Die EU plant ab 2027 eine CO2-Bepreisung, um Klimaziele zu erreichen – das könnte europäische Spannungen allerdings verschärfen. Die wichtigsten Fragen und Antworten
Soziale und politische SpannungenWie der CO2-Preis Europa vor Herausforderungen stellt

Rauch steigt aus Schornsteinen von holzverarbeitenden Industriebetrieben (Archivbild)
Copyright: Jens Büttner/dpa
Na klar, im Dauerhagel von Kriegs- und Krisenmeldungen will niemand was vom Klimawandel wissen. Allein, es hilft nichts: Auch im Zeitalter von Trump und Putin setzt die Erderwärmung ihr Zerstörungswerk fort. Auch in Hochburgen der AfD, die den Klimagaseffekt ignoriert. Den Bauern in Mecklenburg-Vorpommern vertrocknet das Korn. Im Spreewald sinken die Pegel. Die Nadelbäume im Thüringer Wald krepieren an Dürre und Hitze.
Um die Emissionen zu senken und die Erhitzung der Erde dadurch zu bremsen, will die EU einen neuen Hebel ansetzen: Die Bepreisung von CO2 soll den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas so teuer machen, dass wir auf grüne Energie umsteigen.
Friedrich Merz hat sich klar dazu bekannt: Der CO2-Preis wird „zentraler Baustein“ sein, um die Klimaziele einzuhalten. Das sagte der Kanzler in seiner ersten Regierungserklärung.
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Führende Leute der Union sagen aber hinter vorgehaltener Hand: „Wenn der CO2-Preis zuschlägt, landet die AfD in Ostdeutschland bei der absoluten Mehrheit.“ Auch der Koalitionspartner hat Angst. „Wir dürfen für den Klimaschutz nicht den sozialen Zusammenhalt zerstören“, sagt SPD-Fraktionschef Matthias Miersch.
Jetzt galoppiert die Zeit davon. Denn in exakt 18 Monaten geht der Emissionshandel für Verkehr und Gebäude (EU-Sprech: ETS2) an den Start. Und weder die EU noch Deutschland sind gewappnet. Wenn sich das nicht bald ändert, sagt Miersch, „dann rollt ein Zug auf uns zu, den wir nicht mehr stoppen können“.
Aber wie kann der Zug gestoppt werden, ohne beim Klimaschutz zu kapitulieren? Fragen & Antworten zu einem explosiven, aber völlig verdrängten Thema:
Wie teuer macht der Handel mit Emissionen das Tanken und Heizen?
Deutschland hat schon einen CO2-Preis, er liegt bei 55 Euro pro Tonne. Mit der Überführung ins EU-System 2027 „steigt dieser auf 120 Euro und liegt 2035 bei 206 Euro“, heißt es in einer frischen Modellierung des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI).
Bei 120 Euro würde der Liter Sprit rund 30 Cent mehr kosten. Heizöl würde durch den Treibhausgas-Aufschlag binnen zehn Jahren um 50 Prozent teurer; Erdgas um 32 Prozent, Sprit um 26 bis 27 Prozent.
Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) nennt andere Zahlen: „Laut aktuellen Einschätzungen von Marktanalysten könnte der ETS2-Preis im Jahr 2027 eine Höhe von 50 Euro bis 92 haben.“ Ein Anstieg auf 92 Euro würde Benzin in Deutschland um 6,3 Cent verteuern, Diesel um 6,9 Cent.
Allerdings kann das PIK preisliche „Extremfälle“ im ersten Jahr nicht vollständig ausschließen. Für 2030 liegt die Spanne zwischen 100 und 160 Euro, manche Experten halten einen Preis von 300 Euro für möglich. Der zentrale Faktor: Je schneller CO2-Emissionen bei Gebäuden und Verkehr bis dahin sinken, je flacher der Preisanstieg – und umgekehrt natürlich.
Was ist der Sinn hinter der CO2-Bepreisung?
Die Logik ist klar: Wenn das Tanken von Sprit viel teurer wird als das Tanken von Strom, kaufen immer mehr Leute E-Autos. Wenn das Heizen mit Holzpellets oder Strom deutlich günstiger wird als mit Gas und Öl, tauschen die Leute von selbst ihre Heizung aus. Die Industrie stellt sich darauf ein und baut mehr und damit günstigere E-Autos und Wärmepumpen.
Und mit den Hunderten Milliarden Euro, die der CO2-Preis in die Staatskassen spült, werden die Industrie und die Bürger, die Hilfe brauchen, beim Sanieren ihrer Häuser oder beim Tausch von Auto oder Heizung unterstützt.
Warum ist der CO2-Preis gefährlich für den sozialen Zusammenhalt?
Matthias Miersch formuliert es so: „Wer in topsanierten Häusern lebt und sein E-Auto mit der Wallbox auflädt, hat gut lachen. Aber wer Heizöl braucht oder als Mieter gar keinen Einfluss auf seine Heizung hat, wer Sprit für den täglichen Weg zur Arbeit braucht, der wird abgestraft und zum Verzicht gezwungen? Das ist toxisch für unsere Gesellschaft.“
Alice Weidel hat die „CO2-Steuer“ nach dem Heizungsgesetz längst als neue Steilvorlage erkannt, um gegen Berlin und Brüssel zu wettern. Sie brandmarkt das Instrument als Gift für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Fraktion beantragte im Mai die Abschaffung des Emissionshandels, aber auch der Klimaschutzziele. „Die Klimaerwärmung ist zum großen Teil naturgemacht und nicht menschengemacht“, sagte Co-Parteichef Tino Chrupalla in einem Interview mit unserer Redaktion. „Die CO2-Analysen halte ich für nicht ausschlaggebend für die Erderwärmung.“ Er verschließt die Augen vor den Erkenntnissen der Wissenschaft.
Aber auch für Europa ist der CO2-Preis ein Sprengsatz. In den ost- und zentraleuropäischen Ländern wird mehr mit Kohle geheizt und noch weniger auf E-Autos gesetzt. Die Haushaltseinkommen sind geringer, die Häuser schlechter gedämmt. Und es gibt dort keinen nationalen Emissionshandel. Es geht also von null hoch – auf 50, 90 oder 120 Euro.
In Polen würde schon ein CO2-Preis von 90 Euro pro Tonne das Tanken um 22 Cent pro Liter hochschnellen lassen. Die Heizkosten würden explodieren. Das Land hat versucht, seine EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr zu nutzen, um ETS2 zu torpedieren. Der neue Präsident Karol Nawrocki schürte schon im Wahlkampf Anti-EU-Ressentiments. Je näher die CO2-Bepreisung rückt, desto ungezügelter dürften die Attacken auf Brüssel und die Anti-EU-Stimmung im Land werden. Und Polen steht nicht allein.
Man könnte auch sagen: Der Emissionshandel, der das Leben schützen soll, wird zum Risiko für Europa und Demokratie.
Kann der soziale und europäische Sprengsatz noch entschärft werden?
In der Theorie ist das einfach: Allein in den ersten vier Jahren spült die CO2-Bepreisung vermutlich mindestens 300 Milliarden Euro in die Kassen der Mitgliedstaaten. Über den Klimasozialfonds der EU und nationale Haushalte solle das Geld eingesetzt werden, um Bürger und Wirtschaft mitzunehmen.
In der Realität klafft an der alles entscheidenden Stelle eine gewaltige Lücke. Ein soziales Klimageld plant die Bundesregierung nicht. Wie genau der Heizungstausch künftig gefördert werden soll, kann niemand sagen. Wie Union und SPD Menschen mit schmalen Budgets in die Lage versetzen wollen, sich E-Autos zu kaufen, steht in den Sternen. Dafür hat die Regierung gerade ihr Versprechen gebrochen, die Strompreise für Verbraucher zu senken, und damit die Chance verpasst, E-Autos und Wärmepumpen attraktiv zu machen.
Das ist das große Politikversagen. Denn die Menschen müssten jetzt die Chance bekommen, umzusteigen, und nicht, wenn der Preishammer längst zuschlägt.
„Der CO2-Markt ist sinnvoll, wenn die Voraussetzungen geschaffen sind. Aber da sind wir noch nicht“, sagt Miersch. Für eine zügige Dekarbonisierung des Gebäudesektors in Deutschland würden rund 40 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr gebraucht, für den Verkehrssektor 10 bis 13 Milliarden. Um die Ost- und Zentraleuropäer für die CO2-Preis-Wirklichkeit zu rüsten und die Anti-EU- und Anti-Klimaschutz-Stimmung einzufangen, müssten noch gigantischere Summen eingesetzt werden. Das wäre nur durch eine massive Umverteilung der Einnahmen von den reicheren (allen voran Deutschlands) in die ärmeren Länder zu schaffen. Auch das wird einfach verdrängt.
Kann der Emissionshandel auch gestoppt werden?
Der EU-Direktive haben alle Mitgliedstaaten vor zwei Jahren zugestimmt. Polen und drei Partnerländer sind mit ihren bisherigen Versuchen, den ETS2 weitgehend abzuräumen, gescheitert. Aber auch die Bundesregierung ist aufgeschreckt und setzt sich plötzlich mit 14 anderen Staaten für Änderungen ein: In einem gemeinsamen Brandbrief vom 25. Juni wird die EU-Kommission aufgefordert, „zügig“ eine Reihe zusätzlicher Schutzmechanismen gegen „mögliche Energiepreisschocks“ zu prüfen.
Zu den Vorschlägen zählt, eine schon vereinbarte „Marktstabilitätsreserve“ aufzustocken. Es sollen mehr CO2-Scheine ausgegeben werden können, um die Preise bei Ausschlägen wieder nach unten zu drücken. Auch ein effektiver Preisdeckel taucht als Option in dem Papier auf, freilich ohne Zahlen zu nennen.
„Der CO-Preis ist dann erfolgreich, wenn er nicht zu schnell steigt, damit die Menschen die Zeit und die Chance haben, auf klimafreundliche Alternativen umzusteigen“, begründet Klimaschutz-Minister Carsten Schneider (SPD) im Gespräch mit unserer Redaktion die geplante Intervention. „Mein politisches Ziel ist es, Preissprünge zu verhindern und Europa zusammenzuhalten.“
Macht das den CO2-Preis nicht zur Alibiveranstaltung?
Genau das fürchtet jetzt der Wirtschaftsrat der CDU. „Wer die Funktionsweise des Emissionshandels einschränken will, legt die Axt an den Klimaschutz. Ohne einen funktionierenden Emissionshandel ist der Klimaschutz nicht bezahlbar“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger im Gespräch mit unserer Redaktion. Er fordert: „Der europäische Emissionshandel für die Bereiche Wärme und Mobilität muss jetzt wie geplant umgesetzt werden, sonst sind sowohl die europäischen als auch die deutschen Klimaziele Makulatur!“
Der führende ETS-Experte Michael Pahle vom Potsdamer PIK sieht zwar „sehr gute Argumente für die Einführung eines Preiskorridors“, sieht zugleich aber das Risiko: Wird der Höchstpreis auf dem politischen Basar ausgehandelt, kann er so niedrig angesetzt werden, dass die Wirkung verpufft. Dann wäre alles vergebens.
Pahle nennt ein zweites Risiko: Verbindliche Unter- und Obergrenzen könnten aus dem ETS EU-rechtlich ein „fiskalisches Instrument“ machen. Dann aber müssten alle künftigen Änderungen einstimmig beschlossen werden, sprich: Ein Land kann alles blockieren. „Das wäre ein Damoklesschwert.“
Die PIK-Experten schlagen deswegen den Aufbau einer neuen Institution vor, einer Art Europäischen Zentralbank für den Handel mit CO2-Scheinen. Die neue Institution müsste einen stabilen Preiskorridor festlegen, auf den sich alle auch wirklich verlassen können. Aber wären die Mitgliedstaaten echt bereit, ihren Einfluss komplett abzugeben? Pahle hält das immerhin für „nicht ausgeschlossen“. Denn die Vorteile „liegen einfach auf der Hand“.
Wie geht die aufziehende ETS-Schlacht am Ende aus?
Klar ist gerade nur eines: Wenn Friedrich Merz seine Ansage einhalten will, den Emissionshandel für Gebäude und Verkehr zum „zentralen Baustein“ beim Klimaschutz zu machen, und wenn der Kanzler die Emissionsziele wirklich einhalten will, um die Erderhitzung zu bremsen, dann warten drei krasse Aufgaben auf ihn:
Der Kanzler muss auch die Bürger, die davon gar nichts halten, überzeugen, dass die CO-Bepreisung richtig ist und niemanden überfordert. Er muss dafür sorgen, dass fossile Energie auch wirklich spürbar teurer wird als grüner Strom (sonst lohnt sich das Umsteigen nicht). Und er muss die EU-Länder, die noch viel größere Schwierigkeiten als Deutschland haben, an Bord halten.
Hat der Kanzler dafür den Mut und die Kraft?
Nicht alle trauen ihm das zu. PIK-Mann Pahle schon. „Klimaschutz kann nur mit europaweiter Zusammenarbeit erfolgreich sein“, sagt er und verweist auf erste Gespräche der Bundesregierung in Warschau. „Wenn dieser Grundstein gelegt ist, wird es der Emissionshandel nicht nur über die Ziellinie schaffen“, so Pahle. „Dann wird er auch ein starkes Fundament haben, das ihn und die Klimapolitik sehr weit tragen kann!“
Ja, es mag ein wenig klingen wie das Pfeifen im Walde. Aber steht dafür nicht viel zu viel auf dem Spiel?
Ermutigung zum Kämpfen bekommt Kanzler Merz ausgerechnet von seiner bekanntesten Kontrahentin. „Ich bin der Überzeugung, dass wir unser Gesamtziel, in Europa 2050 klimaneutral zu sein, erreichen müssen, um wenigstens auf europäischer Seite einen Beitrag dazu zu leisten, dass der Klimawandel nicht noch schlimmere Auswirkungen hat“, sagte Angela Merkel gerade im Interview mit unserer Redaktion. „Und ich halte den Emissionshandel für den besten Weg: Weil sich damit die Kreativität der Leute, der Erfinder, der Entwickler am besten entfalten kann.“