er verlangt, der Westen müsse sich gemeinsam auf mögliche diplomatische Optionen vorbereiten. Das löste sofort Proteste bei Fachkollegen und bei der FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus..

Dabei hatte Ischinger weder sofortige Verhandlungen mit Russland gefordert – die gäbe es ja nur zur russischen Bedingungen, also mit Anerkennung der Annexionen – noch die Waffenhilfe für die Ukraine kritisiert. Ganz im Gegenteil. Der Westen soll sich seiner Ansicht nach intern, in einer Kontaktgruppe der Außenminister, auf Fragen wie die mögliche Überwachung eines Waffenstillstands vorbereiten. In Abstimmung mit der Ukraine. Und möglicherweise auch im Kontakt mit China. 

Zu Verhandlungen aber, das sagte Ischinger auch, werde es nur kommen, wenn Putin erkenne, dass er den Krieg nicht gewinnen könne. Deshalb verlangte er – zuletzt im T-Online-Interview – eine militärische Aufrüstung der Ukraine „im Schnellmodus“, Waffenlieferungen „mit Hochdruck“. Und stellte klar: „Die territorialen Fragen werden in der Tat militärisch vorentschieden.“

Wie bereitet die Ukraine ihre Offensive vor?

Noch schärfer als Ischinger hat der tschechische Präsident Petr Pavel ausgedrückt, wie zentral ein militärischer Erfolg der Ukraine für die Beantwortung aller weiteren politischen Fragen ist: Die Ukraine habe im Krieg gegen Russland nur einen Versuch einer Gegenoffensive, sagte er der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita“. Aber ist die Ukraine zu einer solchen Offensive in der Lage? Und wenn ja, wann und mit welchem Ziel?

Die russische Offensive im Donbass (mit dem Brennpunkt Bachmut) scheint zwar zu erlahmen, aber die USA haben vor einer möglichen Wiederaufnahme gewarnt. Auf der anderen Seite stehen ukrainische Raketen- und Drohnenschläge auf russische Militäreinrichtungen zum Teil tief hinter der Front. Drehscheiben der russischen Militärlogistik wie das besetzte Mariupol und die schon 2014 okkupierte Krim stehen im Fokus. So hat Kiew Anfang der Woche den Bahnhof von Dschankoj, zentraler Knotenpunkt im Schienennetz der Krim, angegriffen. Ziel soll ein Transport mit Kalibr-Marschflugkörpern gewesen sein. Die Ukraine attackiert aber auch kleinteilig russische Waffenlager und Stellungen am linken Ufer des Dnipro, im Hinterland der Krim, im Donbass.

Man kann solche Operationen durchaus bereits als Vorbereitungen einer ukrainischen Frühjahrs- oder Sommeroffensive werten. Ein Blick zurück in den Herbst ist da lehrreich: Während die ukrainische Armee damals im Osten russische Fehler ausnutzen und im Handstreich große Teile des Bezirks Charkiw zurückerobern konnte, war das Bild im Süden ganz anders. Monatelang beschäftigte sich die Ukraine fast ausschließlich mit Angriffen auf russische Stellungen und Nachschubwege. Die territorialen Rückgewinne beschränkten sich lange auf einen kleinen Brückenkopf beim Städtchen Dawydiw Brid, später kam ein Landstrich am Westufer des Kachowkaer Stausees dazu. Am Ende zwang die Ukraine die Russen durch ihre Zermürbungstaktik dazu, die Großstadt Cherson und ihr Umland zu räumen. Die militärische Lage dort war für den damaligen russischen Oberbefehlshaber Sergej Surowikin schlicht unhaltbar geworden.

Welche ukrainischen Vorstöße wären denkbar?

Ähnlich wie damals bei Cherson könnte die Ukraine jetzt im Hinterland der Krim und des Asowschen Meers vorgehen und die von Russland eroberte Landverbindung zwischen Donbass und Krim unterbrechen. Rund 150 Kilometer breit, vom Nordostufer des Kachowkaer Stausees bis zur Donbass-Frontstadt Wuhledar, ist das Gebiet, an dem die Ukraine eine Gelegenheit zum Frontdurchbruch suchen könnte. Von Wuhledar beispielsweise sind es nur 80 Kilometer bis Mariupol – und bereits ein gut 30 Kilometer tiefer Vorstoß würde reichen, um die einzige Bahnverbindung in diese Hafenstadt zu kappen und sie damit als russisches Logistikzentrum zu entwerten.

Weiter westlich könnte die Ukraine auch nach Berdjansk vorstoßen – interessant, weil dann große Teile der Krim mit Dschankoj und der Brücke von Kertsch in die Reichweite ukrainischer Raketenartillerie (mit den neuen GLSDB-Geschossen, die 150 Kilometer weit fliegen) kämen. Oder noch weiter westlich: Melitopol und damit die direkte Kontrolle über zwei der drei Krim-Zugänge.

Ziel einer solchen Offensive wäre also strategischer Schnitt ins russische Besatzungsgebiet – mit der Absicht, die verbleibenden russischen Truppenteile in eine ähnlich verzweifelte Lage zu bringen wie seinerzeit bei Cherson: voneinander isoliert, unter Dauerbeschuss, mit einem Abzug als einzig vernünftiger Alternative zum kompletten Aufgerieben-Werden. Eine ähnliche Option gäbe es auch im Bezirk Luhansk: Gelänge es, die Frontlinie zwischen Swatowe und Kreminna zu durchbrechen und auf Starobilsk vorzurücken, dann kämen die russischen Truppen im nördlichen Donbass in äußerste Bedrängnis.

Bringt dieser Sommer die Entscheidung?

Aber würde ein solcher ukrainischer Durchbruch den Druck auf Russland so weit verstärken, dass Moskau endlich verhandeln (und zuvor seine Maximalpositionen räumen) müsste? Im Gewirr der Twitter-Analysen lohnt es sich da, die Beiträge des ukrainischen Autors Tatarigami zu lesen. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich ein – offensichtlich hervorragend informierter – ukrainischer Reserveoffizier, und dessen Diagnose ist zurückhaltend: Das Ende des Krieges stehe keinesfalls bevor. Was jetzt passiere, sei lediglich entscheidend für den weiteren Fortgang des Krieges.

Zwar ist der Schweizer Militärökonom Marcus Keupp der Auffassung, dass der russischen Armee im Herbst 2023 schlicht die Ressourcen ausgehen dürften. Aber letzten Endes bleibt die Frage, was Putin seinem Volk zumuten will. Russland ist wieder dabei, in größerem Stil Reservisten zu mobilisieren. Uralte Panzer des Modells T55 werden aus den Depots geholt. Wenn Putin im Hinterland der Krim – anders als damals sein General Surowikin bei Cherson – bis zum letzten russischen Soldaten kämpfen will, wer sollte ihn daran hindern?

Am Ende wird das Verhalten der beiden verbliebenen Supermächte dieser Welt, also der USA und Chinas, über den Ausgang dieses Krieges entscheiden. Wie würde Chinas Xi reagieren, wenn die Lage für Russland so bedrohlich würde, dass Putin stürzen könnte? In Moskau sagte Xi noch Putins Wiederwahl für 2024 voraus. Der chinesische Staatschef mischte sich also in die Frage ein, wer in einem souveränen Nachbarland das Sagen haben soll. Wie lange hält er an Putin fest und um welchen Preis? Andererseits, und darauf hat Petr Pavel hingewiesen, besteht ja die Frage, wie lange die Unterstützung der USA im heutigen Ausmaß anhält. Was, wenn es Putin gelingt, den Krieg bis ins Jahr 2024 hinzuziehen, in den US-Präsidentschaftswahlkampf hinein? Oder werden am Ende trotz aller aktuellen Anti-Kiew-Rhetorik auch Joe Bidens republikanische Konkurrenten erkennen, wie sehr der russische Angriffskrieg in der Ukraine China in die Karten spielt, der anderen Supermacht, die sie als die eigentliche Herausforderung für ihr Land sehen?

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