Florian Hassel war als Ukraine- und Balkan-Korrespondent ein paar Dutzend Mal im Land, seine Reportagen fesseln und verstören gleichermaßen.
KorrespondentWie der Gummersbacher Journalist Florian Hassel vom Ukraine-Krieg berichtet

Der Gummersbacher Florian Hassel im September 2024 bei einem Interview bei der 100. Brigade der ukrainischen Armee in der Ostukraine.
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Seit fast 30 Jahren berichtet er für verschiedene Medien aus aller Welt, und nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs fast nur noch aus der Ukraine: Der preisgekrönte Gummersbacher Journalist Florian Hassel war als Ukraine- und Balkan-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ seit Februar 2022 ein paar Dutzend Mal im Land, seine Reportagen fesseln und verstören gleichermaßen. Wie er einst Wladimir Putin kennenlernte „als jemanden, dem man kein Wort glauben kann“, wie er mit Angst und Tod als ständigen Begleitern umgeht und warum ihm beim SPD-Manifest die Galle hochkommt, verrät Hassel im Gespräch mit unserer Zeitung.
Einige der berührendsten Momente in diesem Krieg erlebte der 61-Jährige vor Kurzem bei einem Besuch in Pawlohrad (Oblast Dnipropetrowsk). Dort versammeln sich jeden Morgen die Soldatenmütter auf einer zentralen Straßenkreuzung, um mit Bildern ihrer gefallenen Söhne zu gedenken. „Da sind mir die Tränen in die Augen getreten“, erzählt Hassel, selbst Vater einer erwachsenen Tochter. Ebenfalls in Pawlograd habe er eine ausgebrannte Wohnung betreten, in der nach einem russischen Drohnenangriff ein Mann und seine Tochter verbrannt waren. „Da lagen noch die angekokelten Seiten eines Schulheftes des Mädchens“, sagt er und muss schlucken.
Kriegsberichterstattung: Ein Job zwischen Tod und Grauen
Auch nach Jahrzehnten im Job und bei aller Routine: Sich an Grauen und Tod gewöhnen, das kann Hassel nicht. „Ich versuche, das nicht zu nah an mich heranzulassen, aber diese Bilder kommen immer wieder hoch. Man wird nicht gerade fröhlicher“, gibt er zu. Sport und Gespräche mit Familie und Freunden helfen, das Erlebte zu verarbeiten. „Es ist sicher auch eine Typfrage“, ergänzt der gebürtige Bergneustädter.
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Der kluge Kriegskorrespondent hält sich in der Regel fern von der Front, lautet eine Maxime Hassels – manchmal muss er aber dann doch ganz nah ran. Nahe Robotyne (Oblast Saporischschja) sah der Oberberger zerschossenes Kriegsgerät und die gefrorenen Leichen russischer Soldaten. Ein ukrainischer Kommandeur beklagte sich – als Hassel sein Aufnahmegerät ausgeschaltet hatte – bitter über seine unterbesetzte Einheit, fehlende Munition sowie Korruption in Armee und Regierung. „Das Adrenalin geht in diesen paar Stunden an der Front so hoch, dass man keine Angst hat. Aber die Nacht davor habe ich nicht geschlafen“, berichtet der Journalist.
Die Gefahr ist bei der Pressearbeit im Kriegsgebiet immer präsent
Trotz aller Vorsicht und bestmöglicher Vorbereitung ist die Gefahr immer präsent – zumal Russland auch westliche Journalisten als Feinde betrachte und gezielt bombardieren lasse. „Wir steigen daher nie in Hotels ab“, sagt Hassel. Im Ukraine-Krieg sind bislang mehr als ein Dutzend Journalisten getötet worden, viele weitere wurden verletzt. Einige Male, so der Gummersbacher, habe er einfach „auch Schwein gehabt“. Anders als die mittlerweile wohl knapp 150.000 ukrainischen und mehr als eine Million russischen Opfer.
Wobei der 61-Jährige betont, „kein Kriegsreporter“ zu sein. „Das ist mir so zugeschneit. Ich bin als Korrespondent für die Ukraine und eigentlich auch für den Balkan zuständig, dazu komme ich wegen der Ukraine aber faktisch nicht“, erklärt Hassel, der in der serbischen Hauptstadt Belgrad lebt. „Wer das Gebiet hat, muss dahin, wo die Geschichte ist.“
Die ersten Geschichten, die der „waschechte Gummersbacher“ in den 1980er-Jahren aufschrieb, handelten von Schützenfesten oder Kaninchenzucht und landeten im „Oberbergischen Anzeiger“. Nach dem Geschichtsstudium in Köln arbeitete Hassel unter anderem für „Zeit“ und „Stern“. „Ein befreundeter Kollege sagte mir: Wenn du Korrespondent werden willst, musst du dahin, wo es unbequem ist. Dann habe ich Russisch gelernt und bin 1996 als freier Journalist nach Moskau gegangen“, sagt Hassel.
In Tschetschenien erlernte Florian Hassel Journalismus im Kriegsgebiet
Als solcher begegnete er Anfang 2000 auf einer Luftwaffenbasis im zweiten Tschetschenien-Krieg einem ehemaligen KGB-Agenten namens Wladimir Putin, den Regierungschef Boris Jelzin gerade zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. „Wir hatten beobachtet, wie die Russen tschetschenische Bergdörfer bombardierten. Putin nannte die zivilen Opfer Terroristen. Er log, sobald er den Mund aufmachte“, erinnert sich Hassel, der den Kreml-Chef als einen „in der Wolle gefärbten Imperialisten“ bezeichnet.
Er log, sobald er den Mund aufmachte.
In Tschetschenien lernte Hassel auch, wie Journalismus in Kriegsgebieten funktioniert. Die (Überlebens-)Wichtigste Lektion: einen aufgeweckten „Fixer“ zu finden, einen Helfer mit Ortskenntnissen, Insiderinformationen und Kontakten, der die Recherche erleichtert und absichert. Hassel vertraut regelmäßig auf solche „Fixer“, ob nach dem 11. September 2001 in Afghanistan oder nun eben in der Ukraine.
Kollegen treffe er dagegen kaum. „Ich versuche, organisierte Pressetouren zu vermeiden“, sagt er. Da bekomme man meist nur Propaganda zu hören, das sei nicht der Anspruch seines Arbeitgebers. „Manchmal geht es nicht anders, aber in der Ukraine kann man sich auch auf eigene Faust mit dem Auto oder dem Zug weitgehend frei bewegen.“
Wie sich der Krieg entwickeln wird, wie lange er andauert – da wagt auch Experte Hassel keine Prognose. An einem Waffenstillstand sei Russland erkennbar nicht interessiert, daher hält der Journalist die Appelle für mehr Diplomatie statt Waffen – wie jüngst das umstrittene Manifest der SPD – für „bodenlos naiv. Da kommt mir die Galle hoch. Mit Putin reden zu wollen ist völliger Humbug und meilenweit von der Realität entfernt. Auch Angela Merkel war da auf dem falschen Dampfer unterwegs.“
Gar eine „historische Fehlleistung“ Deutschlands sieht Hassel in der massiven Abrüstung nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Zustand der Bundeswehr: „Ich halte es zwar für Quatsch, dass Putin nach der Ukraine weitere Länder angreift, aber darauf verlassen kann man sich nicht. Deswegen gibt es aus meiner Sicht keine Alternative zur Aufrüstung und leider auch nicht zur massiven Verschuldung.“
Entscheidend für die Zukunft der Ukraine sind laut Hassel zwei Fragen: Bekommt das Land weiter Waffen von den USA und Europa? Und gelingt es, genügend Soldaten zu rekrutieren? „Putin verdient genug Geld mit Öl und Gas, er kann das noch lange weiterführen. Ich sehe aktuell nicht, was den Krieg beenden sollte. Um die Ukraine ist mir angst und bange“, lautet sein trauriges Fazit.
Und so wird Hassel, wenn er nicht „mindestens zweimal im Jahr“ in Gummersbach zu Gast ist, das Grab der Eltern besucht oder Kuchen im Café Hecker isst, wohl weiter in die Ukraine reisen. Dass er mit seiner Arbeit womöglich den Lauf des Krieges beeinflussen kann, glaubt er nicht. „Wir berichten, das ist es.“