Prozess um Raub in NotunterkunftAm Rande der Bergisch Gladbacher Gesellschaft

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Rauch strmöt aus Fenster der Notunterkunft in Bergisch Gladbach, davor steht ein Feuerwehr und eine Bare mit Gegenständen darauf.

Am vermeintlichen Tatort, der Bergisch Gladbacher Notunterkunft am Hoppersheider Busch, hat es am 11.November gebrannt.

Drei Obdachlose stehen in Bensberg vor Gericht, weil sie einen vierten in einer kürzlich abgebrannten Notunterkunft misshandelt haben sollen. Doch leidet der Zeuge, selbst gewalttätig, an paranoider Schizophrenie.  

„Ganz unten“ hat der im bergischen Burscheid geborene Enthüllungsjournalist Günter Wallraff seinen Bestseller benannt, in dem er in den 1980er Jahren die Zustände am unteren Ende der deutschen Sozialskala benannte. Ganz unten ist sehr tief, aber es geht noch tiefer, wie ein Prozess vor dem Bensberger Schöffengericht zeigt. Darin mussten sich drei Angeklagte wegen versuchten schweren Raubes in der vor vier Wochen nach einem Feuer mit zwei Schwer- und drei Leichtverletzten geräumten Obdachlosenunterkunft am Hoppersheider Busch in Schildgen verantworten.

Um es vorwegzunehmen: Alle drei Angeklagten, unter ihnen die in den Gefängnissen in Attendorn und Rheinbach einsitzenden 29 und 25 Jahre alten Brüder Sven und Simon E. (Namen geändert), werden am Ende freigesprochen von dem Vorwurf, am 19. Januar 2020 einen weiteren Bewohner eben jener Obdachlosenunterkunft zwei Stunden geschlagen und bedroht zu haben, damit der sein nächstes Arbeitslosengeld bei ihnen abliefere. Den Vorwurf haben alle drei, auch der 33-jährige dritte Angeklagte, bestritten.

Bargeld-Auszahlung in Kirche als Alibi

Sven und Simon E. geben als Alibi an, sie seien an diesem Sonntag mittags und abends in der Kirche Sankt Laurentius gewesen – weil es zur Tatzeit nämlich sonntags mittags und abends immer fünf Euro in bar für die dorthin kommenden Süchtigen gegeben habe. Mittags hätte in der katholischen Kirche „die Pfarrerin“ das Geld ausgeteilt, abends der Pfarrer.

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Doch müssen heute, fast drei Jahre nach der Tat, weder der Pfarrer noch die vermeintliche Pfarrerin als Alibi-Zeugen vor Gericht. Denn der einzige direkte Beweis für den Misshandlungsvorwurf wäre die Aussage des angeblich misshandelten Peter P., der seinerseits in einer Zelle des Amtsgerichts auf seine Vorführung als Zeuge wartet.

Vermeintliches Opfer in Klinik untergebracht

Jedoch ist Peter P., das hat der Bergisch Gladbacher Strafverteidiger Dr. Karl-Christoph Bode recherchiert, schon seit Monaten Klinik-Insasse, angeblich in der Forensik in Bedburg-Hau. Peter P. leidet an einer chronischen paranoiden Schizophrenie, und das schon seit langem. Zu der Krankheit gehören auch Verfolgungs- und Verschwörungsideen.

Seine Klinikeinweisung ist Resultat eines Prozesses vor dem Kölner Landgericht. Dort hat er sich am 30. Mai 2022 wegen des Vorwurfs verantworten müssen, seinerseits bei anderer Gelegenheit in der Notunterkunft mit einer Machete auf ein Opfer losgegangen zu sein. Nach dem Gutachten eines Psychiaters hat ihn die Kölner Kammer für schuldunfähig erklärt und eingewiesen.

Angesichts dieser „Qualität“ des potenziellen Zeugen der Anklage sehen die Verfahrensbeteiligten nach einem längeren Rechtsgespräch einvernehmlich von einer Vernehmung ab. Peter P. wird in seine Klinik zurückgebracht, ohne den Gerichtssaal betreten zu haben.

Drogen, Heimaufenthalt, Vorstrafen

In der Folge beantragt die von dem Kölner Urteil überraschte Staatsanwältin Freispruch für alle drei Angeklagten. Die drei Verteidiger Bode, Mercedes Ramona Formes und Udo Klemt schließen sich an, die Schöffengerichtsvorsitzende verkündet ihn umgehend. Während Anwalt Bode mit seinem Mandanten anschließend den Saal verlassen kann, müssen die beiden Brüder und ihre Verteidiger noch ein bisschen nachsitzen, denn es gibt weitere Anklagepunkte, die aber alle entweder mit Einstellung oder mit Freispruch enden.

Zu Beginn der Verhandlung hat das Schöffengericht die Angeklagten zu ihrem Werdegang befragt. Das Scheidungskinder-Schicksal der Brüder ist bedrückend. Der Ältere übernimmt früh viel Verantwortung für den Jüngeren, es gibt Drogen, Heimaufenthalt, Vorstrafen. Doch auch der dritte angeklagte ehemalige Bewohner der Unterkunft hat es nicht leicht: Herzinfarkt mit knapp über 30, seither 360 Euro vom Amt.

Kopfschütteln über Geldgeschenke für Drogenabhängige 

Wie geht man mit Menschen um, die sich ihr Schicksal nicht ausgesucht haben? Dass man Drogenabhängigen auch noch Bargeld schenkt, davon jedenfalls hält Schöffengerichtsvorsitzende Birgit Brandes überhaupt nichts.

In einem früheren Verfahren habe ein Vertreter der Kirchengemeinde den Fünf-Euro-Brauch am Sonntag bestätigt und auf die Frage, ob es die Gemeinde es nicht lieber mit einer Suppe statt mit Bargeld versuchen wolle, geantwortet, dass das nicht angenommen werde.

„Das stößt ein bisschen auf Unverständnis“, sagt die Richterin im Prozess über diese wenig hilfreiche Ausprägung von Barmherzigkeit. Doch springt einer beiden Brüder der Kirche bei: Der Betrag sei inzwischen auf zwei Euro gesenkt worden.

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