Interview mit Gerd Köster„Ist BAP Rock 'n' Roll?“

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Gerd Köster qualmt noch schnell eine Selbstgedrehte, bevor wir ins Café gehen. Auch während des Interviews verschwindet er noch einmal nach draußen, weil der Laden rauchfrei ist. „Dat hätt et fröher nit jejovve", sagt er mit seiner markanten Schwarzer-Krauser-Stimme.

Was ist ein Krätzchen?

Meines Wissens ist das die einzige kölsche Roots-Musik. Was für die Baumwollpflücker der Blues, war für die Kölner das Krätzchen.

Worin bestehen die musikalischen Besonderheiten?

Das ist eine Art Moritatengesang, am ehesten vergleichbar mit der Gstanzl-Musik, wie sie die Gebirgsvölker des deutschsprachigen Raumes pflegen. Allerdings hat die sich innerlich weiter entwickelt als die kölschen Krätzchen. Die müssten musikalisch aktualisiert und mit neuen Themen gefüllt werden, aber das macht leider kaum noch jemand.

Was ist das Kölsche an Krätzchen?

Der gelassene, manchmal allzu gelassene Umgang mit nicht immer erfreulichen Umständen. Im besten Fall erinnert mich diese Haltung dann an Gedichte von Robert Gernhardt.

Gibt es für Krätzchen Grenzen?

Sollte es eigentlich nicht geben, aber ist natürlich trotzdem so. Für mich haben zum Beispiel Schimpfwörter immer zum Kölschen dazugehört. In Köln versucht das Bürgertum ja traditionell, sich sehr stark von der Unterschicht zu distanzieren - gesellschaftlich und sprachlich. Wenn du denen dann mit Ausdrücken wie „Buure Säu“ kommst, dann ist das diesen Leuten schnell zu vulgär.

Seit 1996 singen Sie vor allem Krätzchen und Chansons. Vermissen Sie den Rock 'n' Roll von früher?

Was ist Rock 'n' Roll? Ist BAP Rock 'n' Roll? (grinst)

Rock 'n' Roll ist Blues-orientierte Musik mit verstärkten Gitarren.

So gesehen machen wir natürlich keinen Rock 'n' Roll. Aber das hat ja vor allem was mit Haltung und Lebensgefühl zu tun. Auch einer, der Krätzchen schreibt, kann mehr Rock 'n' Roll haben als, sagen wir mal, Marius Müller-Westernhagen.

Mit kompletter Band am Tanzbrunnen spielen Sie sogar „Fette Ratten“, das SchroederRoadshow-Lied aus den 70ern.

Ja, das ist einer der ganz wenigen Schroeder-Songs, der sein Haltbarkeitsdatum nicht überschritten hat. Viele Sachen von damals, „Brüder der romantischen Verlierer“ und so, sind mir heute zu klebrig.

Die Schroeder Roadshow wurde 1975 gegründet. Zwei Mal trat die Politrock-Band im renommierten Rockpalast auf, noch mehr Zuschauer, nämlich 200.000, hatte sie beim „Werner-Rennen“ des Zeichners Brösel anno 1988.

Schroeder Roadshow ist hauptsächlich in der linksalternativen Szene, in Schul-Aulen und Jugendzentren aufgetreten . . .

(lacht). . . in autonomen Jugendzentren!

. . . und heute spielen Sie eher im Senftöpfchen oder im Stadtgarten. Gibt es da einen Unterschied?

Zuletzt haben wir im Kääzmann's in Bickendorf gespielt. Das ist so eine urige Kneipe, wie es sie heutzutage kaum noch gibt. Unsere Musik gehört in die Viertel, nicht nur in die schicken Hallen.

Mit The Piano has been drinking haben Sie Tom Waits auf Kölsch gesungen. Kaufen Sie noch jede neue CD von ihm?

Ja. Es gibt so ein paar Kandidaten, da macht man das einfach. Bob Dylan, und Tom Waits natürlich auch.

Was gefällt Ihnen an seiner Musik?

Am größten ist, wie er immer wieder den Blues, den Rock 'n' Roll zusammenbringt mit diesem Morbiden und Jahrmarkthaften. Je mehr man in Fahrstühlen und Supermärkten bedudelt wird, desto mehr sehnt man sich doch nach einer Musik, die wirklich atmet. Und die eben auch mal Asthma hat.

Schroeder Roadshow hatte deutsche Texte, Sie haben Tom Waits ins fränkisch-ripuarische Deutsch übertragen, und inzwischen läuft auch im Radio viel deutsche Musik. Ich sage mal nur: 2raumwohnung und Sportfreunde Stiller. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Das ist Rock zum Evangelischen Kirchentag. Ich mach mir da nichts draus.

Haben Sie seinerzeit wie Wolfgang Niedecken die Deutsch-Quote im Radio mitgefordert?

Nee, diese Statements von Heinz-Rudolf Kunze und so haben mich abgeschreckt. Ob deutsches oder englisches Gedudel, ist ja letztlich egal. Die Mainstream-Radiosender höre ich sowieso nicht mehr, da kriege ich Herpes von.

Ab wann sind Sie selbst zum Texter geworden?

Das fing eigentlich erst mit Piano an, mit den Tom-Waits-Übersetzungen. Und auch da hatte ich erst Bedenken, da musste man erst mal das richtige Kölsch für finden.

Und danach kam dann der Schritt hin zu ganz eigenen Songtexten?

Genau, wobei ich schon viel von der Tom Waits'schen Ambivalenz gelernt habe. Großartig finde ich bei ihm unter anderem, dass er über Leute lachen kann, ohne das von oben herab zu tun. „Jesus gonna be here“ handelt zum Beispiel von einem zahnlosen Penner, der an der Straßenecke einen heiseren Gospel singt. Da lacht man sich schlapp, aber Waits lässt dem Penner seine Würde.

Ich kenne Sie noch als langhaarigen, Schwarzer Krauser rauchenden Kellner aus dem „Out“, einer in den 1980ern sehr bekannten Südstadtkneipe. Kennen Sie jenen Gerd Köster auch noch?

Schwarzer Krauser rauche ich immer noch, Kölsch trinke ich auch ab und zu. Aber die Kellnerei ist definitiv vorbei, dafür habe ich einfach nicht die therapeutische Ausbildung, die man heute braucht.

Therapeutische Hilfe brauchten zum Ende hin auch die Gäste des „Out“. Wegen Lärmbeschwerden lief dort nämlich bis zur endgültigen Schließung statt Musik eine immer gleiche Kassette mit Walgeräuschen.

Sie sind doch gelernter Altenpfleger!

Ja, schon, aber in den Riehler Heimstätten ging es vor allem um physische Hilfen. Als Kellner wechselt man ja eher die Windeln des Hypothalamus, und das ist mir einfach zu anstrengend.

Aber Kneipen sind auch für Sie keine ganz unwichtigen Orte.

Klar, sehr viele Leute, mit denen ich heute noch zu tun habe, habe ich in Kneipen kennen gelernt. Also, Kneipen haben schon eine größere Bedeutung als Kirchen.

Das „Out“ beherbergt heute einen Schnellimbiss. Gehen Sie da manchmal hin?

Ich habe den Laden seit der Schließung damals nicht mehr betreten. Us Frack!

Meine nächste Frage wäre gewesen, ob Sie kölsch-sentimental sind. Die erübrigt sich jetzt.

Ich bin extrem sentimental. Ich kann zum Beispiel kaum noch zum FC gehen, weil ich mich so aufrege. Und ich muss inzwischen schließlich meine Stimme schonen, das geht alles nicht mehr so wie mit 25.

So ein Stadionbesuch macht heiser, das kenne ich auch.

FC-Fan ist man mit dem Herzen, aber es gibt ja so Leute, die immer mit dem Verein halten, der gerade den schönsten Fußball spielt. Und sei es Leverkusen.

Da fehlt Ihnen die Haltung?

Ja, das ist die Höhnerisierung der Fan-Kultur.

Sie spielen an auf jenen Sänger, der aus Leverkusen kommt, FC-Hymnen singt und Gladbachschals trägt. Für mich gibt es auf der Brauchtumsebene ohnehin nur die Bläck Fööss.

Da sind wir absolut d'accord.

Während die Fotos gemacht werden, kommt ein Mann mit Sackkarre und Weinkisten vorbei und verschwindet in seinem Laden. Köster und er begrüßen sich. Nachdem wir uns verabschiedet haben, wechselt Köster rüber zum „Drogenberater seines Vertrauens“.

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