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TheaterWie der Wiehler Regisseur Raimund Binder zum Dichter wurde

3 min
Ein Mann im Kostüm eines Rabbiners.

Als Regisseur und Schauspieler (hier als Lessings Nathan) ist Raimund Binder bekannt. Nun tritt er auch als Dichter auf.  

Raimund Binder hat im Wiehler Theater einen Band mit eigenen Texten aus seiner Zeit in Siebenbürgen vorgestellt.

Die geforderte Liebeserklärung an die Kommunistische Partei verweigerte der junge Dichter. Raimund Binder fragt in seinem Gedicht stattdessen bitter: „Partei heißt Wille, Eigenwillen zu brechen./ Was hilft da Liebe?“.

Mit dieser Provokation hatte sich die Veröffentlichung des Gedichtbands erledigt. Der Lektor des Verlags im siebenbürgischen Temeschburg, erinnert sich Binder (79), habe ihm 1974 das Manuskript mit dem Hinweis zurückgegeben: „Er schätze mich zu sehr, um mich den Schwierigkeiten auszusetzen, die mir der Veröffentlichungsversuch eines solchen Inhaltes unweigerlich hätte bringen müssen.“

Lesung im Wiehler Theater

So schreibt es der Wiehler Theatermacher im kurzen Geleitwort von „Der Vogel auf dem Dach“ (114 Seiten, 6,99 Euro). Mehr als 50 Jahre später wurden die Gedichte nun doch gedruckt. Raimund Binder hat sie im Selbstverlag herausgegeben. Jetzt las er aus dem Band im Theater an der Wiehler Warthstraße. Auf der Bühne also, auf der er als Gründer des Schau-Spiel-Studios Oberberg in mehr als 30 Jahren viele Stücke inszeniert hat.

In den Gedichten und Kurzgeschichten, die Binder zwischen 1968 und 1980 im sozialistischen Rumänien verfasst hat, geht es um „Heimat, Liebe und Geisteshaltung in bewegter Zeit“, ganz nah an der Lebenserfahrung des 1945 in Schäßburg geborenen Rumäniendeutschen.

Ich bin ein zufriedener und glücklicher Mensch, der hier ein Zuhause gefunden hat.
Raimund Binder über Wiehl und das Schauspielstudio

Die Textsammlung ist laut Untertitel ein „inkonsequenter Versuch einer zeitgenössischen Biographie“. 1980 ließ Raimund Binder die Diktatur hinter sich und wanderte nach Deutschland aus. Die Texte hatte er sicherheitshalber auf Band gesprochen und als Musikkassetten getarnt aus dem Land geschmuggelt. Im vergangenen Frühjahr nutzte er eine selbstverordnete Theaterpause, um im Büro alte Unterlagen zu ordnen, als ihm die Kladde mit den abgetippten Texten in die Hände fiel.

Der Jungschauspieler Binder wurde 1966 regelmäßig vom Literaturhaus in Bukarest engagiert, um Gedichte vorzutragen, etwa von François Villon. Bald wagte er eigene lyrische Versuche und hatte Erfolg, besonders wenn er die Texte selbst sprach.

Narrenfreiheit auf der Bühne

Auch als Bühnendichter fand er ein Publikum. Um den Zensoren der Staatssicherheit zu entgehen, verlegte sich Binder auf Bühnenfassungen Grimmscher Märchen wie „Das tapfere Schneiderlein“ und „Die Gänsehirtin am Brunnen“ und verwandelte sie in subtile Politsatiren. „Die Leute im Publikum haben die Anspielungen begriffen“, sagt Raimund Binder, „als Theatermann hatte man aber auch eine gewisse Narrenfreiheit.“

In seinen Gedichten bekennt sich der Autor zum Leitstern Rilke, zur Heimat Siebenbürgen und zur Liebe zu seiner Ehefrau Hiltrud. Jahrzehnte später erkennt sich Raimund Binder darin noch immer wieder. Nur die pessimistisch-dunkle Grundstimmung des jungen Mannes, dem das erfüllte Leben als unerreichbarer „Vogel auf dem Dach“ erscheint, passe heute nicht mehr zu ihm. „Ich bin ein zufriedener und glücklicher Mensch, der hier ein Zuhause gefunden hat“, sagt Binder über Wiehl und sein Theater.

Und er hat hier noch einiges vor. Derzeit arbeite er an einem dreibändigen Roman, verrät Binder. Und noch in diesem Jahr möchte der Wiehler eine „Kleine Schauspielschule“ veröffentlichen, in der er theaterpraktische Texte zusammenführt, die seit den 1970er Jahren entstanden sind. „Die Sachen sollen nicht in der Schublade verrotten. Ich halte sie für mindestens nicht schlecht.“

Raimund Binder will nicht verhehlen, dass es ihm auch darum geht, „etwas Bleibendes zu schaffen“, also ein Werk zu hinterlassen, das sich nicht im flüchtigen Bühnenzauber erschöpft. Aber keine Sorge, Theater machen will er bald auch wieder. Er ist gespannt, welche Stücke ihm das Schauspielstudio vorschlägt.