Abo

Interview mit Prof. LüddeWer muss seine Corona-Impfung wann auffrischen lassen?

Lesezeit 7 Minuten
Impfnachweeis digital

Der digitale Corona-Impfpass 

  • Wer muss seine Corona-Impfung wann auffrischen lassen?
  • Und was ist von neuen Zahlen zu Impfquoten, Impfdurchbrüchen und Nebenwirkungen zu halten?
  • Raimund Neuß hat den Düsseldorfer Infektiologen Prof. Tom Lüdde befragt.

Die Ständige Impfkommission empfiehlt Corona-Auffrischungsimpfungen für über 70-Jährige und einige andere Personengruppen. Wird das reichen?

Die Empfehlung der Stiko, derzeit Auffrischungsimpfungen für über 70-Jährige, Immungeschwächte und medizinisches Personal zu empfehlen, deckt aufgrund des aktuellen Standes der Wissenschaft auf jeden Fall die Gruppen ab, bei denen der Nutzen einer Auffrischimpfung klar zu erwarten ist. Dabei besteht das Ziel der Auffrischimpfung bei Älteren und Immungeschwächten im Aufrechterhalten und Verbessern des Schutzes vor symptomatischen und schweren SARS-CoV-2-Infektionen während bei medizinischem Personal vor allem der Schutz von Risikopatienten, bei denen Impfungen teils nicht ausreichend wirken, im Vordergrund steht.

Wie sind die Angaben des Robert-Koch-Instituts über sich häufende Impfdurchbrüche, auch mit erforderlicher Intensivbehandlung, zu interpretieren? Wirklich im Rahmen des zu Erwartenden? Welche Erfahrungen machen Sie?

Alles zum Thema Robert Koch-Institut

Da ein hoher Teil der Bevölkerung geimpft ist und die Impfstoffe auch nach Studienlage keine 100-prozentigen Schutz vor einer Ansteckung gegenüber SARS-CoV-2 liefern, ist das durchaus häufige Vorkommen von „Impfdurchbrüchen“ nicht überraschend. Allerdings sind weiterhin schwere Verläufe von Covid-19 bei Geimpften ausgesprochen selten – gerade bei den lebensbedrohlichen Verläufen von Covid-19 auf der Intensivstation sind weiterhin in der Regel mehr als 90 Prozent nicht geimpft. Schwere Verläufe von Covid-19 bei vollständig gegen SARS-CoV-2 Geimpften sind weiterhin in der absoluten Minderheit und treten ganz überwiegend bei schwer vorerkrankten, hochaltrigen oder immungeschwächten Menschen auf. Um es klar zu sagen - die in Deutschland derzeit empfohlenen SARS-CoV-2-Impfstoffe wirken weiterhin und verhindern mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Verläufe von Covid-19.

In Israel wird der „Grüne Pass“ ungültig, wenn man sich nicht die dritte Spritze holt. Werden wir irgendwann auch so weit gehen müssen?

Inwieweit und zu welchem Zeitpunkt für die Breite der Bevölkerung Auffrischimpfungen erforderlich bzw. empfehlenswert sind, ist eins der gegenwärtig intensiv wissenschaftlich bearbeiteten Themen – letztlich ist es aktuell noch zu früh, um diese Frage beantworten zu können.

Zur Person

Prof. Tom Lüdde ist Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf. Studiert hat er in Hannover und hat von 2007 bis 2020 am Universitätsklinikum Aachen gearbeitet, dort zuletzt als Professor und Leitender Oberarzt.

Die Gegenposition hat unlängst Kassenärzte-Chef Andreas Gassen vertreten: Seiner Ansicht nach sind wir in Deutschland zu vorsichtig. Da jeder, der es wollte, sich impfen lassen konnte, verlangt er einen „Freedom Day“. Wir sollten natürliche Infektionen zulassen, sozusagen den natürlichen Booster, so dass Covid-19 bald zu einer normalen endemischen Krankheit wird. Wie sehen Sie das?

Aktuell wäre es meines Erachtens zu früh, Covid-19 „freien Lauf“ zu lassen – gerade durch die Delta-Variante ist das Risiko für Ungeimpfte sogar noch gestiegen. Bei weiterhin noch Millionen von ungeimpften Menschen in Deutschland, darunter auch etwa drei bis vier Millionen Menschen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf, könnte eine durch saisonale Effekte von Herbst und Winter begünstigte und dann rasch ablaufende Covid-19-Welle neben zahlreichen Toten auch erneut die Krankenhäuser und das dort tätige Personal an ihre Grenzen bringen. Langfristig ist es durchaus zu erwarten, dass Covid-19 eine endemische Krankheit wird, die das alltägliche Leben nicht mehr wesentlich beeinflusst – nämlich, wenn nahezu alle in Deutschland entweder durch vollständige Impfung geschützt oder von einer SARS-CoV-2-Infektion genesen sind.

Aber im Ernst, was meinen Sie, wie lange werden wir noch Restriktionen brauchen, und sei es nur die Kontrolle von Impfzertifikaten oder Maskenpflichten?

Natürlich kann das, auch in Rückblick auf die letzten 18 Monate mit unter anderem neu auftretenden Virusvarianten, niemand mit Bestimmtheit vorhersagen – ab dem Frühjahr 2022 sehe ich jedoch wirklich eine gute Chance, dass zumindest in Deutschland die Covid-19-Pandemie weitgehend überstanden ist und somit das Alltagsleben durch Covid-19 nicht mehr wesentlich beeinträchtigt wird.

Werden Sie aus den Zahlen des Robert-Koch-Instituts noch schlau? Da räumt das Institut erst ein, man habe die Wirksamkeit der Impfungen überschätzt, ein paar Tage später hat man die Impfquote wohl unterschätzt …

Das Robert-Koch-Institut kann nur die Zahlen zu Impfungen sammeln und berichten, die ihm gemeldet werden – natürlich können hier Zahlen auch unterschätzt werden. Allerdings haben auch die durchgeführten telefonischen Umfragen zur Impfquote Fehlerquellen – es wird zum Beispiel unter Experten diskutiert, dass gerade die Gruppe der bisher Ungeimpften in derartigen telefonischen Befragungen unterrepräsentiert und damit die hiermit errechnete Impfquote falsch hoch sein könnte. Dass bei einer neuen Virus-Erkrankung auch immer wieder neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Beispiel zur längerfristigen Effektivität von verschiedenen Impfstoffen verfügbar werden – und dann Strategien angepasst werden müssen, ist aus Sicht eines Wissenschaftlers nicht wirklich überraschend.

Ein Wert, der gerade auffällig korrigiert werden musste, betrifft das Risiko von Herzmuskelentzündungen nach mRNA-Impfugen von Biontech und Moderna. Island hat gerade Moderna-Impfungen gestoppt. Wie ernst ist das zu nehmen?

Es handelt sich um eine seltene Nebenwirkung, die vor allem bei jüngeren Männern beobachtet wurde. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass das Risiko dieser Nebenwirkung gering ist und auf 100.000 Impfungen etwa ein bis drei Fälle auftreten, die jedoch in der Regel ohne langfristige Folgen ausgeheilt sind. Wichtig anzumerken ist aber vor allem, dass bei den Menschen ohne entsprechende Impfung, die sich mit Sars-CoV-2 infizierten, das kurz- und mittelfristige Risiko für eine Myokarditis deutlich höher war (elf Fälle auf 100 000). Zusätzlich waren in dieser Gruppe ungeimpfter Personen, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert hatten, auch andere Herzrisiken wie Rhythmusstörungen, Herzinfarkt sowie akute Nierenschäden und Lungenembolien deutlich häufiger als bei den gegen SARS-CoV-2 Geimpften. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der mRNA-Impfstoffe ist also weiterhin eindeutig positiv. Ganz einfach – sich ungeimpft mit SARS-CoV-2 zu infizieren bringt einfach vielfach höhere Risiken mit sich als die genannten mRNA-Impfstoffe.

Die Ständige Impfkommission ringt um Impfungen für Kinder unter Zwölf. Ihre Prognose?

Die Stiko wird die Studiendaten für Kinder unter zwölf Jahren gründlich prüfen. Ob und wann die Stiko dann eine entsprechende Empfehlung veröffentlicht, kann ich nicht vorhersagen.

Auf ältere Kinder und Jugendliche und ihre Eltern wird ja durchaus Druck ausgeübt: Ab Jahresende sind Corona-Tests auch für sie nicht mehr kostenlos. Ist das angesichts der neuen Daten vertretbar?

Um die gesellschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Deutschland möglichst rasch hinter uns zu lassen, sind Impfungen sicher ein ganz zentrales Instrument. Inwieweit positive Anreize für das Impfen, Werbe- und Informationskampagnen und/oder kostenpflichtige Testungen sinnvoll sind, um die Covid-19-Pandemie zu bewältigen ist medizinisch eigentlich nicht zu bewerten, sondern eine Frage an den gesellschaftlichen Konsens bzw. eine politische Entscheidung.

Nach Tetanus-, Masern- oder Röteln-Impfungen hört man selten von ernsthaften Komplikationen. Liegt es nur am Medienecho, dass es bei Covid-19-Impfungen anders ist, oder ist bei diesen Impfstoffen wirklich erhöhte Vorsicht geboten?

Natürlich spielt das hohe Interesse von Medien und Öffentlichkeit und die emotional aufgeladene Situation der Covid-19-Pandemie hier eine Rolle. Darüber hinaus sind neue Wege hinsichtlich der Impfstofftechnologie beschritten wurden, so dass sicher auch von Seiten der Wissenschaft eine besondere Aufmerksamkeit geboten war. Wie bei jedem neuen Impfstoff oder anderen neuen Medikament müssen natürlich mögliche Nebenwirkungen gemeldet, erfasst und gründlich abgeklärt werden. Am Ende zählt dann, ob der Impfstoff bzw. das Medikament eindeutig mehr Nutzen als Schaden mit sich bringt. Inzwischen sind weltweit bereits 6,6 Milliarden Impfungen gegen Covid-19 durchgeführt worden und zahlreiche wissenschaftliche Auswertungen erfolgt. Die Frage, ob der Nutzen der in Deutschland zugelassenen Covid19-Impfstoffe höher ist als ihr Risiko, kann man klar mit Ja beantworten.

Politiker und Fachleute rufen gerade eindringlich zu Grippeimpfungen auf, um ein Zusammentreffen von Grippe- und neuer Coronawelle zu verhindern. Wird das gelingen? Man könnte ja befürchten: Mangels ausreichend umlaufender Grippeviren konnte für diese Saison gar kein zielgenau wirksamer Impfstoff entwickelt werden …

Natürlich ist nicht in jeder Saison der Grippeimpfstoff gleich effektiv, da jeweils eine Vorhersage der umlaufenden Grippeviren erforderlich ist. Klar ist allerdings, dass man mit Grippeschutzimpfung zumindest eine gute Chance hat, einen gewissen Schutz gegen die echte Grippe (Influenza) zu haben und ohne Grippeschutzimpfung eben auf jeden Fall nicht. Eine schwere Influenzawelle, die gleichzeitig mit einer Covid-19-Welle stattfinden würde, wäre insbesondere für die Krankenhäuser wirklich ein sehr unschönes Szenario.

In den letzten Wochen gab es mehrfach Nachrichten über neue Therapieansätze gegen Corona: Molnupiravir von MSD, Antikörper-Präparate von Astrazeneca und Roche. Sind die Hoffnungen berechtigt?

Wir machen durchaus Fortschritte in der Behandlung von Covid-19 Dies gilt allerdings vor allem in der frühen Phase der Erkrankung, also in den ersten Tagen nach Symptombeginn. In dieser Phase können monoklonale Antikörper oder auch das als Tabletten einnehmbare Molnupiravir schwere Verläufe von Covid-19 deutlich reduzieren. Später, wenn bereits eine Lungenentzündung durch Covid-19 vorliegt, haben diese Präparate in der Regel leider keinen positiven Einfluss mehr. Die Impfung gegen Covid-19 ist immer noch die einfachste und beste Option, um sich vor Covid-19 zu schützen.

Interview: Raimund Neuß

Rundschau abonnieren