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„Wir haben die Tore geöffnet“Wie Erdogan Europa mit Flüchtlingsschicksalen erpresst

Lesezeit 2 Minuten
Erdogan in Köln

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei

  1. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt Flüchtlinge in Richtung Griechenland passieren.
  2. Damit nutzt Erdogan das Schicksal der Flüchtlinge zur Erpressung Europas.
  3. Unser Autor Raimund Neuß zur Flüchtlingspolitik Ankaras und der EU.

Der Zynismus dieser Inszenierung ist nicht zu überbieten. „Wir haben die Tore geöffnet“, tönt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und mahnt die EU, „ihren Teil der Last“ zu übernehmen. Türkische Soldaten winken Flüchtlinge in Richtung der griechischen Grenze durch. Die staatlich besoldeten türkischen Imame beklagen in deutschen Moscheen „die betrüblichen menschlichen Krisen“ und den Tod so vieler Unschuldiger.

Tatsächlich nutzt Erdogan das Schicksal der Flüchtlinge zur Erpressung Europas. Sein Versuch, Nato und Russland gegeneinander auszuspielen und die Türkei als Großmacht zu etablieren, ist gescheitert. Die Ditib-Vorbeter müssten Allah nicht um Gnade für die Gefallenen bitten, wenn ihr oberster Dienstherr den Konflikt mit Moskau nicht vom Zaun gebrochen hätte.

In dieser Lage besinnt sich der türkische Staatschef auf die Nato-Mitgliedschaft seines Landes und auf die Bindung an die EU und hofft, dass die Partner für ihn die Kohlen aus dem Feuer holen. Sie sollten sich, so die Logik Ankaras, beeilen, denn sonst kommen noch mehr Flüchtlinge – verzweifelte Menschen, von denen viele gar nicht unterwegs wären, wenn Erdogan nicht in den syrischen Kurdengebieten Feuer gelegt hätte.

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Eine Situation, die Europa nicht hinnehmen darf

Was können die Europäer tun? Die Schließung von Grenzübergängen wird nicht lange helfen. Erstens funktioniert so etwas bestenfalls an den Landgrenzen Griechenlands und Bulgariens. Fluchtversuche per Boot mit all ihren fürchterlichen Folgen kann die EU gar nicht unterbinden. Eine Gemeinschaft zivilisierter, demokratischer Staaten kann und darf auch keine Situation hinnehmen, in der Menschen unter unerträglichen Bedingungen in wilden Camps vegetieren oder an ihrer Seegrenze ertrinken. Die EU wird Erdogan somit zähneknirschend helfen müssen, die Folgen des Unheils zu bewältigen, das er angerichtet hat. Auch durch eine – geregelte – Aufnahme von Flüchtlingsgruppen.

Umso schlimmer ist es, dass die EU zwei ihrer zentralen Probleme nicht einmal im Ansatz gelöst hat: Weder gibt es ein Verfahren zur Verteilung von Flüchtlingen – Deutschland, Frankreich, Italien und Malta stehen nach wie vor allein –, noch hat die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik eine Antwort darauf gefunden, dass die USA unter Donald Trump als westliche Führungsmacht ausfallen. Trumps chaotische Syrien-Politik hat ja erst den Raum für Erdogans blutiges Abenteuer geöffnet, aber die Europäer hatten auch kein Gegenmittel. Umso wichtiger wäre eine koordinierte Antwort an Ankara: Die Solidarität, die Erdogan fordert, muss ihren Preis haben – ein Ende der aggressiven Politik Ankaras an seiner Südostgrenze und das Unterbinden nicht genehmigter Grenzübertritte.