Zu Alkohol und illegalen Drogen sind viele andere Abhängigkeiten wie Spiel- oder Kaufsucht hinzugekommen.
„Stoffe mit Suchtpotenzial haben zugenommen“Caritas Rhein-Sieg berät seit 50 Jahren Suchtkranke und Angehörige

Gesellschaftlich akzeptiert ist der Konsum von Alkohol; Suchtkranke indes werden stigmatisiert.
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„Dass ich jemand bin, kein Penner von der Straße“ – das habe er erst wieder im Gespräch mit der Caritas-Suchtberatung wahrgenommen, sagt der Mann im weißen T-Shirt. 30 Jahre lang war er abhängig, süchtig nach insgesamt zehn unterschiedlichen Substanzen. Dass er nun seit 15 Monaten clean ist, ließ die Zuhörer im Stadtmuseum applaudieren. Dort beging die Suchthilfe im Caritasverband Rhein-Sieg das 50-jährige Bestehen.
Im Rhein-Sieg-Kreis begann die Suchtberatung mit einer Planstelle
Mit einer Planstelle begann 1974 die Arbeit. Heute zählt Teamleiterin Anna Clasen 15 Kolleginnen und Kollegen, die acht Planstellen besetzen. Doch es gibt nicht nur mehr Personal: „Es gibt auch ständig neue Suchtstoffe“.
Ein Sachverhalt, den Caritas-Vorstandsvorsitzender Harald Klippel ebenfalls betonte. „Die Stoffe mit Suchtpotenzial haben zugenommen“; an die Seite der Abhängigkeit von Substanzen sind Spielsucht, Kaufsucht und wachsende Verschuldung getreten. Auch eine exzessive Mediennutzung kann zur Sucht werden, sei es Social Media, Computerspiele oder auch Pornografie.
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Beim Thema Sucht gibt es immer noch Profiteure.
„Beim Thema Sucht gibt es immer noch Profiteure“, kritisierte Klippel die massive Werbung für Alkohol. In seiner Kritik bezog der Caritasvorstand auch den Bundesfinanzminister mit ein: Der, so Klippel, verbuche Jahr für Jahr „veritable Steuereinnahmen“ aus dem Verkauf zum Beispiel von Alkohol. Zur Finanzierung der Beratung aber würden die „Profiteure“ nicht herangezogen.

„Sucht macht ganz viel mit Partnern und Kindern“, betont Teamleiterin Anna Clasen vom Caritasverband Rhein-Sieg, hier im Gespräch mit Moderator Christoph Stubbe.
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Mehr und mehr hat in den vergangenen Jahre die Suchtberatung nicht nur die Erkrankten selbst, sondern auch deren Umfeld in den Blick genommen. Sucht „macht ganz viel mit Partnern und Kindern“, sagt Anna Clasen. Deswegen biete die Caritas eigene Gesprächsgruppen für Kinder suchtkranker oder psychisch kranker Eltern an. Anspruch auf Gespräche und Beratung haben aber auch erwachsene Angehörige.
Rhein-Sieg-Kreis übernahm im Vorjahr 9095 Beratungsstunden
So wie die junge Frau, die vor 15 Jahren erstmals eine Angehörigengruppe aufsuchte. Der Vater war suchtkrank, es war damals „besonders schwierig“ für die Tochter. „Ich hatte immer die Hoffnung, dass er irgendwann aufhört“, sagt sie heute. Denn „man kann sich vom Partner trennen, aber nicht von den Eltern.“ Wirklich geholfen habe ihr das Gespräch „mit Menschen, die wissen, was da passiert.“
Insgesamt 9095 Beratungsstunden haben die Beraterinnen und Berater im vergangenen Jahr geleistet und mit dem Rhein-Sieg-Kreis als Kostenträger abgerechnet. Hinzu kommen die Gespräche vor einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung zur Fahreignung und die psychosoziale Begleitung von Menschen, die in einem Substitionsprogramm sind. Auch die Nachsorge nach dem Abschluss einer Therapie wird gesondert erfasst.
Wir machen da, wo es nötig ist, Beratung vor Ort.
Immer jünger werden die Menschen, die in die Suchtberatung kommen, berichtet Anna Clasen aus der täglichen Praxis: Zwölf- bis 14-Jährige durchaus, die mit den Eltern die Beratungsstellen aufsuchen: in Siegburg, Bornheim und Rheinbach, in Eitorf – gemeinsam mit der Diakonie – und einmal wöchentlich auch in Windeck. Die Größe des Rhein-Sieg-Kreises ist eine Herausforderung, doch betont Anna Clasen: „Wir machen da, wo es nötig ist, Beratung vor Ort.“
„Sehr individuell“ sei die Dauer der Begleitung, weiß Anna Clasen. Angehörigen könne man oft schon in einem Gespräch den Weg in eine Selbsthilfegruppe weisen, suchtkranke Klienten begleitet das Team auf jeden Fall bis zur Therapie. Danach gibt es das Angebot einer wöchentlichen Gruppentherapie.
Betroffene wünschen sich weniger Stigmatisierung
Eine wichtige Hilfe wohl nicht nur für die 59-Jährige auf dem Podium. „Wenn man aus der Therapie raus ist, ist kein Psychologe mehr da“, sagt sie; bei der Suche nach einem ambulanten Therapieplatz sei sie nun „auf Platz 300“. Dabei, so betont sie, „kann man nicht alles in 13 Wochen aufarbeiten.“ Übereinstimmend wünschten sich die Podiumsteilnehmer eine Abkehr von der Stigmatisierung der Suchtkranken. Das führe zu Scham und Verstecken, sagt eine Frau; und umso länger habe es daher gedauert, bis sie Hilfe bekam.
Unverzichtbare Unterstützung leisten die Selbsthilfegruppen, die Caritas-Vorstand Harald Klippel in seinen Dank einschloss. Dank sprach aber auch Suchtberater Meinolf Schubert aus – an die Ratsuchenden nämlich. „Wir danken Ihnen für das Vertrauen“, sagte er. Oft hörten er und die Kollegen, „ohne Sie hätte ich das nicht geschafft.“ Das sei aber nicht richtig, „denn ich habe Sie nur begleitet.“ Jeder gehe den Weg selbst, „aber Sie gehen zum Glück nicht allein.“
Ein erster Kontakt zur Suchtberatung im Caritasverband Rhein-Sieg ist telefonisch, per E-Mail oder in der wöchentlichen offenen Sprechstunde, mittwochs von 14 bis 16 Uhr im Siegburger Caritashaus, Wilhelmstraße 155, möglich. Alle Infos sind auch über die Internetseite des Verbandes abzurufen.