Bei dem Prozess zum Zugunglück in Hürth muss das Schöffengericht herausfinden, wer verantwortlich für den Tod von zwei Gleisarbeitern ist.
Prozess zum Zugunglück in Hürth„Wo ist Murat? Wo ist Murat? – Doch Murat war nicht mehr da“

Der Angeklagte bestritt am ersten Verhandlungstag für die Sperrung der Gleise verantwortlich gewesen zu sein.
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Emir Z. (Name geändert) äußert sich sachlich, redet nicht drumherum als er am Dienstag um kurz nach 11 Uhr im Saal des Amtsgerichts Brühl von dem Zugunglück vor gut zwei Jahren berichtet. Dabei wiegen die Vorwürfe schwer, die die Staatsanwältin aus der Anklageschrift verliest.
Der 54-Jährige ist wegen fahrlässiger Tötung von zwei Menschen angeklagt. Er soll am 4. Mai 2023 morgens für die Bahnstrecke in Höhe Hürth-Fischenich entgegen dem Sicherungsplan eine Sperrung des Gleisabschnitts mitgeteilt und die Freigabe der Arbeiten erklärt haben, obwohl die Sperrung der Gleise nicht bestätigt worden war. Zudem soll der Angeklagte die Sicherungsposten nicht vorschriftgemäß eingewiesen und positioniert sowie eine akustische Sicherungsanlage nicht installiert haben.

Am 4. Mai 2023 erfasst der IC 2005 zwei Bauarbeiter in Hürth. Die Männer gehörten zu einem Bautrupp, die Reparaturarbeiten durchführen sollten.
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Zur Vorgeschichte: Ein Bautrupp sollte an diesem Tag auf den Gleisen in Höhe des Marktwegs sogenannte Handstopfarbeiten ausführen. Dabei handelt es sich um manuelle Arbeiten an Gleisen, um die richtige Spurweite und die Höhe der Schienen sicherzustellen.
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Um ziemlich genau 11 Uhr rauschte der Intercity 2005, der von Emden nach Koblenz unterwegs war, mit Tempo 160 auf den Bautrupp zu. Der Zugführer leistete sofort eine Notbremsung ein, als er die Personen auf dem Gleiskörper sah. Doch bei dieser Geschwindigkeit und dieser Masse war dem Zugführer offenbar schnell klar, dass alle Versuche vergeblich sein würden.
Aber ich wusste sofort, dass ich vor dem Bautrupp den Zug auf keinen Fall zum Stehen bekomme
„Die Gleise verlaufen dort in einer leichten Kurve. Der Bautrupp war etwa 200 Meter entfernt, als ich die Personen in Gleis gesehen habe. Bei der Geschwindigkeit und dieser Masse sind 608 Meter Anhalteweg noch ein guter Wert. Aber ich wusste sofort, dass ich vor dem Bautrupp den Zug auf keinen Fall zum Stehen bekomme“, erklärte der Lokführer dieser Zeitung im Gerichtsfoyer. Der Lokführer erlitt einen Schock, fiel längere Zeit aus, arbeitet aber nach eigenen Angabe inzwischen wieder.
Im Gerichtssaal ist es am Dienstag nicht nur warm, sondern auch eng. Neben dem Vorsitzenden Richter und zwei Schöffen, der Staatsanwältin, dem Angeklagten und seinem Verteidiger nehmen insgesamt drei Anwälte und zahlreiche Familienangehörige der beiden Opfer an der Verhandlung teil.

Die Angehörigen der Todesopfer nahmen am Dienstag auch an der Verhandlung teil.
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Anhand der Schilderungen und auf die Fragen des Vorsitzenden Richters wird schnell klar, dass der Angeklagte sich keiner Schuld bewusst ist. Er sei zwar für die Sicherung der Baustelle zuständig gewesen, habe aber die Informationen von Jamal T. (Name geändert) erhalten, dass die Gleise gesperrt seien. Jamal T. arbeitete an diesem Tag im Auftrag der Deutschen Bahn und stand im Kontakt mit dem Fahrdienstleiter. T. habe ihm mehrfach bestätigt, dass die Gleise gesperrt seien, berichtet der Angeklagte.
Was sich dann auf den Gleisen abspielte, ist für die Familien der Opfer schrecklich anzuhören. Zunächst kam ein Zug aus Richtung Brühl auf dem Nebengleis, das eigentlich auch hätte gesperrt sein sollen. Wenige Sekunden später rauschte der IC 2005 Emden-Koblenz mit Tempo 160 direkt auf den Bautrupp zu. Der Baulärm der Maschinen war laut. „Ich hörte plötzlich Pfeifen, hab den Zug gesehen und nur noch gebrüllt ‚raus, raus, raus hier‘.“ Fünf der sieben Männer konnten sich retten. „Ich habe selbst noch zwei Leute zur Seite gezogen. Dann weiß ich nichts mehr. Als ich wieder zu mir kam, war alles passiert. Ich habe gefragt: ‚Wo ist Murat?, Wo ist Murat? – doch Murat war nicht mehr zu sehen‘“, so der Angeklagte.
Im Zeugenstand macht es Jamal T. recht kurz. Nach Absprache mit seinem Zeugenbeistand verweigert der Bergheimer seine Aussage.
Der Prozess wird fortgesetzt.