Wie gut kommen Menschen mit Einschränkung in Waldbröl zurecht? Der MS-Kontaktkreis will Antworten auf diese Frage liefern und Hilfe leisten.
App-ProjektToiletten sind auch in Waldbröl das größte Problem
Die Tische können in der Höhe verstellt werden, ruckzuck sind die Stühle beiseite gestellt. Jeder Gang ist breit genug für einen Rollstuhl oder einen Rollator. Und in den Sanitärräumen zückt Ralf Sachser prompt den Zollstock, geht in die Hocke, nimmt Maß am Porzellan. „58 Zentimeter, auch das passt“, sagt er zufrieden. Will sagen: Der Sitz hat genau die richtige Höhe für jemanden, der sich aus dem Rollstuhl hebt und auf der Toilette Platz nimmt, Stahlbügel helfen dabei. An diesem Nachmittag gibt’s Bestnoten für eine Versicherungsagentur an der Waldbröler Hochstraße.
Denn seit bald zwei Wochen sind Sachser und die Mitglieder des MS-Kontaktkreises Waldbröl im Zentrum der Marktstadt unterwegs und nehmen Geschäfte, Gaststätten und andere Orte in den Blick und sehen nach, ob sie geeignet sind für Menschen mit Einschränkungen. „Danach treten wir in Kontakt zu Eigentümerinnen und Eigentümern, geben Tipps und machen Fotos, wenn uns das erlaubt wird“, erklärt Vorsitzender Sachser (70), selbst an Polyneuropathie erkrankt. Mit den Ergebnissen füttert der Kontaktkreis dann eine App, die der Berliner Verein Sozialhelden entwickelt hat: Eine interaktive Karte weist mit einem Ampelsystem den Weg zu jeglichen Orten, die barrierefrei oder wenigstens barrierearm gestaltet sind – „Wheelmap“ heißt das Projekt.
Vorerst bis zum 2. Dezember ist die Gruppe mit den gelben Westen in Waldbröl unterwegs
Jetzt also ist Waldbröl dran: Bis zum 2. Dezember ist die Gruppe da nahezu täglich unterwegs. „Aber wahrscheinlich machen wir danach weiter“, kündigt Ralf Sachser an. Der Aufwand ist nämlich immens, die Aufgabe gewaltig. Und überhaupt: Wer im Internet die Karte des Oberbergischen Kreises aufruft, findet dort bisher nur spärliche Informationen.
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„Ich weiß, wo ich in Waldbröl klarkomme – andere aber wissen das nicht“, verrät Anita Hoffmann. 2004 hat die heute 45-Jährige aus Hermesdorf die Diagnose Multiple Sklerose (MS) erhalten, oft sitzt sie im Rollstuhl. „Weil ich aber auch noch mit einem Rollator vorwärtskomme, habe ich es leichter als viele andere.“ Shirley Kahlon (40) lebt erst seit zwei Jahren mit dieser Krankheit, seither benötigt sie zwei Gehhilfen: „Menschen wie ich werden leider oft vergessen. Wir müssen uns erstmal zurechtfinden.“
Die als Behindertenparkplätze ausgewiesenen Buchten offenbaren manchen Mangel
Christiane Ziemann dagegen ist jederzeit auf Hilfe angewiesen, der 48-Jährigen steht Hermann-Josef Knipping (68) zur Seite. Der stellvertretende Vorsitzende des Kreises kennt das allergrößte Problem, das an MS Erkrankten das Leben schwer macht nur zu gut: Toiletten.
„Rundherum behindertengerechte, mit einem Rollstuhl befahrbare öffentliche Sanitäranlagen gibt es im Stadtzentrum bisher keine“, sagt Knipping und Sachser ergänzt: „Wir hoffen, dass die neue Markthalle nicht nur behindertengerechte Toiletten bekommt, sondern auch behindertengerechte Parkplätze.“ Die bestehenden Plätze seien für Autos, die mit einer Rollstuhlrampe ausgestattet sind, meist zu kurz. „Oder sie sind zu schmal: Will man aus dem Auto in den Rollstuhl umsteigen, steht man bereits auf der Straße.“
Im Rathaus der Marktstadt sind diese Sorgen bereits angekommen. „Die Markthalle erhält solche Toiletten“, versichert Bürgermeisterin Larissa Weber, und da setze sie auf die Unterstützung und die Dokumentation des Kontaktkreises: „Es ist nie gut, wenn Menschen ohne Handicap für Menschen mit Handicap planen.“ Das Projekt des Kreises sei nicht nur wertvoll für die Stadt, „sondern auch für Waldbröls Gäste“.
Bricht dieser zu Kartierungstouren auf, trifft sich die Gruppe vorab im Genossenschaftscafé „Hauderei“ zum Austausch über erfasste Orte, zum Lösen von Problemen mit der Technik, zum Gespräch über Erfahrungen. Eine Stahlrampe für Rollstühle führt in die Gaststätte, eine zweite zu den Toiletten. Hermann-Josef Knipping bedauert: „Die können zwar befahren werden, aber dann ist Schluss.“ Genossenschaftsvorsitzender Bernd-Uwe Mach freut sich über das Lob, verspricht jegliche Hilfe – und vielleicht lasse sich auch das Toilettenproblem lösen. „Aber als Pächter hat man es leider schwer, bauliche Änderungen herbeizuführen.“
Eine Klingel am Eingang, so ein Tipp von Ralf Sachser, könnte zudem helfen, wenn Menschen im Rollstuhl vor der Tür stehen und eine Hand benötigen: „Oft reichen schon kleine Dinge.“