BMW, Haribo, Tesla, NorthvoltDarum ist der Kreis Euskirchen immer nur zweiter Sieger

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Die Stromversorgung hat diesmal den Ausschlag gegeben.

  • Schließen sich Grüner Strom und Braunkohlerevier aus?
  • Landrat und Bürgermeister spielen die Karte Flut, doch die zieht nicht.
  • Opposition sieht die Schuld beim Land.

Kreis Euskirchen – „Dabei sein ist alles“ zählt bei der Prime Site Rhine Region nicht. Geht es um die 205 Hektar große Gewerbefläche, die sich auf den Gebieten der Stadt Euskirchen und der Gemeinde Weilerswist befindet, zählt nur der Sieg. Und auf den warten der Kreis Euskirchen und das Land NRW, das die Fläche vermarktet, schon seit mehr als 20 Jahren. Immer wieder ging dem Land auf der Zielgeraden die Luft aus. BMW zog 2001 nach Leipzig, Haribo 2013 in die Grafschaft (Rheinland-Pfalz),  der US-Elektroauto-Hersteller Tesla entschied sich 2019 gegen Euskirchen/Weilerswist und für Brandenburg.

Nun zieht es das schwedische Unternehmen Northvolt lieber nach Heide (Schleswig-Holstein) als in den Kreis Euskirchen.  Northvolt plant den Bau einer sogenannten Gigafactory – und eine Recycling-Anlage für alte Batterien. Das Unternehmen rechnet mit 3000 Arbeitsplätzen. In der Fabrik sollen jedes Jahr Batterien mit einer Kapazität von 60 Gigawattstunden gebaut werden, genug für etwa eine Million E-Autos. Der Produktionsstart ist für 2025 geplant.

Energiefrage entscheidend

„Eine Ansiedlung von Northvolt wäre für die gesamte Region ein enormer Gewinn gewesen“, heißt es aus dem Kreishaus. Der Vorstand der LEP AöR sowie die Stadt Euskirchen, die Gemeinde Weilerswist und der Kreis Euskirchen hätten viel Arbeit in die Verwirklichung dieses Projektes gesteckt. Der Euskirchener Bürgermeister Sacha Reichelt, Landrat Markus Ramers und Alexander Eskes, Erster Beigeordneter der Gemeinde Weilerswist, haben nach Angaben des Kreises selbst an einem Treffen von Wirtschaftsministerium, NRW Global Business und der Konzernspitze von Northvolt teilgenommen.

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Nachhaltiger Strom hat wohl den Ausschlag gegeben.

Ausschlaggebend für die Entscheidung gegen die Prime Site sei die Energiefrage gewesen.  Der Energieversorger e-regio hatte laut Kreisverwaltung  mit überregionalen Partnern „ein schlüssiges und nachhaltiges Energiekonzept erarbeitet, um den Bedarf zu decken. Der Strom wäre zu 100 Prozent aus lokalen und regionalen regenerativen Quellen gekommen. Auch die Übertragungskapazitäten waren gesichert.“ 

Reichtum an sauberer Energie

Den Northvolt-Zuschlag erhielt Heide auch wegen des „Reichtums an sauberer Energie“,  erklärt das Unternehmen  in einer Pressemitteilung. Es nennt die Region in Schleswig-Holstein „clean energy valley“. Erklärtes Ziel sei es, Batterien für E-Autos mit „dem geringsten ökologischen Fußabdruck in Kontinentaleuropa“ herzustellen. Der Standort Heide sei der „Schlüssel zur Verwirklichung dieses Ziels“, so der Chef und Mitbegründer von Northvolt, Peter Carlsson: „Die Region beherbergt das sauberste Energienetz Deutschlands, das sich durch einen Überschuss an Strom aus On- und Offshore-Windkraft auszeichnet.“

Thomas Keßeler ist Experte für Erneuerbare Energien und Landtagskandidat der Grünen. „Aus meiner beruflichen Praxis weiß ich, dass Industrieunternehmen  sehr stark erneuerbare Energien nachfragen“, sagt er. Es sei ein industriepolitischer Fakt, dass die nicht ausreichende Verfügbarkeit von grünem Strom immer häufiger dazu führe, dass sich Industriebetriebe für eine Ansiedlung außerhalb von NRW entscheiden. „Im Falle der Prime Site ergibt sich ein deutliches Vermarktungshemmnis. Dieser Zusammenhang wird von der schwarz-gelben Landesregierung leider bewusst ignoriert“, so Keßeler.

100 Windräder notwendig

Eine Batterieproduktion von 60 Gigawatt (GW), wie die von Northvolt geplante, weist laut dem Experten nach heutigen Produktionsstandards einen Energiebedarf von geschätzt 300 bis 500 Gigawatt Strom jährlich aus. „Zur Erzeugung von 500 GW Strom benötigt man sehr grob gesagt etwa 100 Windräder oder  500 Hektar Solaranlagen“, rechnet Keßeler vor: „Auf dem Gelände der Prime Site ließen sich geschätzt etwa 20 bis 40 Prozent des benötigten Stroms direkt auf den Dächern durch Photovoltaik erzeugen.“

Aufbruchstimmung

Ein weiterer Grund für Heide und gegen die Prime Site war laut Kreis die Nähe von Schleswig-Holstein zum schwedischen Mutterkonzern. Sonstige Eigenschaften der Prime Site, beispielsweise Infrastruktur, Logistik oder Fachkräfteverfügbarkeit seien vom Unternehmen als sehr gut bezeichnet worden.

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Seit mehr als 20 Jahren soll die Gewerbefläche vermarktet werden.

Mit der Tatsache, dass die Prime Site im weiteren Umfeld der Flut-Katastrophe liege, seien Kreis, Stadt und Gemeinde offensiv umgegangen, heißt es in einer Mitteilung des Kreises. Das Unternehmen habe sich vor Ort ein Bild vom zügigen Wiederaufbau gemacht. Die Aufbruchstimmung in der gesamten Region sei ebenso positiv wahrgenommen worden wie die Tatsache, dass die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Region enorm an Bedeutung gewonnen haben.

„Es hilft uns nicht weiter, immer nur zweiter Sieger zu sein“, kommentiert Landrat Markus Ramers: „Die Ansiedlung, verbunden mit mehreren Tausend Arbeitsplätzen, wäre ein wichtiges Zeichen für die gesamte Region gewesen. Dass es nun erneut an Faktoren scheitert, auf die wir vor Ort kaum Einfluss haben, ärgert umso mehr.“

Man muss sich hinterfragen

Frederik Schorn, Landtagskandidat der FDP, sagt: „Wenn eine Fußballmannschaft eine Niederlage nach der anderen kassiert, muss sie etwas ändern, oder sie steigt ab. Gleichzeitig ist Wirtschaftsförderung ein Geduldsspiel.“ Man müsse sich  hinterfragen, welche Art von Gewerbe man ansiedeln wolle.

 Bei der Prime Site könne man zwei Wege beschreiten: So könne man  man weiter auf den einen großen Fisch warten, der die ganze Fläche nehme und zum großen Wurf für die Region werde.  „Die zweite Möglichkeit ist die Parzellierung und die Einsicht, dass wir das kostbare Gut Fläche im Zweifel auch mit flächenintensiven Gewerben wie etwa Logistikern belegen, die wiederum nur wenig Steuerertrag und weniger Arbeitsplätze bieten“, so Schorn: „Beides hat Vor- und Nachteile. Wir müssen unseren Weg finden.“

Förderung vom Bund

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte Fördermittel für die Batteriefertigung in Heide an. Die Mittel würden im Rahmen des Programms „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) zur Verfügung gestellt, so Habeck: „Northvolts Produktion wird konkret dazu beitragen, die Lieferketten für Elektromobilität in Deutschland und Europa zu stärken.“

 Für den Standort in Schleswig-Holstein wünscht sich Northvolt nach eigenen Angaben einen Gleisanschluss – auch wenn die Fabrik auf einem Grundstück an der A 23 entstehen soll.

Prime Site könnte punkten

Damit kann auch die Prime Site punkten. Die A 61 ist nur wenige Kilometer entfernt und der Gleisanschluss dürfte leicht zu realisieren sein, da auch Procter & Gamble über einen solchen Abzweig von der Bahnlinie Trier-Köln verfügt.

 In die Verhandlungen mit dem Investor, die Stadt und Kreis Euskirchen geführt haben, sei er nicht eingebunden gewesen, sagt Klaus Voussem, Landtagsabgeordneter der CDU.  „Generell haben wir mit der Prime Site einen sehr guten Standort mit besonderer Lage. Es ärgert mich daher natürlich, dass sich die Bundesregierung in Brandenburg für Tesla feiert, während wir erneut nur Zweiter geworden sind“, so der Euskirchener.

Northvolt arbeitet eng mit Europas größtem Autohersteller Volkswagen zusammen.  Gründer Carlsson war zuvor als Chef des Einkaufs beim E-Auto-Hersteller Tesla. Der Zuschlag des schwedischen Unternehmens wäre wohl so etwas wie ein Sechser im Lotto gewesen.

Hausaufgaben nicht gemacht

Entsprechend enttäuscht ist SPD-Landtagskandidat Thilo Waasem: „Zukunftsindustrien wollen erneuerbare Energien. Da hat die Landesregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht.“

Keßeler stößt ins gleiche Horn: „NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart wurde in der Vergangenheit nicht müde zu propagieren, dass der Industriestandort NRW Braunkohlestrom brauche, weil sonst das Licht ausginge.“ Dies sei nicht gerade förderlich, wenn man sich eine Gigafabrik angeln wolle. Nach Informationen dieser Zeitung könnte die Braunkohle tatsächlich eine negative Rolle gespielt haben – allein schon aus Imagegründen für Northvolt. Ein solches Unternehmen im Braunkohlerevier. Das passe eher nicht, heißt es.

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Das Land sieht sich trotz der neuerlichen Niederlage auf dem richtigen Weg.  „Intensität und Tiefe der Verhandlungen sowie die positiven Rückmeldungen haben gezeigt, dass die Fläche international wettbewerbsfähig ist“, heißt es aus dem NRW-Wirtschaftsministerium: „Positiv hervorgehoben wurden  die Baureife, die Verfügbarkeit von Fachkräften sowie die Nähe zu Forschungseinrichtungen und Universitäten.“ Vor diesem Hintergrund schätze das Ministerium  die Chancen für eine künftige Ansiedlung als sehr gut ein. 

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