„Roxy“Wohnzimmer der jungen Wilden

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"Es hat sich einfach so entwickelt": Horst Leichenich über sein Lebenswerk, das "Roxy", das eigentlich nur eine ganz normale Kneipe mit guter Musik sein sollte. (Foto: Schmülgen)

"Es hat sich einfach so entwickelt": Horst Leichenich über sein Lebenswerk, das "Roxy", das eigentlich nur eine ganz normale Kneipe mit guter Musik sein sollte. (Foto: Schmülgen)

Köln – Die Geschichte mit Udo Kier und den Deckeln hatte Horst schon vergessen. Zu viele Persönlichkeiten und Wahnsinnige sind im „Roxy“ ein- und ausgegangen; zu viel ist in über 30 Jahren passiert, als dass er alles behalten könnte. Aber jetzt, da die Sprache auf Udo Kier kommt, der später sogar in Hollywood als Schauspieler Karriere machte, muss sich Horst seinen imposanten Bauch vor Lachen halten.

„Der Udo wollte auch mal bei mir kellnern“, beginnt der Wirt und erzählt, wie sein unerfahrener Schützling einst auf der Theke Bierdeckel verteilte. Allerdings hatte keiner bemerkt, dass sich Udo Kier ordentlich vergriffen hatte: Es handelte sich um „richtige“ Deckel - eben solche, auf denen Stammgäste anschreiben ließen. „Die waren alle nass und unlesbar hinterher.“ Wie viel Geld ihm deswegen durch die Lappen ging, will der Wirt nicht sagen. „Glaub mir, es war nicht gerade wenig“, betont Horst, der gerne geduzt werden will, heute 63 Jahre alt ist und mit Nachnamen Leichenich heißt.

„Der dicke Horst“ und sein „Roxy“ sind ein Stück Kölner Kulturgeschichte. Anfang des Jahres verabschiedete sich der Wirt aus seinem Kult-Lokal am Rudolfplatz, das von 1974 bis 1983 an der Maastrichter Straße 20 existierte. Heute Abend wird Horst die bekannte Leuchtreklame mit dem „Roxy“-Schriftzug dem Kölnischen Stadtmuseum übergeben. Dabei wird er mit Museumsdirektor Dr. Mario Kramp sowie den Initiatoren Dr. Michael Euler-Schmidt und Heinz Zolper nicht alleine sein. Zahlreiche Stammgäste aus der „guten, alten Zeit“ haben sich angekündigt: Wolfgang Niedecken etwa, der im Roxy verkehrte, als BAP noch in den Kinderschuhen steckte, aber allen voran Jürgen Zeltinger und Arno Steffen. Die beiden gehörten praktisch zum Inventar des „Roxy“, wie viele Künstler, die in der aufstrebenden Kunst-Stadt Köln am Beginn ihrer Karrieren standen.

Horst Leichenich hängt Anfang der 70er so häufig in Kneipen rum, dass er eines Tages auf die Idee kommt, es sei lukrativer, in einem eigenen Lokal Kölsch zu trinken. Der junge Wirt legt größten Wert auf eine moderne Musik-Box, in die es die damals üblichen Verdächtigen in Deutschland nicht schaffen. Stattdessen gibt es Velvet Underground, David Bowie oder Roxy Music zu hören. Dazu dreht sich langsam eine silberne Disco-Kugel unter der Decke, in der Ecke steht eine Blechpalme, eine Skulptur der Künstlergruppe „Jet Ferro“.

Das „Roxy“ unterscheidet sich deutlich von den gutbürgerlichen Gaststätten der Stadt und trifft vor allem das Lebensgefühl der jungen Kreativen: Theo Lambertin richtet zeitweise sein Atelier im Bierkeller des „Roxy“ ein, oben an der Theke kippen Künstler-Kollegen wie Sigmar Polke oder Michael Buthe ihr Kölsch. Wenn Stammgäste ihre Zeche mal nicht zahlen können, wird dem Wirt zuweilen angeboten, ein Bild für ihn zu malen. „Das war damals durchaus ein Risiko“, blickt Horst zurück und grinst. „Ist ja nicht jeder von denen ganz groß rausgekommen . . .“ Horst erinnert etwa an den verstorbenen Manni Löhe, den „vielleicht ersten Performance-Künstler“ in Deutschland. „Ein ganz exzessiver Typ. Der konnte sich auf die Theke stellen und das ganze Lokal unterhalten.“ Viele andere Künstler hätten von ihm im Nachhinein profitiert - so wie praktisch jeder im „Roxy“ durch den Thekennachbarn seinen Horizont erweitern konnte: „Die Musiker kamen zur Kunst und umgekehrt.“

Für Arno Steffen markiert das „Roxy“ einen Wendepunkt: „Man kam durch die ganzen Verrückten in eine neue Lebenssituation. Und das hat mich persönlich aus den Angeln gehoben. Ich war danach kein Versicherungskaufmann mehr, nach zwei Jahren „Roxy“, erzählt der Musiker neben anderen Stammgästen wie Bildhauer Ulrich Rückriem oder Schlagzeuger Jaki Liebezeit in einem Film von Michael Nopens, der heute im Stadtmuseum gezeigt wird.

Immer mehr avanciert das „Roxy“ zum Kulminationspunkt der umtriebigen Künstler- und Musikszene, vor allem Ende der 70er und in den 80er Jahren, als Köln als Weltmetropole der Kunst gilt. „Interdisziplinäres Netzwerk würde man heute dazu sagen“, meint Michael Nopens, der selbst im Roxy arbeitete, und zählt auf: Tina Turner, Trude Herr, Jürgen Klauke, Helmut Fest, Dunja Rajter, Rainer Werner Fassbinder, Alfred Biolek oder Dirk Bach, der als Jugendlicher immer früh nach Hause musste, weil er am nächsten Tag Schule hatte.

Weihnachten 1978 wird im „Roxy“ der Kölsch-Rock geboren: Künstler Theo Lambertin kehrt von einer Martinique-Reise zurück und wünscht sich eine Südsee-Party. Stockfisch mit Bananen wird es geben und eine Band, nur für diesen Abend: die „Dämmerlois“. Neben Lambertin und Steffen singt Zeltinger dabei einen Hit der „Ramones“ mit kölschem Text: „Müngersdorfer Stadion“. Die Zugabe an Weiberfastnacht 1979 ist unvergessen: Conny Planks Live-Mitschnitt der Zeltinger-Band.

„Der Bassist stand auf dem Damen-Klo, der Gitarrist auf der Herrentoilette, und ich stand neben der Theke. Ich war praktisch während des Saufens am Singen“, erinnert sich Zeltinger in der Rundschau.

Conny Plank sitzt mit seinem Mischpult unten im Keller. „Links Bierfässer, rechts ein Käfig - dahinter ein kläffender und sabbernder Rottweiler“, sagt Zeltinger. „Und der Conny mittendrin.“ Arko heißt der Hund des Wirtes, vor dem Zeltinger einen Riesenrespekt hat. Stammgäste meinen heute, Arko sei damals die Ausnahme gewesen: Mit Zeltinger, dem „Asi mit Niwoh“, legte man sich besser nicht an.

Als für immer „et Leech usjing em Roxy“, dem gleichnamigen Kino am Chlodwigplatz, retten Horst und Michael die Leuchtreklame aus den frühen 60er Jahren. „Wir haben Handwerkern zwei Kisten Sester-Kölsch versprochen, die das Teil dann zu unserem ,Roxy transportierten“, erzählt Michael Nopens. Schon vor der heutigen Übergabe steht fest, dass das „Roxy“ Geschichte ist, auch wenn das Lokal unter gleichem Namen weiter existiert. „So etwas gibt es heute nicht mehr. Bei mir waren Maler, Musiker, Politiker und der Rest der Welt“, sagt Horst. Dass sich mittlerweile auch Geschichten um das „Roxy“ ranken, die sich nicht so zugetragen haben, sei der Gang der Dinge: „Die Märchen, die wachsen natürlich mit der Zeit.“

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