Rundschau-DebatteWas brächten Kampfjets für Kiew eigentlich überhaupt?

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MiG-29-Kampfjets der polnischen Luftwaffe bei einer Flugschau.

MiG-29-Kampfjets der polnischen Luftwaffe bei einer Flugschau.

Kaum gab es grünes Licht für die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine, folgte der Ruf nach Jets. Washington und auch Berlin sagen Nein. Doch um welche Flugzeuge geht es hier überhaupt?

Wie ist die ukrainische Luftwaffe ausgerüstet?

Zum Zeitpunkt des russischen Überfalls besaß die Ukraine knapp 100 Kampfflugzeuge – alles Maschinen sowjetischer Bauart aus dem Bestand der früheren Sowjetarmee. Darunter waren 43 Mehrzweckkampfflugzeuge des Typs MiG-29, Nato-Code „Fulcrum“. Um sie dreht sich ein Teil der aktuellen Diskussion.

Russland hat es seit Kriegsbeginn nicht geschafft, die ukrainische Luftwaffe zu zerschlagen. Neben den Luftabwehrsystemen spielen die MiG-29 in der Abwehr russischer Luftangriffe eine zentrale Rolle – so erfolgreich, dass Russland es in der Regel vermeidet, mit eigenen Flugzeugen tief in den ukrainischen Luftraum einzudringen. Dennoch hat die Ukraine bisher 53, also mehr als die Hälfte, ihrer Kampfflugzeuge verloren, darunter nach Zählung des Portals Oryx 16 MiG-29. Die Ukraine braucht also Ersatz.

Welche Flugzeuge könnte die Ukraine erhalten?

Erste Kandidaten wären weitere MiG-29. Die gibt es als Erbe des Warschauer Paktes ja auch im Besitz von Nato-Staaten. Auch die Bundeswehr flog dieses Modell mehr als ein Jahrzehnt und bezeichnet es heute noch als eines der seinerzeit „besten Jagdflugzeuge der Welt“. Anno 2003 wurden die 22 noch verbliebenen Maschinen dieses Typs an Polen übergeben, eine behielt die Bundeswehr als Museumsstück. Polen besaß 2021 noch insgesamt 28 MiG-29. Auch die Slowakei flog dieses Modell, hat die letzten sechs Maschinen aber im Sommer 2022 außer Dienst gestellt und möchte sie der Ukraine übergeben. Nur ist es dazu noch nicht gekommen.

Als „Fulcrum“-Ersatz hat die Slowakei das US-Modell F-16 „Fighting Falcon“ oder „Viper“ bestellt, und diese Jets gelten als Alternative auch für die Ukraine. Beide Maschinen stammen noch aus dem Kalten Krieg (die MiG-29 wurde in der Sowjetunion sogar als Antwort auf die F-16 entwickelt), und beide dienen ähnlichen Zwecken: Sie sollen eindringende feindliche Maschinen bekämpfen und können Bodentruppen unterstützen. Ihre Leistungsdaten sind ähnlich. Zwar ist der Einsatzradius der F-16 mit 1600 Kilometer deutlich größer als bei der MiG-29, die auf gut 1000 Kilometer kommt, mit Zusatztanks auch etwas mehr. Allerdings sind so lange Flüge angesichts der russischen Luftabwehr wenig realistisch. Dafür hat die Ukraine auch ihre alten MiGs schon so ausgestattet, dass sie westliche Anti-Radar-Raketen (Harm) abschießen können. Die Ukraine würde durch die F-16 also keine komplett neuen militärischen Fähigkeiten erwerben.

Zahlreiche Nato-Staaten fliegen die F-16, unter anderem die Niederlande, nicht aber Deutschland. Schon weil die Zahl der verfügbaren MiG-29 begrenzt ist, gilt die in über 4500 Exemplaren gebaute F-16 als idealer Ersatz auch für die Ukraine. Nachteil: Die F-16 braucht eine 900 Meter lange Startbahn, die MiG-29 kommt mit 300 Metern aus und ist deshalb auch von schlecht ausgebauten Flugplätzen aus einsetzbar. Deshalb wird im Westen alternativ auch über die – langsamere – F-18 „Hornet“(Hornisse), ein eigentlich für Flugzeugträger entwickeltes Modell, und über die „Gripen“ (Greif) des schwedischen Herstellers Saab nachgedacht.

Welche Rolle spielt Deutschland in der Kampfjet-Diskussion?

Eigentlich eine Nebenrolle – das macht die deutsche Debatte so bizarr. Während die Niederlande F-16 an die Ukraine liefern möchten, während die USA bereits mit der Ausbildung ukrainischer Pilotenbegonnen haben, verfügt die Bundeswehr über keines der bisher favorisierten Modelle. Eine deutsche Zustimmung wäre allerdings gefragt, wenn Polen seine ehemals deutschen MiG-29 an Kiew weitergeben wollte. Die Situation ist also grundsätzlich anders als bei den Panzern, bei denen Deutschland als Hersteller und großer Betreiber des Leopard 2 den Ausschlag gab. Für die F-16 liegt der Schlüssel dagegen in Washington, und US-Präsident Joe Biden hat die Lieferung aktuell abgelehnt. Dagegen deutete der französische Präsident Emmanuel Macron zuletzt die Bereitschaft zur Lieferung ältester Mirage-Jets an.

Wie kämen die Flugzeuge in die Ukraine?

Das ist die entscheidende Frage. Bereits im Frühjahr 2022 gab es polnische und amerikanische Überlegungen, der Ukraine MiG-29 aus polnischem Bestand zu überlassen. Das Projekt wurde abgeblasen, weil die Übergabe zu riskant erschien. Denn: Würden solche Maschinen noch beispielsweise mit polnischem Hoheitszeichen und mit polnischen Offizieren im Cockpit in die Ukraine geflogen, dann könnte Polen als Kriegspartei erscheinen – erst recht, wenn die Piloten unterwegs eine russische Attacke abwehren müssten. Würden die Maschinen aber bereits in Polen umlackiert und von ukrainischen Piloten abgeholt, dann hieße das, dass Polen der Ukraine seine Luftwaffenbasen zur Verfügung stellt. Das tut zwar umgekehrt auch Belarus für die russische Luftwaffe, ohne dass die Ukraine dieses Land als Kriegspartei betrachtet, aber das Eskalationspotenzial wäre zweifellos da, und Russland könnte es bei Interesse nutzen.

Polen hatte daher die abenteuerliche Idee ins Gespräch gebracht, seine Jets auf die US-Luftwaffenbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz zu bringen und erst von dort in die Ukraine – in der Hoffnung, dass damit das Risiko auf mehr Schultern verteilt würde. Jedenfalls zeigt die damalige Debatte, wo die eigentliche Gefahr einer Kampfflugzeug-Lieferung läge: im Überführungsflug.

Hier kommt wieder Gustav Gressel ins Spiel. Nach seiner Darstellung und nach Angaben der Warschauer Zeitung „Dziennik“ wussten sich Polen und Ukrainer mittlerweile zu helfen. Ersatzteillieferungen per Bahn und Lkw werfen weniger Sicherheitsprobleme auf als ein Flug. Und aus Ersatzteilen können die Ukrainer – das Land ist für seine Flugzeugtechniker berühmt – wieder MiGs montieren. Nach Gressels Darstellung sogar mehr neue Flugzeuge, als sie verloren haben. Allerdings dürften die Ersatzteilvorräte im Westen begrenzt sein, und frühere Bundeswehr-MiGs dürfte Polen nicht ohne Genehmigung zwecks Weitergabe demontieren. Und ob eine F-16, mit der ukrainische Techniker ja bisher keine Erfahrung haben, sich ebenfalls für eine Bausatz-Lösung eignet, müsste wohl noch untersucht werden.

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