Betrügen erlaubtWenn die Abschlussarbeit vom Ghostwriter stammt

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Ghostwrister Grafik

„Ich versichere hiermit, dass die schriftliche Arbeit mit dem Titel ... von mir selbst und ohne jede unerlaubte Hilfe angefertigt wurde“ [...] So oder ähnlich lautet die Erklärung, die an den Anfang stellen muss, wer eine akademische Arbeit vorlegt

Universitäten ist es kaum möglich, erkauften Fremdleistungen auf die Schliche zu kommen. Marius ist einer derjenigen, die anderen Studierenden aktiv beim Betrügen helfen.

Marius ist 31, kommt aus NRW und hilft Studierenden beim Betrügen. Anders kann man es nicht nennen. Der Ghostwriter, der eigentlich anders heißt, schreibt seit über einem Jahr anonym Hausarbeiten für Studierende in ganz Deutschland. Dabei hat er sein eigenes Studium selbst nicht einmal abgeschlossen. Als Betrüger sieht er sich nicht, vielmehr als Unterstützer in der Not. Und die haben scheinbar viele Studierende.

Wer online nach einem Ghostwriter für seine Haus-, Abschluss- oder sogar Doktorarbeit an einer Hochschule sucht, wird in umfassendem Maße fündig. Zahlreiche Anbieter lassen sich per Anruf, Mail und zum Teil sogar Whatsapp kontaktieren.

Hohe Qualität und Diskretion versprechen sie alle, werben mit Testberichten und Kundenbewertungen, einige sogar mit einer Noten- oder Geld-zurück-Garantie. Die Preise variieren stark je nach Umfang, Leistung, Lieferzeit, geforderter Qualität und Dienstleister und liegen grob zwischen 35 und 100 Euro pro Seite. Dabei fällt nicht nur ins Gewicht, ob es sich um eine Haus- oder Doktorarbeit handelt, sondern auch, ob es etwa eine Plagiatsprüfung, Korrekturschleifen oder andere Zusatz-Services gibt.

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In Deutschland erlaubt

Marius selbst schreibt vor allem Haus- oder kleinere Projektarbeiten mit sechs bis 20 Seiten. Moralische Bedenken hat er kaum: „Ich sehe es nicht als Betrug von meiner Seite aus. Am Ende obliegt es den Kunden, was sie mit der fertigen Vorlage machen.“

Die Hochschulen haben dagegen kaum eine Handhabe. Die „Hausarbeitsvorlagen“, wie sie in der offiziellen Kommunikation mit den Kunden genannt werden, verstoßen gegen keinerlei Regularien, da Ghostwriting in Deutschland erlaubt und in vielen Bereichen sogar gang und gäbe ist. Zudem sind die erstellten Arbeiten (zumindest offiziell) nur „Schreibhilfen“. Nur wer sie als Eigenleistung ausgibt, begeht eine unerlaubte Handlung.

Die Konsequenzen scheinen überschaubar, glaubt man Professor Marco Winzker, dem Vizepräsidenten der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Fliegt die Fremdleistung auf, wird die Arbeit lediglich als nicht bestanden gewertet, weitere Versuche sind möglich, sofern die maximale Anzahl noch nicht erreicht wurde. Die Fallzahlen seien gering, Ghostwriting zudem durch die inhaltliche Betreuung erschwert, so Winzker: „In den meisten Studiengängen folgt auf die Abschlussarbeit ein Kolloquium, bei dem die Studierenden ihre Abschlussarbeit persönlich präsentieren und erläutern.“

Die Universität Bonn zieht einen Ausschluss aus dem Studium zumindest in Betracht: „Das Inanspruchnehmen von Ghostwritern für Haus- oder Abschlussarbeiten wird als Täuschungsversuch gewertet“, erklärt Nils Sönksen, stellvertretender Pressesprecher der Hochschule. „Je nach Schwere des Falls kann das zum Nicht-Bestehen der Prüfung bis hin zur Exmatrikulation führen.“?Mit Blick auf die letzten Jahre seien jedoch keine Fälle bekannt.

Ob es tatsächlich keine Fälle gab oder diese nur nicht aufgedeckt wurden, bleibt unklar. Marius jedenfalls kann sich nicht über mangelnde Aufträge beschweren.

Stark ausgelastet

Gerade vor und in den Prüfungsphasen ist er stark ausgelastet. Aus eigener Hand sei er für sechs bis acht Hausarbeiten pro Monat verantwortlich. Das Thema ist ihm dabei nicht so wichtig: „Wenn mich etwas interessiert, kann ich mich auch einarbeiten.“ So habe er zuletzt etwa Arbeiten über Erwachsenenbildung und über Greenwashing verfasst. Auch an eine Arbeit über den politischen Wandel in Ungarn erinnert er sich. Die meisten Themen vergisst er aber schnell: „Wenn es einmal raus ist, habe ich das für mich abgehakt.“

Marius selbst hat sein Studium kurz vor dem Abschluss abgebrochen, was jedoch nicht an den anfallenden Hausarbeiten lag, wie er betont. Das Schreiben ging ihm schon damals leicht von der Hand. Selbst hätte er sich nicht vorstellen können, einen Ghostwriter zu beauftragen, die Beweggründe könne er jedoch nachvollziehen.

Viele seien im Stress, hätten keine Zeit, weil sie Geld verdienen müssten, oder stünden vor dem letzten Prüfungsversuch. Oft sei die Abgabe in der nächsten oder übernächsten Woche bereits fällig. Nicht immer einfach, findet Marius: „Der Druck, den die Studierenden haben, wird im Grunde nur weitergegeben an uns.“

Die Recherche für seine Abgaben erfolgt meist online. In der Uni-Bibliothek war er seit dem Start seiner Ghostwriting-Tätigkeit vor knapp einem Jahr noch nicht. Geht es gar nicht weiter, fragt er über die Agentur bei seinem Auftraggeber nach Quellen und zentralen Fachtexten. Ansonsten besteht zwischen den beiden Parteien kein Kontakt.

Ein Problem damit, dass andere das Lob für seine Leistungen erhalten, hat Marius nicht. Den Job habe er sich auch deshalb ausgesucht, weil er im Hintergrund bleiben kann. Etwas mehr von sich preisgeben muss er nur beim Online-Coaching, das die Agentur ebenfalls anbietet. Doch auch da bleibt die Kamera ausgeschaltet. Sein Arbeitgeber stellt es ihm frei. „Sonst wäre es ja auch kein Ghostwriting, da fehlt ja der Ghost“, sagt Marius und lacht.

Abseits der Agentur bietet er seine Dienstleistung auch ohne Vermittler an. „Dann kann ich andere Seitenpreise verlangen“, erklärt Marius. Während er in seiner Agentur (bei Preisen ab 50 Euro pro Seite) als Autor selbst nur ein Honorar von 20 Euro je Seite erhält, könne er als „Einzelkämpfer“ etwa 35 bis 45 Euro einfordern. Ohne Agentur im Rücken müsse er sich jedoch auf reine Mund-zu-Mund-Propaganda verlassen. Etwa eine Hausarbeit pro Monat werde so in Auftrag gegeben.


Für die Bachelorarbeit wären 2415 Euro fällig

Online frage ich nach einer Bachelorarbeit. Nach einer knappen Stunde kommt die Antwort (sie beginnt flapsig mit „Moin!“). Ich werde nach konkreten Aufgabenstellungen und Formatvorgaben gefragt, ein geeigneter Autor werde dann ausgewählt. „Preislich werden wir wahrscheinlich bei 69 Euro netto pro Seite landen“, heißt es Für 35 Seiten wären das 2415 Euro. Vollkommen legal, versichert mir die Ghostwriting-Agentur: „Wir erstellen eine Vorlage, die du allerdings nicht 1 zu 1 einreichen darfst.“ Die Vorlage müsste ich in meine Arbeit „einbauen“, wobei „wir dich gerne unterstützen“, versichert die Agentur. (dij)

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