EnergiekriseExperten machen sich für Windkraft im Kreis Euskirchen stark

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Vielen Menschen graut es vor den Strom- und Gasrechnungen im Winter. Die Energiepreise steigen und steigen. In Weilerswist diskutierten Experten nun über mögliche Wege aus der Krise.

Vielen Menschen graut es vor den Strom- und Gasrechnungen im Winter. Die Energiepreise steigen und steigen. In Weilerswist diskutierten Experten nun über mögliche Wege aus der Krise.

Kreis Euskirchen – Die Energiekrise ist allgegenwärtig. Steigende Preise für Gas, Strom und Benzin belasten sowohl Unternehmen als auch Bürger. Ein Ende der Spirale aus Ressourcen-Knappheit und steigenden Preisen ist nicht absehbar – und der Winter steht erst bevor. Die Gemeinde Weilerswist hatte nun unter der Federführung von Wirtschaftsförderer Henning Hand zu einer Informationsveranstaltung mit dem Titel „Energiekrise. Status quo und Lösungsansätze“ eingeladen.

Sieben Experten berichteten über die Erfahrungen. Einhellige Meinung: Der Ausbau von regenerativen Energien muss wesentlich schneller gehen. Und Häuser brauchen spezielle Anschlüsse für Notstromaggregate.

Von 45 auf 284 Euro für die Megawattstunde Strom

„Jede Wärmepumpe, jedes Windrad, jede Photovoltaikanlage sorgt für Unabhängigkeit“, sagte Christian Krebs von der Geschäftsleitung Energiebeschaffung bei der e-regio. 2020 habe man durchschnittlich für die Megawattstunde Strom 45 Euro bezahlt. Aktuell liege der Durchschnittspreis für das Jahr 2022 bei 284 Euro. Im August sei die Megawattstunde Strom sogar für 1000 Euro gehandelt worden. Auch der Gaspreis habe sich verzehnfacht.

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Der Trend, dass der Gaspreis aktuell falle, habe mit den gut gefüllten Gasspeichern und der noch recht warmen Witterung zu tun. Die Gasspeicher seien zu 93 Prozent voll. Die von der Bundesregierung angestrebten 95 Prozent bis zum 1. November seien „sehr gut machbar“, wenn es nicht plötzlich sehr kalt werde. „Das viel ambitioniertere Ziel sind die angestrebten 40 Prozent zum 1. Februar“, so Krebs, der Unternehmen nochmals auffordert, konkrete Notfallpläne zu erarbeiten, sollte die Gasmangellage eintreffen. Wenn die Versorgung eingestellt werden müsse, sollten beispielsweise Überstunden und Urlaubstage abgebaut werden, sagte Krebs.

Energieunternehmen will klimapositiv werden

Die e-regio wolle die erneubaren Energien „massiv ausbauen“. Bis 2035 will das Unternehmen, das gerade einen Windpark bei Reetz eröffnet hat, zu 100 Prozent auf Ökostrom setzen, um autark gegenüber Börsenschwankungen und Lieferengpässen zu sein. Bis 2040 wolle man klimaneutral sein. Fünf Jahre später soll die Region sogar klimapositiv sein – also mehr

CO2 kompensieren, als zu verursachen. „Wenn nicht unsere Region das schafft, dann wird es für Ballungszentren schwer, überhaupt ihren Energiebedarf zu decken“, so Krebs.

Heute noch nicht geplant, 2030 noch nicht gebaut

„50 Prozent der Unternehmen fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland“, berichtete Raphael Jonas, Geschäftsführer Innovation, Umwelt und Standort der IHK Aachen, der innerhalb seines Vortrags auch über das Ziel eines klimaneutralen Gewerbegebiets berichtete.

Klimaneutrales Gewerbegebiet

90 Prozent des Strombedarf aus erneuerbarer Energie

Im Gewerbegebiet Baesweiler bei Aachen könnten bis zu 90 Prozent des Strombedarfs durch erneuerbare Energien aus Windrädern und Photovoltaik-Anlagen abgedeckt werden – obwohl dort hauptsächlich stromintensive Unternehmen ansässig sind. Das ist das Ergebnis einer von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Aachen initiierten Workshop-Reihe, in der sie mit Vertretern der Unternehmen, der Stadt Baesweiler und der Internationalen Technologie- und Service-Center Baesweiler GmbH (its) Lösungen erarbeitet hat, wie das Gewerbegebiet klimaneutral aufgestellt werden kann.

Pilotprojekt

„Um die politisch vorgegebenen Klimaschutzziele zu erreichen, müssen Unternehmen ihre Stromversorgung neu ausrichten“, sagte Raphael Jonas, Geschäftsführer Innovation, Umwelt und Standort der IHK Aachen: „Klar ist, dass Gewerbegebiete nur unter der Voraussetzung klimaneutral werden, dass die dort ansässigen Unternehmen zu diesem Zweck miteinander und auch mit den jeweiligen Kommunen kooperieren.“

Notwendige Flächen im Gewerbegebiet müssten für eine gemeinsame Photovoltaik-Nutzung zusammengetragen, Investitionen in einem Verbund aus Unternehmen und Kommunen gestemmt werden. Auch an dieser Stelle hat das Pilotprojekt in Baesweiler Vorbildfunktion.

Bürokratische Hürden identifiziren

„Es gab zu jedem Zeitpunkt einen sehr konstruktiven Austausch mit der Verwaltung. Dadurch lassen sich bürokratische Hürden identifizieren, bevor sie zum Bremsklotz für eine Umsetzung werden“, sagte IHK-Geschäftsführer Jonas. 

Es sei jetzt die Zeit, mit vereinten Kräften auf allen Ebenen die Standortbedingungen zur Energiegewinnung zu verbessern und die Voraussetzungen für die Errichtung und Verteilung erneuerbarer Energien in den bestehenden Gewerbegebieten zu implementieren.

Alle Gewerbegebiete unter der Lupe

 Ziel der IHK sei es, nach und nach alle Gewerbegebiete in ihrem Bezirk – Städteregion Aachen und Kreise Düren, Euskirchen und Heinsberg – auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität zu begleiten. Das sind nach Angaben von Jonas mehr als 200. (tom)

Die IHK Aachen spricht sich unter anderem dafür aus, alle verfügbaren Kohle- und Ölkraftwerke in den Markt zurückzuholen. Die Strom- und Energiesteuer solle zudem auf das europäische Mindestmaß gesenkt werden.

„Der Ausbauplan für erneuerbare Energien ist ambitioniert. Der Weg ist aber alternativlos. Wir müssen allerdings viel schneller werden beim Ausbau. Was heute noch nicht geplant ist, werden wir vor 2030 nicht sehen “, so Jonas.

Jedes Gebäude soll von außen einspeisbar sein

„Der Lösungsansatz für einen Blackout könnte sein, dass man jeden Betrieb von außen einspeisbar macht“, sagte Michael Meierhof, Geschäftsführer „Pinguin Rettungstechnik“ und Notstrom-Experte. Einspeisbar? Mithilfe eines Netztrennschalters sei es denkbar, dass mit einfachen Mittel jeder Betrieb über ein Notstromaggregat versorgt werden könne, so Meierhof.

Der Metternicher war im Landtag zu Gast und unterbreitete eine mögliche Erweiterung der NRW-Baugesetzgebung: „Jedes neue Gebäude, das mit Strom betrieben wird, muss künftig einspeisbar sein. Ein entsprechender Schalter kostet 150 Euro.“

Wasserstoff in vorhandenen Gasleitung speichern

„Es ist traurig, wie langsam Deutschland beim Ausbau von erneuerbaren Energien oder dem Wasserstoff ist“, sagte Prof. Tanja Clees vom Institut für Technik, Ressourcenschonung und Energieeffizienz an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Sie ist Expertin für Wasserstoff und macht sich dafür stark, vorhandene Gasleitungen als Speicher für Wasserstoff zu nutzen. Bis ein Anschluss des Kreises an ein großes Wasserstoffnetz erfolgen könnte, vergehen laut Clees aber noch mindestens acht Jahre.

100 klimaneutrale Unternehmen im Kreis Euskirchen

„Der Kreis Euskirchen will durch gezielte Maßnahmen bis 2030 zu einer Modellregion für einen nachhaltigen Wirtschaftsstandort werden“, sagte Maximilian Metzemacher von der Wirtschaftsförderung des Kreises Euskirchen.

Dabei sollen die ersten gesteckten Ziele bereits in vier Jahren erreicht werden. So sollen bis 2026 insgesamt 100 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und mit unterschiedlicher Größe klimaneutral sein.

Skihalle wird mit Abwärme gekühlt

„Wir schaffen das“, sagte Sebastian Pönsgen, Geschäftsführer des Zülpicher Unternehmens Priogo. Gemeint ist, die Skihalle in Neuss im kommenden Jahr klimaneutral zu gestalten. Die Kälteanlage produziere etwa 500 Kilowatt Abwärmeleitung pro Stunde. Die Abwärme werde in den Löschwasserbunker gepumpt, um die Energie dann per Wärmepumpe nutzbar zu machen.

Mithilfe solcher Mittel oder auch Photovoltaikanlagen hätten kleine und mittelständische Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil. Der Preis für Strom werde nicht wieder auf das Niveau von vor der Krise fallen, sagte Pönsgen. Deshalb sei es sinnvoll, nun in diesen Bereich zu investieren.

„Die meisten Unternehmen beschäftigen sich immer noch nicht mit der Energiewende“, so der Experte: „Wir brauchen einen Ausbildungsmarkt für erneuerbaren Energien in der Region.“

Die Krise lässt sich auch als Chance verstehen

„Jede Krise ist auch eine Chance. In dem Fall für erneuerbare Energien“, sagte Peter Gier, Abteilungsleiter „Energie“ bei der Aachener Gesellschaft für Innovation- und Technologietransfer: „Die Akteure müssen zusammenspielen. Politik und Unternehmen.“ 

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Gerade im Bereich der Abwärme bestehe noch großes Potenzial für die Unternehmen.

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