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Interview

Richtungs-Debatte in der CDU
„Wir wünschen uns, dass das ‚C‘ wieder an Gewicht gewinnt“

7 min
Das Logo der CDU

In der CDU will „Compass Mitte“ mehr Sichtbarkeit vor allem für soziale Themen.

Eine neue Plattform der CDU will das Soziale mehr in den Mittelpunkt stellen. Stephan Eisel, Bonner CDU-Politiker und ehemaliger Redenschreiber von Helmut Kohl, beschreibt im Gespräch mit der Rundschau seine Motivation, den Aufruf mitzutragen.

Warum haben Sie unterzeichnet?

Weil der Ansatz dieser Plattform meiner Überzeugung entspricht. Und weil ich finde, dass die dort vertretenen Positionen in der Außendarstellung der CDU deutlicher werden müssen, als es zurzeit der Fall ist.

Sie betonen, dass Bundeskanzler Helmut Kohl das „C“ der CDU wichtig war?

Ja, und das galt übrigens nicht nur für Helmut Kohl, sondern auch für die ganze Gründergeneration rund um Konrad Adenauer. Da war das christliche Menschenbild ganz entscheidend, weil der Nationalsozialismus dessen Werte brutal bekämpft und total negiert hatte. Kohl hat sich immer auf diese Gründungsmotivation bezogen und die Tatsache betont, dass die CDU von Widerstandskreisen gegen den Nationalsozialismus gegründet worden ist, um Grundwerte hochzuhalten. Das war ihm immer besonders wichtig. Das christliche Menschenbild, das ja im Parteinamen Christlich Demokratische Union zum Ausdruck kommt, muss wie damals wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden.

Dazu gehört laut Aufruf, sich mehr für soziale Gerechtigkeit einzusetzen – aber auch, sich im Umgang mit dem politischen Gegner und im Stil innerparteilicher Debatten zu mäßigen?

Auch das war Helmut Kohl auch immer sehr wichtig. Er hat sich wirklich inhaltlich sehr intensiv mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt gestritten. Aber eine seiner ersten Taten als Parteivorsitzender war, sämtliche Broschüren vernichten zu lassen, in denen Willy Brandt angegriffen worden ist wegen seiner unehelichen Geburt und weil er seinen ursprünglichen Namen Herbert Frahm nicht mehr getragen hat. Diese Art von Auseinandersetzung war Kohl zuwider. Er wollte inhaltlich argumentieren. Das ist es, was die Stärke der CDU ausmacht. Dazu gehört auch der Respekt davor, dass andere Recht haben könnten. Bestandteil des christlichen Menschenbildes ist auch die Einsicht in die eigene Unvollkommenheit.

„Compass Mitte“ kritisiert die Verengung der CDU auf das Konservative?

In der Außenwirkung erscheint es oft so, als ob die CDU überwiegend konservativ wäre. Das stimmt aber nicht. Unsere Partei hat immer einen konservativen und liberalen Flügel gehabt. Das Bild des Flügels finde ich durchaus angemessen: der Korpus dieses Vogels ist das Christlich-Demokratische, und die Flügel können nur ihre Kraft entfalten, weil es dieses Zentrum gibt. Es wird seit einiger Zeit viel zu sehr über die Frage diskutiert, was eigentlich konservativ ist. Viel spannender ist die Frage: Was ist christdemokratisch? Da wünschen wir uns – und auch ich persönlich -, dass das „C“ in den Diskussionen innerhalb der Partei und nach außen wieder an Gewicht gewinnt.

Migration sei eine wichtige, aber bei weitem nicht die wichtigste Aufgabe, heißt es in dem von Ihnen mitunterschriebenen Aufruf. Einige in der Union sehen das offenbar anders?

Im neuen Grundsatzprogramm der CDU ist Migration ein Thema, aber eben nicht das zentrale Thema. Es kommt darauf an, dass wir als CDU deutlich machen, dass wir uns um eine Bandbreite von Themen kümmern. Als Volkspartei müssen wir unterschiedliche soziale Schichten ansprechen, und das, was den Leuten wichtig ist. Es gibt viele Themen neben der Migration, die wichtig sind, von der Wirtschaftslage bis zur Sozialen Marktwirtschaft. Es muss endlich deutlicher werden, dass wir uns nicht auf ein Thema fixieren.

Die Stimmen scheinen in der CDU aber eher lauter zu werden, die das Soziale an der Marktwirtschaft infrage stellen.

Die Mitglieder innerhalb der CDU bekennen sich aus meiner Erfahrung klar zur Sozialen Marktwirtschaft. Nur in der Außenwirkung entsteht gelegentlich das von Ihnen beschriebene Bild durch Äußerungen, die öffentlich besonders verstärkt werden. Faktisch aber steht die CDU konsequent für beides: wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit mit Absicherung für diejenigen, die es brauchen.

Auch zur Debatte über Nichtregierungsorganisationen hat sich der Aufruf positioniert, indem er deren Gemeinnützigkeit und Förderwürdigkeit hervorhebt.

Es geht uns um das Subsidiaritätsprinzip, also dass der Staat sich nur um die Dinge kümmert, die durch nichtstaatliche Initiative nicht geregelt werden können. Insofern sind die Nichtregierungsorganisationen ein Kern des christlich-demokratischen Verständnisses. Das schließt aber nicht aus, dass man bei der einen oder anderen Nichtregierungsorganisation auch kritische Fragen stellen kann, also ob gewisse Ziele tatsächlich durch Steuerprivilegien der Gemeinnützigkeit unterstützt werden sollen.

Während im Osten manche CDU-Politiker die Brandmauer zur AfD infrage stellen, betonen Sie deren Wichtigkeit.

Es ist völlig klar, da stimmen wir mit Friedrich Merz überein, dass die AfD die Zerstörung der CDU will und für das Gegenteil von dem steht, wofür die CDU steht. Deshalb kommt eine irgendwie geartete Zusammenarbeit oder auch nur Absprache mit der AfD überhaupt nicht in Frage. Da sind wir glasklar. Diejenigen, die gelegentlich hier Lockerungsübungen wollen, haben kein Gewicht in der CDU, und sie sind auf der falschen Spur. Bei der Frage des Parteiverbots, das in der Verfassung ausdrücklich vorgesehen ist, plädieren wir dafür, dass das ernsthaft geprüft wird. Wenn die entsprechenden Prüfungen genug Anhaltspunkte ergeben, muss ein solcher Verbotsantrag durch Bundestag und Bundesrat gestellt werden. Auch da sollten wir das Grundgesetz ernst nehmen.

Beim Klima sprechen Sie nicht von Erderwärmung, sondern dramatischer von Erderhitzung. Andere in der Union dürften diese Zuspitzung kritisch sehen.

Helmut Kohl hat seinerzeit für den Umweltschutz den Begriff der „Bewahrung der Schöpfung“ eingeführt. Das war sogar der Titel seiner Regierungserklärung für die Legislaturperiode von 1983 bis 1987. Das ist ein ur-christdemokratisches Prinzip, an dem es nichts zu relativieren gibt. Man kann über die Wege streiten, die dorthin führen. Wir halten auch nichts von Dirigismus, sondern meinen, dass man mit Technologieoffenheit unterschiedliche Lösungen zulassen muss. Aber diejenigen, die glauben, dass der Umweltschutz irgendwie nur ein Thema der Grünen sei, liegen falsch.

Die Schere zwischen Arm und Reich dürfe sich nicht weiter öffnen, heißt es in dem Aufruf. Es wird gefordert, das Soziale in der CDU sichtbarer zu machen. Ist das derzeit tatsächlich realistisch?

Das war doch schon immer ein Kernpunkt der CDU. Es waren Adenauer und Erhard, die 1958 die progressive Einkommenssteuer eingeführt haben, also einen höheren Prozentsatz an Besteuerung bei höheren Einkommen. Soziale Gerechtigkeit mit dem Leistungsprinzip in einen Ausgleich zu bringen, ist ein zentraler Punkt des christlichen Menschenbildes. Dieser Ausgleich ist immer auch ein Spannungsverhältnis. Für uns ist wichtig, dass gleichberechtigt beide Gesichtspunkte in den Blick genommen werden. Da gibt es in der Tat Optimierungsbedarf. Es ist ja gut, dass wir bei der letzten Bundestagswahl wieder stärkste Partei geworden sind. Es ist auch gut, dass die CDU die Regierung anführt und den Kanzler stellt. Aber natürlich können wir mit dem Wahlergebnis unter 30 Prozent überhaupt nicht zufrieden sein. Das heißt, wir müssen darüber nachdenken, was wir besser machen und wie wir mehr Leute erreichen können. Das geht nach unserer Auffassung dadurch, dass die CDU in ihrer ganzen Bandbreite sichtbar wird und dass der Kern der CDU auch sichtbarer wird. Diese Initiative ist ja ergriffen worden, weil es da noch Optimierungsmöglichkeiten gibt.

Trotzdem steht der Arbeitnehmerflügel CDA in der Union der Plattform „Compass Mitte“ skeptisch gegenüber. Dessen früherer Vorsitzender Karl-Josef Laumann hält sie für unnötig?

Wir sind bewusst keine eigenständige Organisation, sondern eine Plattform. Jedes Mitglied kann selbst überlegen, ob es unsere Ziele unterstützt oder nicht. Ich finde es beeindruckend, wie viele ganz einfache Parteimitglieder den Aufruf unterzeichnet haben. Wer Funktionen in der Partei hat, hat dadurch bereits Mitwirkungsmöglichkeiten. Aber auch einfache Mitglieder sollten ihre Meinung laut sagen können. Unsere Plattform ist dafür ein Angebot.

Thorsten Alsleben von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ hat das als „Zombie-Initiative“ bezeichnet. Herr Eisel, wie lebt es sich denn so als politisch Untoter?

Da hat Herr Alsleben wohl gerade in den Spiegel geguckt, als er das gesagt hat…

Ihre Plattform ist keine Organisation. Ähnlich aber hat die Werte-Union auf dem konservativen Flügel der Union auch einmal angefangen und wurde dann zur konkurrierenden Partei.

Diese angebliche Werte-Union hat sich gegen den Kern der CDU gerichtet, denn sie wollte ja gerade nicht das Christdemokratische. Sie hat sich dagegen positioniert, von Anfang an eine eigene Organisation gebildet, die ja dann sogar gegen die CDU angetreten ist. Wir sind überzeugte Christdemokraten in der CDU. Uns geht es nicht um Machtkämpfe, es geht auch nicht um Animositäten gegen irgendjemanden, sondern es geht um die Sache. Ich bin vor 53 Jahren in die CDU eingetreten, weil ich ein überzeugter Christdemokrat bin. Dafür habe ich immer gearbeitet und auch gestritten und mache das eben auch heute noch.

Danke für das Gespräch.