„Keine Angst vor Industrie 4.0“IG-Metall-Chef sieht Chancen durch Digitalisierung

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An seinen ersten Commodore 64 kann sich Werner Kusel noch gut erinnern. Angst macht ihm die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht. Er mahnt aber an, dass sich die Unternehmen darüber Gedanken machen müssen.

An seinen ersten Commodore 64 kann sich Werner Kusel noch gut erinnern. Angst macht ihm die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht. Er mahnt aber an, dass sich die Unternehmen darüber Gedanken machen müssen.

  • Zum Auftakt unserer neuen Gesprächsreihe „Über Wirtschaft reden“ spricht Frank Klemmer mit dem oberbergischen IG-Metall-Chef.
  • Werner Kusel berichtet über die Digitalisierung und ihre Folgen für die Arbeitnehmer im Oberbergischen.

Oberbergischer Kreis – Im Jahr 1980 haben Sie Ihre Ausbildung als Schweißer bei Steinmüller begonnen. Gab es damals schon so etwas wie Digitalisierung?

Na ja, ich kann mich zumindest noch gut erinnern, dass ich damals meinen ersten Computer bekommen habe, einen Commodore 64. Technik war das auch, schließlich waren wir ja schon elf Jahre vorher auf dem Mond gelandet (lacht). Wenn ich heute aber sehe, was jedes Handy im Vergleich dazu zu leisten im Stande ist, dann bewegen wir uns natürlich inzwischen in völlig anderen Sphären.

Und diese neuen Sphären werden Auswirkungen auf die künftigen Arbeitsabläufe in der oberbergischen Wirtschaft haben?

Technologischer Wandel hat immer Auswirkungen. Das habe ich selbst schon in den 80er Jahren als Betriebsrat erlebt, als zum Beispiel die klassische Drehbank durch die Einführung von CNC-Technik ersetzt wurde. Dieser Automatisierungsprozess hat damals auch Ängste ausgelöst. Aber letztlich hat er nicht dazu geführt, dass der Mensch durch den Roboter ersetzt wurde. Er hat einfach die Arbeitsprozesse verändert.

Zur Person

Werner Kusel ist in Gummersbach geboren. Der heute 55-Jährige absolvierte ab 1980 eine Ausbildung als Schweißer bei der Firma Steinmüller in Gummersbach und arbeitete später in diesem Beruf dort bis zum Jahr 1991. Schon in dieser Zeit war er als Jugendvertreter Mitglied im Betriebsrat.

Im Jahr 1991 wechselte Kusel als Gewerkschaftssekretär zur Gummersbacher Geschäftsstelle der IG Metall Oberberg. 2010 wurde er dann 1. Bevollmächtigter und Geschäftsführer der IG Metall in Gummersbach. Diese ist für den gesamten Oberbergischen Kreis zuständig – allerdings mit Ausnahme der beiden Städte Radevormwald und Hückeswagen im Norden des Kreises, die nach wie vor von der Geschäftsstelle Remscheid/Solingen betreut werden. (kmm)

Das heißt, es gingen damals keine Arbeitsplätze verloren?

Ja, schon, aber durch die neuen Prozesse gab es eben auch eine höhere Produktivität, die Preise haben sich verändert, die Wirtschaft bekam andere Aufträge, die sie nur mit der neuen Technik bewältigen konnte. Heute kann man sagen: Die Umstellung auf die neue Technik hat funktioniert. Letztlich hat sie nebenbei auch zu einer Humanisierung der Arbeitswelt geführt und dazu, dass Arbeitsplätze gesichert werden konnten – genau das also, was wir Gewerkschaften damals gefordert haben.

Klappt das jetzt, im Zeitalter der Digitalisierung, auch?

Das kommt darauf an, wie wir mit der Herausforderung umgehen. Ich habe keine Angst vor Industrie 4.0. Wir müssen uns eben nur richtig darauf vorbereiten.

Deshalb beschäftigt sich gerade die IG Metall mit der Digitalisierung. Wie genau?

Wir haben eine Bestandsaufnahme gemacht und alle Betriebsräte – auch die im Oberbergischen – gefragt, wie gut sie ihr Unternehmen auf die Digitalisierung vorbereitet sehen. Das sind viele Tabellen und Fragen gewesen, aber die Ergebnisse zeigen, dass wir den Finger in die Wunde gelegt haben. Mehr als 60 Prozent der befragten Betriebsräte im Oberbergischen sagen, dass sie ihr Unternehmen nicht ausreichend auf die Digitalisierung vorbereitet sehen. Die Firmen beschäftigten sich zu wenig mit der Frage, was an Weiterbildung und Qualifizierung notwendig ist. Mehr als 70 Prozent sagen sogar, dass im Unternehmen nicht einmal klar ist, welche Art von Mitarbeitern man für den künftigen Arbeitsprozess überhaupt braucht. Und mehr als 80 Prozent halten die Ausbilder für nicht fit genug, um den Nachwuchs auf die digitalisierte Arbeitswelt vorzubereiten.

Warum beschäftigen Sie sich als Gewerkschaft überhaupt damit? Wäre das nicht eigentlich der Job des Unternehmers?

Die Betriebsräte sind ein wesentlicher Faktor in so einem Umgestaltungsprozess. Nicht umsonst gibt es in diesem Bereich gesetzlich garantierte Mitbestimmungsrechte. Und wir haben auch bei unserer Bestandsaufnahme festgestellt, dass sich einige Betriebsräte bereits sehr intensiv mit der Digitalisierung und mit den Auswirkungen auf ihren eigenen Betrieb beschäftigen.

Und die Unternehmer machen das nicht?

Da muss man differenzieren: Was die Produkte betrifft, ist die Innovationskraft im Oberbergischen ungebrochen. Wenn es um die Arbeitsabläufe und die Qualifizierung der Mitarbeiter geht, ist das schon schwieriger. Das liegt auch daran, dass wir im Oberbergischen gerade in der Metall- und Elektroindustrie eine breitgefächerte Unternehmerlandschaft haben – mit vielen kleineren und mittelgroßen Firmen, die nicht abhängig sind von Großkonzernen. Einerseits ist das gerade eine Stärke, andererseits heißt das aber auch oft: Jeder Jeck entscheidet für sich.

Ist dieser Industriestandort mit seiner dezentralen Struktur nicht auch selbst in Gefahr durch die Digitalisierung?

Das glaube ich eigentlich nicht. Sicher, die neue Technologie kostet viel Geld. Und nicht jedes Unternehmen im Oberbergischen wird in der Lage sein, das aus eigener Kraft zu investieren. Eine Möglichkeit ist es dann natürlich, sich von Finanzinvestoren oder Konzernen kaufen zu lassen. Eine andere wäre aber, auch auf die Unterstützung der oberbergischen Finanzinstitute zu setzen. Die sehe ich da auch in der Pflicht, wenn es um Risikokapital geht.

Das alles klingt nach nüchternen Erwägungen eines Gewerkschafters und nicht nach den klassenkämpferischen Tönen, die man aus früheren Jahrzehnte kannte . . .

(grinst) Die hatten damals auch ihren Sinn. Es stimmt aber: Die IG Metall hat einen riesigen Veränderungsprozess hinter sich. Hier im Oberbergischen sind wir, was die Dialogbereitschaft mit den Arbeitgebern und der Politik angeht, auf einem sehr guten Kurs. Das hat aber auch mit unserer Stärke als Gewerkschaft zu tun. Wir haben konstant über 12 000 Mitglieder, die Zahl der Aktiven in den Betrieben steigt sogar kontinuierlich und liegt heute bei mehr als 8500. Die Arbeitgeber wissen das. Selbst wenn wir während der Tarifverhandlungen mal einen Betrieb bestreiken, heißt das deshalb nicht, dass wir am nächsten Tag nicht wieder zusammensitzen können.

Liegt das auch an Ihrer neuen Flexibilität?

Natürlich hilft es, dass wir heute in der Lage sind, individuelle Lösungen für jeden Betrieb zu finden. Die Unternehmen im Oberbergischen wissen, dass man mit der IG Metall immer reden kann. Nicht umsonst sind alle Firmen, die 2017 nach dem Tarifabschluss aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sind, heute wieder im Tarifvertrag. Für mich ist das natürlich auch ein Zeichen unserer Stärke.

Hilft das auch in Krisensituationen?

Ja, gerade jetzt, wo durch zurückgehende Auftragszahlen flexible Lösungen her müssen, um Kurzarbeit zu vermeiden und Arbeitsplätze zu sichern, ist uns das mit einer ganzen Reihe von Firmen gelungen – über eine Regelung von zusätzlichen freien Tagen, wie sie der vor zwei Jahren noch so umstrittene Tarifvertrag für Ausnahmesituationen ausdrücklich vorsieht.

Apropos Ausnahmesituation: Wie gefährdet sehen Sie Oberberg als Industriestandort insgesamt – auch vor dem Hintergrund der aktuellen Klimadebatte?

Als Schweißer bei Steinmüller habe ich an vielen Anlagen mitgebaut, die heute vor dem Aus stehen. An Kohlekraftwerken wie in Frimmersdorf oder Niederaußem dürfte sich heute noch manche Schweißnaht von mir finden (schmunzelt). Trotzdem steht für mich fest: Wir müssen die Klimaziele erreichen, die sind vereinbart und sie sind richtig. Aber es geht auch um eine Menge Arbeitsplätze, nicht nur im Braunkohlerevier. Allein in der oberbergischen Metall- und Elektroindustrie arbeiten heute 22 500 Menschen. Auch hier gibt es Unternehmen, die viel Energie brauchen, um ihre Produkte herzustellen.

Was heißt das für Ihre Einstellung zu den „Fridays for Future“?

Das heißt, dass ich es gut finde, wenn die jungen Leute sich politisch engagieren und ihre demokratischen Rechte wahrnehmen. Die Verantwortung dafür, die Klimapolitik richtig zu gestalten, liegt aber bei der Politik. Wir können nicht einfach auf alle Arbeitsplätze in der Industrie verzichten. Die Menschen brauchen eine Perspektive – und die kann nicht sein, dass jeder Fahrer, der heute noch einen Braunkohlebagger steuert, künftig als Schwimmmeister arbeitet.

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